Die DDR war ein Land der verspielten Chancen. Eigentlich sogar ein schizophrenes Land. Auf hohem Niveau ließ es in seinen Hochschulen kreative Menschen ausbilden. Aber wenn sie ihre Kreativität dann umsetzen wollten, rasselten die Türen und Tore zu. Und die Fotografie gehörte zum Hochkarätigsten, was die DDR zu bieten hatte. Ein Stück davon kann ab Sonntag, 3. Juli, im Museum der bildenden Künste besichtigt werden.
Der Titel ist seltsam. So wie das Land, aus dem die Fotos stammen. Man denkt bei diesem Blick in schwarz-weißen Aufnahmen aus den 1950er und 1960er Jahren natürlich an den eingefrorenen Moment – nicht mal der Geschichte, sondern des Alltags, in dem die beiden Fotografinnen Ursula Arnold und Evelyn Richter aus Leipzig und der Berliner Arno Fischer ihre Motive suchten und fanden. Alle drei waren damals jung, Jahrgang 1929, 1930 und 1927. Die beiden Frauen hatten – nach einer Fotografenlehre – an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studiert. Arno Fischer hatte in Berlin ein Bildhauerstudium begonnen, schwenkte dann aber doch zur Fotografie um. Aber allen drei gemeinsam war nicht nur der Wille, sich in ihren Arbeiten deutlich abzugrenzen vom Formalismus der SED-Kulturpolitik und vom inszenierten Menschenbild der neuen Staatspropaganda.
Sie suchten nicht nur ihre eigene fotografische Sprache – sie suchten auch den Anschluss an die internationale Spitze der Fotografie, die 1955 mit einer Ausstellung auch in Berlin zu erleben war: „Family of Man“. Ein Zündfunke, der übersprang und nicht nur bei den dreien fortan die Sicht auf die Welt, den Alltag und die Menschen prägte. In Leipzig entstand damals zum Beispiel die Gruppe „action fotografie“, der unter anderem Evelyn Richter, Ursula Arnold, Renate und Roger Rössing, Günter Rössler, Helga Wallmüller und F. O. Bernstein angehörten. Da kann man auch die Wurzeln der eindrucksvollen Leipziger Fotoschule finden, die – unter anderem mit Evelyn Richter – später auch in die Ausbildung an der HGB hineinwirkte.
Das ist ja seit Dienstag, 29. Juni, auch in der kleinen Ausstellung „Die Lehre“ in der Kunsthalle der Leipziger Sparkasse zu sehen.
Dass das Museum der bildenden Künste ausgerechnet jetzt die frühen Arbeiten der drei Fotokünstler zeigt, hat natürlich einen Grund. Nicht gerade darin, dass das neugierige Publikum gerade besonders scharf ist auf diese eindrucksvolle dokumentarische Fotografie. Das sollte es durchaus sein. Aber so etwas funktioniert ja meist nur mit großen Malernamen. Aber Fotografie?
Die bildet seit 2009 einen besonderen Schwerpunkt im Leipziger Bildermuseum. Denn da konnte das Evelyn-Richter-Archiv im Haus eingerichtet werden, lange angebahnt durch die Ostdeutsche Sparkassenstiftung schon seit 2002, die das Leipziger Museum immer wieder unterstützt bei Ausstellungsfinanzierungen, Katalogen oder der Sicherung neuer Kunstbestände. Und damals stand durchaus die Frage: Sollte dieses Haus neben seiner starken Fixierung auf die Leipziger Malerei (Stichwort: Leipziger Schule) jetzt auch ein zentraler Sammelort für ostdeutsche bzw. Leipziger Spitzenfotografie werden? Gab es davon nicht schon genug? Denn wirklich neu entdeckt werden mussten ja die Spitzenfotografen der DDR nicht. Sie hatten sich auch vor 1989 schon einen internationalen Ruf erworben, weil ihre Bildarbeiten nicht nur ein Land zeigten, das so in den Parteimedien nicht zu sehen war, sondern weil sie mit ihrem sensiblen Blick für das Menschliche auch zeigten, wie tief verwurzelt ihre Arbeit in den internationalen Kunstströmungen war.
Deswegen werden ihre Arbeiten in Halle genauso gesammelt wie in Berlin. Die Frage war eher: Bildet sich in Leipzig ein besonderer Schwerpunkt heraus? 2005 wurde das wahrscheinlicher. Da zeigte das Museum zum ersten Mal eine Evelyn-Richter-Retrospektive. Da war eigentlich auch entschieden, dass die Ostdeutsche Sparkassenstiftung dieses Fotografie-Zentrum nicht in Dresden ansiedeln wird sondern in Leipzig. 2009 konnte dann das Evelyn-Richter-Archiv tatsächlich eingerichtet werden. Die Ausstellung, die jetzt im Bildermuseum gezeigt wird, steht eigentlich auch für den zweiten Schritt hin zu solch einem Zentrum, denn auch für die Arbeiten von Ursula Arnold konnte die Sparkassenstiftung Leipzig jetzt zum Archivort machen.
Was ein doppelter Glücksfall war, denn Richter und Arnold studierten ja nicht nur gemeinsam in Leipzig und begannen früh ihre Bildsprache zu suchen. Sie waren lebenslang durch eine feste Freundschaft verbunden, auch wenn Ursula Arnold 1957 den Fotografenberuf an den Nagel hängte, weil ihre Arbeiten zur Veröffentlichung abgelehnt wurden. Da sah sie beim Fernsehen eher eine Chance zum Broterwerb, auch wenn sie dann zeitlebens immer wieder privat fotografierte.
Evelyn Richter ließ sich von den Schwierigkeiten nicht entmutigen. 1957 kam sie bei der zweiten Ausstellung der „action fotografie“ mit Arno Fischer in Kontakt und beide verband fortan ein kollegiales Arbeitsverhältnis.
Und was man jetzt im Museum der bildenden Künste sieht, ist dieses Gemeinsame, aus dem alle drei ihre Kraft, ihre Ideen und Anregungen gewannen. Wobei die Ausstellungsgestalter um Dr. Jeanette Stoschek vermieden haben, die Fotos einfach nur an die Wand zu hängen. Denn im zentralen Saal werden die Besucher erst einmal eingeladen in diese 1950er Jahre, als noch das halbe Land in Trümmern lag, die engagiertesten Köpfe der Zeit aber von einer Welt träumten, wie sie in der Ausstellung „Family of Man“ gezeigt wurde: einer menschlichen Welt, ohne Krieg, ohne Grenzen, voller Lebensfreude. Selbst die junge DDR zehrte ja lange von diesem Glauben, dass nach diesem schlimmsten aller Kriege nun der Geist der Völkerverständigung herrschen würde und kein Staatsmann wieder auf die Idee käme, die Welt mit Kriegsgeschrei in Angst und Schrecken zu versetzen.
Was übrigens auch lebbar war, solange Reisen in den Westen kein Problem waren und die Grenze nach Westberlin passierbar. Das war ja das Urthema von Arno Fischer, der ausgerechnet 1961 ein großes Foto-Buch über die „Berliner Situation“ veröffentlichen wollte. Das kam natürlich nicht und das Thema Berlin war lange tabu.
Aber man findet im zentralen Ausstellungsraum eben nicht nur die Biografien der drei Künstler groß auf die Wand aufgetragen und die Ausstellung „Family of Man“ als Zündfunke gewürdigt. Man sieht in den Vitrinen auch, welche Schätze das Museum mit den beiden Künstler-Archiven bekommen hat. Hier sind die frühen Fotoarbeiten von Evelyn Richter und Ursula Arnold ausgestellt, sowohl jene aus der Fotolehre als auch jene aus ihren Studienjahren. Es sind Arbeiten, die schon zeigen, wie sie in der Auseinandersetzung mit klassischen fotografischen Motiven den eigenen Weg suchten – und auch fanden. Weg von den stimmungsvollen (und natürlich trotzdem eindrucksvollen) Lichtinszenierungen pflügender Bauern und von Segelbooten auf dramatischem Meer – hin zum genauen, blitzgescheiten Bild mitten aus alltäglichen Szenen. Menschen beim Bummel, in der Straßenbahn, beim Warten, im Café, klug eingefangen und festgehalten in einem Moment, in dem alles zu finden ist: der einmalige Moment, der für das Ganze steht und heute von einem ganzen historischen Wimpernschlag erzählt. Viel stärker als alle Aufnahmen winkender Staatsmänner und strammer Vorbeimärsche … das rutschte jetzt einfach raus, aber da denkt man zwangsläufig an Heinz Knobloch, diesen unvergleichlichen Eulenspiegel des ostdeutschen Feuilletons, wie er ebenso stutzt und feststellt: Die deutsche Sprache ist einfach zu herrlich, ganz von allein sind die Ärsche in den Satz gerutscht.
Gehört das hierher?
Natürlich. Denn wer die Feuilletons von Heinz Knobloch kennt, weiß, dass sie ohne Bruch und Schatten neben diesen Fotos stehen könnten. Er hat die klugen und nachdenklichen Sätze über diese Menschen geschrieben, ihren Alltag, ihren Stolz, ihre Liebe – und über die Narreteien der neuen Möchtegern-Macher.
Man schaut sich diese Fotografien aus den 1950er Jahren an – die um spätere Naturfotografien ergänzt sind, in denen ein anderer Autor sein Echo findet: Theodor Fontane mit seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg – und ahnt, was für ein Leben doch in diesem kleinen Fetzen Land steckte. Die beiden Fotografinnen und ihr Berliner Kollege zeigen es ja nur. Sie haben es ja nicht inszeniert, dafür genau beobachtet und den richtigen Moment abgepasst, um auf den Auslöser zu drücken.
Denn um etwas anderes geht es ja nicht, als diesen geschulten Blick für den richtigen Moment. Geschichten erzählt das Leben von ganz allein. Da ist sogar manchmal die Kulisse egal, auch wenn man in der Ausstellung durchaus eigene Räume mit den Berlin-Fotografien von Arno Fischer und Leipzig-Bildern von Evelyn Richter findet. Es sind natürlich eigene thematische Bilderwelten, die sich hier auftun, die aber erfahrbar machen, wie nah sich alle drei Fotografen in ihrer Sicht auf die Welt waren – bis hin zu gemeinsamen Reisen, wo sie in stiller Kollegialität auf Bilderjagd gingen.
Und so kommt mit den beiden Künstler-Archiven natürlich auch etwas zusammen, was vom Wesen her zusammengehört. Ob auch Arno Fischer einmal dazugehören wird, ist völlig offen. Aber wichtiger ist wohl, dass diese Bilder nicht nur archivalisch betreut werden, sondern auch wieder ein Publikum finden. Und es lohnt sich, auch wenn es eben mal nicht die großen Ölbilder sind, sondern Fotografien, die ihre Faszination erst ganz entfalten, wenn man näher herantritt. Nicht zu nah. Wenn man nicht aufpasst, landet man mitten im Leipzig des Jahres 1955 oder im Maitagsgewühl auf dem Alexanderplatz 1966, als diese Sache mit den Fahnen und Verheißungen noch nicht so abgelatscht und unerträglich geworden war wie 20 Jahre später. Und obwohl sich alles geändert hat, wirken die geschäftigen Mütter, die verhärteten Alten, die übermütigen Kinder so vertraut, als wäre das alles gerade eben passiert. Das ist der Punkt, an dem die richtig gute dokumentarische Fotografie beginnt und Bilder festhält, die gültig sind ein ganzes Leben und über den Tag hinaus.
Da schnurren auch die 20 Jahre, die es die Ostdeutsche Sparkassenstiftung jetzt gibt, zusammen auf einen Tag. Die sind eigentlich der Anlass für diese Ausstellung. Am 11. Juli feiert die Stiftung im Museum ihr Jubiläum. Und dazu hat sie sich genau diese Ausstellung gewünscht, um auch zu zeigen, dass hier in Leipzig etwas am Entstehen ist, was vielleicht mal so etwas werden könnte wie das „Mitteldeutsche Foto-Archiv“.
Die Ausstellung „Ursula Arnold. Arno Fischer. Evelyn Richter: Gehaltene Zeit“ ist vom 3. Juli bis zum 3. Oktober im Museum der bildenden Künste zu sehen. Eröffnung ist am Samstag, 2. Juli, 18 Uhr.
Zur Ausstellung ist auch ein dicker Katalog erschienen. Den besprechen wir natürlich demnächst an dieser Stelle.
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