Am heutigen Samstag, 13. Februar, um 18 Uhr wird im Museum der bildenden Künste die erste Doppelaustellung des Jahres eröffnet. Nicht nur im Untergeschoss, wo sich die Ausstellungen von Via Lewandowsky („Hokuspokus“) und Stefan Koppelkamm („Häuser Räume Stimmen“) begegnen. Aber was haben die beiden eigentlich miteinander zu tun, außer dass sie mal in Berlin Ateliernachbarn waren?

Vielleicht genau dieses Hokuspokus, das Via Lewandowsky als sprechenden Titel für seine Ausstellung gewählt hat. Hier geht es um Glauben, um Wahrnehmung, um Wissen und um Missverständnisse – produktiv gemachte Missverständnisse. Am Freitag, 12. Februar, wollte Hans-Werner Schmidt, Direktor des Museums der bildenden Künste, Via Lewandowsky gleich mal für den nächsten Kurt-Schwitter-Preis vorschlagen, quasi als jüngsten Vertreter des Dadaismus, welcher dieser Tage 100 Jahre alt wurde. Der Künstler lehnte nicht gleich ab. Einer wie Lewandowsky weiß, wie sehr das, was er tut, dem entspricht, was die Dadaisten damals in Paris und anderswo wie eine Gaudi inszinierten, aber eigentlich bitterernst meinten.

Ein wenig wirkt die moderne Kunst-Rezeption ja auch deshalb so konfus, weil die Kunstwissenschaft sich noch Jahrzehnte lang sträubte, auf die Fragen überhaupt einzugehen, die Dada gestellt hatte. Denn Dada war ja tatsächlich Endpunkt der Moderne. Danach kam nichts anderes mehr, auch wenn die Kunst-Einordner noch Dutzende weiterer Stile und Moden definierten. Doch Dada hatte die wesentliche Frage gestellt: Was ist Kunst? Wo beginnt das? Gibt es eine Nahtstelle, die zum Beispiel das (Kunst-)Handwerk von der artistischen Kunst trennt? Oder ist Kunst von Wissenschaft getrennt oder nicht eigentlich nur die Art und Weise, wie wir die Welt sehen und Widersprüche wahrnehmen?

Wenn wir sie noch wahrnehmen.

Via Lewandowsky: Alles, was der Fall ist (2015). Foto: Ralf Julke
Via Lewandowsky: Alles, was der Fall ist (2015). Foto: Ralf Julke

So wie der Dresdner Via Lewandowsky eben, der schon 1990 versuchte, den engen Formenkanon dessen, was in der DDR opportun war, zu durchbrechen. Und der nach 1990 nicht aufhörte damit, Vorgefundenes zu demontieren, umzubauen, zu verfremden. Gar in Formen zu zwingen, die auf den ersten Blick irritieren, weil man sie an dieser Stelle nicht erwartet hat. Das tut der Mann ja nun konsequent seit Jahrzehnten. 1995 bekam er dafür den Kunstpreis der LVZ. Missverständnisse produzieren, nennt er das.

Aber natürlich geht er über Dada hinaus, hat sich das Repertoire angeeignet, verbindet es aber mit jeder Menge Zeit-, Gesellschafts- und Ideologiekritik. Man könnte auch sagen: Es ist sein Ding, die Betrachter zu verstören und aus den gewohnten Seh- und Interpretations-Rastern herauszureißen.

Ein Wellensittich, der nicht brav ausgestopft auf der Stange sitzt, sondern sich in den Vitrinensockel bohrt? Ein Megaphon, das die ganze Zeit seltsame Räusper-Geräusche von sich gibt, als müsse es all das noch einmal ausspucken, was im Lauf der Zeit hineingeschrien wurde. Ein Baseballschläger, dem nach getanem Werk die Schlappheit anzusehen ist. Ein Hochsitz, der einfach nicht zur Ruhe kommen will. Und da – hoch oben in der Ecke – eine leuchtende „42“, der ganze heilige Sinn der Welt. Verleugnen kann dieser Künstler aus Dresden seine Prägung in ideologie-überfrachteten Zeiten nicht. Das lebt er aus. 2015 zuletzt mit seiner Riesen-Installation „SIEG“, mit echten Leuchtbuchstaben einer Parole, die bis 1987 auf dem Dach eines Dresdner Hochhauses leuchtete: „Der Sozialismus siegt“.

Ausstellungsraum II mit Via Lewandowskys "Oh Eiche" (2015). Foto: Ralf Julke
Ausstellungsraum II mit Via Lewandowskys „Oh Eiche“ (2015). Foto: Ralf Julke

Als Sachse weiß man mittlerweile, was das heißt. Und wie tief Parolen im Unterbewusstsein stecken, die einem Jahrzehnte lang eingebläut wurden. Nur: Die Wenigsten setzten sich mit dem Spuk so intensiv und ironisch auseinander wie Lewandowsky. Denn das muss man tun, um die Blasen, Verfälschungen und Trug-Bilder auch in der Gegewart zu erkennen. Der Mensch ist verführbar. Und nur zu gern glaubt er Parolen, Marketing- und Werbeblasen. Er analysiert seine Welt nicht, sondern nimmt sie meist für bare Münze – zumeist glaubt er einfach, was ihm eingetrichtert und vorgetrötet wird.

Deswegen dürfte die große Halle den Eintretenden sofort erfreuen, denn hier hat Lewandowsky einfach mal geballt gesammelt, was er so im Lauf der Zeit als irritierenden Kommentar zu scheinbar ernsthaften Dingen geschaffen hat – angefangen mit der selbstverliebten Plastik mit dem Titel „Narziss“.

Das steht nicht dran.

„Das haben wir mit Absicht so gemacht“, sagt Dr. Frédéric Bußmann, der die Lewandowsky-Ausstellung kuratiert hat. Der Besucher darf also – von keinerlei Hinweisschild irrititiert – seine eigenen Irritationen suchen. Oder einfach innige Freude dabei haben, die Ironie in jedem einzelnen Ausstellungsstück selbst zu finden. Vielleicht nicht mal die vom Künstler gemeinte. Das war schon die Stärke bei Dada: Die Verfremdung von etwas Altvertrautem zeigt den Gegenstand erst als Zeichen und Instrument unserer Weltvorstellungen. Und unseres Glaubens.

Denn Vieles von dem, von dessen Existenz wir felsenfest überzeugt sind, glauben wir nur, nehmen das gebotene Bild schon für das Eigentliche. Und so sehen wir oft gar nicht mehr, wie wir damit manipuliert werden.

Trost für alle, die dabei schrecklich verunsichert sind: Es gibt ein Heftchen, in dem alle von Lewandowsky gezeigten Stücke noch einmal aufgeführt und vom Künstler selbst mit ein, zwei Sätzen erklärt werden. Oder verunklärt. Aber die Erklärungen bieten trotzdem den richtigen Stoff, denn in der Ausstellung sieht man, wie es gemacht wird. Oder auch ES. Denn das Prinzip ist auch in der realen Welt immer dasselbe: „Die Täuschung als ästhetisches Prinzip …“ („Nimbus, Limbus“) Das trifft nicht nur auf Schriften, Parolen, Glaubenssätze zu, sondern auch auf ästhetische Inszenierungen. Und auf Museumspräsentationen sowieso.

Via Lewandowsky: Tischgebet (2009). Foto: Ralf Julke
Via Lewandowsky: Tischgebet (2009). Foto: Ralf Julke

Ziel seiner Arbeit, so Lewandowsky, sei es eben, „Missverständnisse weiter zu kultivieren“. Nur so lernt man was. Nur so lernt man, Maskeraden und potemkinsche Installationen zu hinterfragen. Und das beschränkt sich nicht nur auf die Räume im Untergeschoss – auch auf den anderen Etagen des Bildermuseums tauchen dieser Tage Installationen von Via Lewandowsky auf: mal ist es eine Standard-Uhr, die rückwärts läuft, mal ein Ölgemälde, das von der Wand gerutscht ist, mal eine Fliegenschar aus dem Jahr 1977, die jetzt „Nur unsere Besten“ darstellen muss.

Immer wieder frappieren die ästhetischen Leuchtschriften, die man als landläufiger Inländer aber nicht entziffern kann: Das Menetekel an der Wand, das nicht unbedingt eine Hiobsbotschaft sein muss – manchmal ist es sogar eine Botschaft aus den Tiefen der Jahrtausende.

Was muss man da noch sagen, außer: Wer sich diesen Genuss, diese Ballung von inszenierten Missverständnissen entgehen lässt, der hat in diesem Ausstellungsjahr schon was verpasst. Denn so schnell wird’s keine solche Lewandowsky-Schau mehr in diesem Haus geben. Die letzte war 1995 im damaligen Haus, dem alten Reichsgericht. Und was jetzt in Leipzig in großem Format zu sehen ist, war 2015 in kleinem Format in Kiel zu sehen. Hans-Werner Schmidt sprach gar von einem abtrünnigen Künstler. Aber was sagt das? Nichts. Wenn so ein widerspruchsvoller Kopf über das kleine, verklemmte Sachsen hinaus nicht wahrgenommen wird, was dann sonst? Blumenstilleben? Elbpanoramen? Bierwerbung?

Die schlichte Wahrheit ist: Gerade in Typen wie Lewandowsky wird das eigentlich Lebendige in der Kunst aus dem Osten sichtbar, das Wissen um Tricks und Täuschungen, den Chamäleoncharakter der Institutionen und die Inszenierung menschlichen Miteinanders, in der die Inszenierten oft gar nicht mehr merken, wie sie inszeniert und getäuscht werden. Es gab am Freitag zum Pressegespräch zwar auch ein paar Sticheleien gegen die neue und die alte Leipziger Schule – aber in den besten Malern dieser Schule wird man dieselbe Ironie wiederfinden im Umgang mit Ideologie und Glauben.

Das kann sich sehen lassen, ist aber natürlich nur etwas für Leute, die ihre Neugier nicht verloren haben auf die Mechanismen der Welt-Inszenierungen. Und wer glaubt, nur die alten Plakatierer im Osten hätten das drauf, die Menschen zu verblenden mit falschen Parolen, der lernt bei Lewandowsky ein bisschen mehr über sich und die Vorstellung von der Welt, über Geglaubtes und Getrickstes.

Und damit man sich das in seinen Kalender eintragen kann: Die Ausstellung „Hokuspokus“ ist im Museum der bildenden Künste vom 14. Februar bis zum 29. Mai zu sehen.

Offiziell eröffnet wird sie – zusammen mit der Koppelkamm-Ausstellung – „Häuser Räume Stimmen“ – am heutigen Samstag, 13. Februar, um 18 Uhr.

Und was hat das nun wirklich mit Stefan Koppelkamm zu tun?

Dazu gleich mehr an dieser Stelle.

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