Das Verblüffende an den Kunstpreisen, die die SachsenBank und die LVZ in Leipzig im jährlichen Wechsel vergeben, ist gar nicht mal die Vielfalt künstlerischer Stile, die sie würdigen, sondern das, was man der Kunst der Gegenwart oft gar nicht mehr zutraut: dass die ausgewählten Künstler gesellschaftlich brennende Themen thematisieren. Und vor allem: wie sie es tun. Etwa der Neueste in der Runde: Owen Gump.
Am heutigen Freitag, 27. November, bekommt der Kalifornier im Leipziger Museum der bildenden Künste ganz offiziell den 11. Kunstpreis der Leipziger Volkszeitung überreicht. Samt 10.000 Euro Preisgeld und einem Katalog mit seinen Arbeiten. Ausgewählt hat ihn wieder eine Jury, vorrangig besetzt mit Experten, die nicht aus Leipzig kommen. Das sei wichtig, um wirklich einen unabhängigen Blick auf die Künstler zu bekommen, die sich um den Preis beworben haben. Das betonten am Donnerstag zum Presserundgang Hans-Werner Schmidt, Direktor des Museums der bildenden Künste, und Björn Steigert, Geschäftsführer der LVZ-Mutter Leipziger Verlags- und Druckereigesellschaft unisono. Und schwärmten dann trotzdem davon, wie spannend die Jury-Sitzung in der Kuppelhalle der LVZ war.
Aber die LVZ-Vertreter in der Runde durften nur beraten, die Entscheidung selbst trafen – neben Hans-Werner Schmidt – der Frankfurter Dr. Martin Engler, die Dresdnerin Susanne Altmann, der Hannoveraner Dr. Reinhard Spieler und – quasi als Entsandter der LVZ-Übermutter Madsack – Dr. Friedhelm Haak.
Klingt alles sehr verworren. Aber das Ergebnis kann sich sehen lassen. Und die Leipziger können es ab Samstag, 28. November, im Bildermuseum auch wieder in einer kleinen Kabinettausstellung sehen. Und es ist wie all die Jahre zuvor auch: Es ist gut, sich mit dem Geschriebenen und Gedachten hinter den gezeigten Bildern zu beschäftigen. Das gehört dazu, sonst hält man die Fotografien des 1980 in Kentfield / Kalifornien geborenen Owen Gump nur für Fotografien, irgendwie aufgenommen da drüben im Westen der USA, in Landschaften, die einem verdächtig vertraut vorkommen aus vielen amerikanischen Roadmovies. Kinogänger werden sich an Wim Wenders Film “Paris, Texas” von 1984 erinnert fühlen. Noch ältere Kinogänger werden einige Landschaften aus alten Western erkennen.
Aber man darf schon beim Titel stutzen. Denn “El Nino” soll tatsächlich an das Klimaphänomen erinnern, das das Weltwetter alle paar Jahre durcheinander bringt und besonders heftige Auswirkungen auf die Westküste der USA hat, so wie auch 2015 wieder, als Kalifornien unter einer Dürre litt, wie man sie dort seit 80 Jahren nicht mehr erlebt hat. Für Owen Gump, der sein Leben im Spagat zwischen Berlin und Nord-Kalifornien verbringt, war die heftige El-Nino-Debatte in seinem Heimatbundesstaat Anlass, das Phänomen mit der Kamera festzuhalten – mit der Frage im Hinterkopf: Wie sehr hat der Mensch eigentlich in diese Landschaften eingegriffen? Und was wird bleiben?
Entstanden ist eine ganze Serie in scharfen Schwarz-Weiß-Konstrasten gehaltener Aufnahmen, die eben nicht – wie Hans-Werner Schmidt fröhlich spottete – Sünden des Städtebaus an der kalifornischen Küste zeigen, sondern die stillen, menschenleeren Landschaften der Küstenregion, die durchaus auch suggerieren: Diese Landschaften können auch ohne den Menschen auskommen. Die Natur holt sich alles wieder. Und die Häuser, Schilder, Stege werden noch eine Weile als Relikte an die Präsenz der Menschen erinnern – aber dann kommen ein paar große Stürme und Unwetter, und alles ist wieder so still und verlassen wie zuvor.
Logischerweise heißt die Foto-Serie “California” und korrespondiert mit der Nevada-Serie im Nachbarraum, wo Owen Gump auch durch die Auslage der Fotos in Vitrinen das Prozesshafte betont, die Verwandlung von fotografischen Aufnahmen aus einem der tristesten und verlassensten Bundesstaaten in Bildern, die auch im Reisealbum auftauchen könnten.
Doch wenn man genauer hinschaut, sieht man auch hier den fast listigen Blick des Fotografen, der diese grandiose Verlassenheit, in der sich zeitweilig das US-Militär wie Zuhause fühlte und einst tatsächlich der echte Wilde Westen lag mit seinen Silberminen und Glückssucher-Städten, in Gelatine-Silber-Abzügen festgehalten hat. Aus der Distanz wirken die Bilder wie Illustrationen uralter Reiseberichte. Beim Anschauen aus der Nähe werden die Details sichtbar, die Spuren menschlicher Anwesenheit. Die Menschen sind längst wieder fortgezogen, wenn sie nicht irgendwo in der Nähe wieder in einem riesigen Bergbau beschäftigt sind, doch in der Wüste bleiben die Überbleibsel ihres Tuns noch lange sichtbar.
Da denkt man dann nicht nur über die Vergänglichkeit allen menschlichen Tuns nach (das durch die Darstellung in der klassischen Fototechnik noch eine weitere Dimension bekommt – eine Fotografie-Historische), sondern auch über die Inszenierung von Geschichte. Denn hier ist unübersehbar ein dickes Stück amerikanischer Geschichte zu sehen – erodiert, vom Wind geschleift, von der Sonne verblichen. Man sieht auch die Kulisse des echten amerikanischen Westens, den Hollywood so romantisch überhöht hat.
Das ist dann im dritten Raum zu sehen, wo sich Gump mit der Kamera ins Vorland der Filmstadt Los Angeles begeben hat und dort jene bizarren Felslandschaften abgelichtet hat, die in den 1930er bis in die 1960er Jahre die Kulisse für Dutzende Wild-West-Filme waren, später die unheimliche Heimat eines Charles Manson und seit ein paar Jahren Landschaftsschutzgebiet. Und tatsächlich erinnert – auch nach mehreren Waldbränden – nichts mehr an die Vorgeschichte dieses Stücks Wildnis vor den Toren Hollywoods, nur der Fotograf, der die alten Bilder aus Filmen und Nachrichten im Kopf hat, findet die Steinformationen wieder und inszeniert sie neu. Und er macht damit sichtbar, wie sehr die Sprache der Bilder von dem abhängt, was wir als Betrachter selbst schon an Wissen – oder Nicht-Wissen – mitbringen.
“Fault Zone” hat Gump diese Serie genannt. Am Horizont sieht man die Riesenstadt Los Angeles schon langsam näher wachsen. Und man schaut und fragt sich: Bietet diese Landschaft nun ein kulturelles Gedächtnis oder wird sie für den Betrachter erst lebendig, weil er seine Erinnerungen mitbringt?
Und zu Recht tauchte da die Frage auf: Hat Owen Gump denn nicht in gleicher Weise auch mal verwüstete deutsche Landschaften fotografiert? Immerhin hat er (nach dem Besuch der University of Washington / Seattle) die Kunstakademie in Düsseldorf und dann die HGB in Leipzig besucht, wo er auch sein Diplom gemacht hat.
Aber so fotografieren, wie es Owen Gump bei seinen jährlichen Aufenthalten in den USA macht, kann man wohl nur, wenn man die ganze Vorgeschichte der Landschaft verinnerlicht hat, wenn einem das Stück Erde so vertraut ist, dass man in den zufälligen Spuren und Relikten auch das wiedererkennt, was hier geschehen ist. So eine Beziehung, sagt Gump, habe er nun einmal zu deutschen Landschaften nicht. Womit er wohl das benennt, was Billionen von heutzutage so schnell gemachten Fotos so leer und tiefenlos wirken lässt: Es braucht das Wissen der Fotografen um die Geschichte einer Landschaft, die auch ihre Bildwahl bestimmt. So wird das Stück Mehr sichtbar, das auch scheinbar völlig leeren Landschaften so eine Atmosphäre gibt, als könnte man das Knistern der Luft fühlen, würde direkt dastehen vor dem Bergkegel mitten in einer Steppe, die einlädt zum Loslaufen und zur Flucht zugleich.
Da sieht man die Spuren, die Menschen hinterlassen, und spürt dabei gleichzeitig, dass alle diese kaputten Gefilde auch dann noch da sein werden, wenn die Menschen es mit ihrer wunderbaren Gabe der Gnadenlosigkeit geschafft haben, die eigene Existenz auszuradieren. Dann geht trotzdem mit jedem El Nino ein neues Wetterchaos über das Land. Und es ist egal. Völlig egal. Die schießwütigen Cowboys haben sich selbst überflüssig gemacht und dann wohl bis zuletzt nicht begriffen, wie lächerlich ihre Großmäuligkeit immer war vor der großen Einsamkeit der Welt.
Die Ausstellung “El Nino” mit rund 60 Fotografien von Owen Gump ist im Museum der bildenden Künste vom 28. November 2015 bis zum 28. Februar 2015 zu sehen.
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