Es ist romantisch. Es ist malerisch. Es ist theatralisch. Und es hat seinen Reiz. Am heutigen Samstag, 10. Oktober, um 18 Uhr wird die Ausstellung "Eugène Delacroix & Paul Delaroche. Geschichte als Sensation" im Leipziger Museum der bildenden Künste eröffnet. Und Napoleon ist natürlich auch dabei. Als kommender Mann 1800 und als Geschlagener von 1814.
Beides Bilder von Paul Delaroche, dem Star der französischen Malerszene zwischen 1820 und 1850. Dela…wer? Da kommt der moderne Betrachter natürlich ins Grübeln. Denn berühmter ist heute ein ganz anderer Maler, der gerade mal ein Jahr jüngere Eugène Delacroix. Und zwar nicht für den “Tod des Sardanapal”, der ab Sonntag in der Ausstellung einer der Hingucker sein wird und der 1827 im Pariser Salon für einen der ganz frühen Skandale in der französischen Kunst gesorgt hat. Drei Jahre später, als die Pariser mal wieder auf die Barrikaden gingen, malte er sein berühmtestes Bild: “Die Freiheit führt das Volk”.
Es erstaunt schon, wenn Jan Nicolaisen, Kurator der Ausstellung, Heinrich Heines Schwärmerei vor Delaroches Gemälde “Die Kinder Eduard IV.” erwähnt, die noch viel größere Schwärmerei Heines vor Delacroix’ “Freiheit” im selben Jahr aber nicht.
Ein wenig hat das mit der Geschichte zu tun, die das Museum der bildenden Künste jetzt zur Doppel-Ausstellung Delaroche / Delacroix erzählt – vom Star seiner Zeit, dem berühmten Historienmaler und Akademiemitglied Delaroche, und dem zu seiner Zeit verkannten und skandalumwitterten Delacroix. Ein Verhältnis, das noch im 19. Jahrhundert kippte und Delaroches Stern zum Sinken brachte, während “Delacroix zum Ahnen der expressiven Kunst erklärt wurde”, wie es Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt formuliert.
Übrigens eine Entwicklung, die so auch in Deutschland mit 30-jähriger Verspätung geschah. Hier fasste die expressive Malerei erst Ende des 19. Jahrhunderts Fuß. Einen der deutschen Vertreter, Lovis Corinth, hat ja das Leipziger Museum im Jahr 2008 mit einer großen Ausstellung gewürdigt.
Dass jetzt ausgerechnet zwei französische Romantiker im Mittelpunkt einer Ausstellung stehen, hat natürlich mit einem der großen Stifter des Museums, dem Seidenhändler Adolph Heinrich Schletter (1793 – 1853) zu tun, der sich seinerzeit für die furiose Malerei der Franzosen regelrecht begeisterte. Was nur allzu verständlich ist, wenn man dazu die biedere Landschafts- und Rom-Malerei der deutschen Kunst aus dieser Zeit sieht. Und es ist auch verständlich, dass der 1845 erworbene “Napoleon I. in Fontainebleau” in Leipzig und darüber hinaus Furore machte, als ihn Schletter in seiner Galerie in der Grimmaischen Straße 112 präsentierte, denn so einen eindringlichen Blick auf ein historisches Ereignis bekam man damals von keinem deutschen Maler gemalt. Nicht nur die offizielle Kultur war bieder – die Malerei war es auch. Und man versteht auch Heine, warum er da im Pariser Salon vor diesen Bildern stehen blieb und ins Schwärmen geriet.
Denn in Paris erlebte er eine andere Romantik, als sie damals in Deutschland gefeiert wurde. Die französische Romantik war keineswegs blümchen- und märchenhaft, wie sie im biederen Deutschland zelebriert wurde. Da ging die Post ab und das Echo der Revolution und all ihrer Folgen loderte nicht nur in den Bildern, sondern auch in der Musik und der Literatur. Dumas schrieb dicke Wälzer zur Napoleonzeit, Balzac widmete sich in malerisch inszenierten Romanen der Fronde, Eugène Sue widmete sich den “Geheimnissen von Paris”, Stendhal feierte die große Liebe in den napoleonischen Kriegsjahren und der größte aller Romantiker, Victor Hugo, feierte in “Die Elenden” das arme, revolutionstrunkene Volk von Paris. Der Gavroche, den er da zum Leben erweckte, ist – wenn man so will – wieder in Delacroix’ “Freiheit” zu sehen.
Und so sieht man es auch beim Rundgang durch die Ausstellung im gedimmten Licht. Immerhin stammen 30 Gemälde direkt aus der Sammlung des Louvre. “Die Leihgeber haben sich maximal 50 Lux ausbedungen”, sagt Hans-Werner Schmidt. “Aber man gewöhnt sich dran.”
Und man fühlt sich ein bisschen wie damals im Pariser Salon, auch wenn einen – wie Jan Nicolaisen betont – diese Bilder nicht mehr in Gefühlsabgründe stürzen wie damals das Publikum. Es ist eine Zeitreise. Eine Reise in eine Epoche, in der Künstler für sich entdeckten, dass man mit Kunst auch anrühren kann. Auch mit “Historienschinken”, wie es ein Journalistenkollege so salopp formulierte. Aber so geht es Kunstepochen oft: Sie schaffen etwas Neues, was von den Zeitgenossen als revolutionär erfahren wird (oder skandalös, wie bei Delacroix), und für die nachfolgenden Generationen ist das schon so selbstverständlich, dass sie schon wieder mit Verachtung auf diese Vergangenheit schauen. Was zumindest bis in die 1960er Jahre hinein dazu führte, dass die Historienmalerei des frühen 19. Jahrhunderts geradezu in Verruf war. “Historienschinken” eben. “Aber die Rehabilitierung ist jetzt auch schon wieder ein halbes Jahrhundert in Gang”, sagt Schmidt.
Und in gewisser Weise ist die Leipziger Schau jetzt eine doppelte Rehabilitierung – vor allem für Delaroche, der seine Zeitgenossen vor allem durch seine Präzision und seine historisch detailversessene Arbeitsweise beeindruckte. Nicht nur Shakespeare und Byron begeisterten damals das Publikum, sondern auch ein Schotte namens Walter Scott, der als erster die dicken, atmosphärischen Szenerien entwarf, ohne die heute keine historische Verfilmung auskommt. Tatsächlich ist das ganze frühe 19. Jahrhundert eine Entdeckerzeit: Praktisch in allen Kunstrichtungen wurde mit der Erzeugung emotionaler Eindrücke experimentiert. Und am offenherzigsten taten das die Franzosen, die ja nicht nur revolutionsverliebt waren, sondern geradezu theaterbesessen. Und was dominierte auf den Pariser Theatern? Deutsches Erbauungsdrama? Nicht die Bohne. Historienstücke waren der Renner. Groß musste es sein, blutig, heroenhaft, passend zu einer Zeit, in der selbst der brave Pariser Bürger wusste, wie man Barrikaden baut.
Da und dort findet man auch diese französische Zeitgeschichte in den Bildern. Aber es fällt auf – bei Delaroche genauso wie bei Delacroix – wie sehr sie vom Theater und der theatralischen Inszenierung von Geschichte inspiriert waren. Jan Nicolaisen spricht sogar von “literarisch inszenierten Bildern”. Beide Maler haben ihre stärksten Bildmotive direkt aus literarischen Verarbeitungen historischer Szenen bezogen. Und tatsächlich fehlt in der Ausstellung noch ein Dritter, der früh verstorbene Jean-Louis André Théodore Géricault, dessen “Floß der Medusa” sich als Reminiszenz in Delacroix’ “Dante-Barke” wiederfindet.
Aber warum erschütterte gerade der “Tod des Sardanapal” die Pariser Kunstkritik 1827 so? Nicolaisen benennt die Ballung von nackten Leibern (offenkundige Erotik), die dargestellte Gewalt und den expressiven Malstil als Gründe. In dieser Ballung haben die drei tatsächlich das ganze 19. Jahrhundert hindurch immer wieder für ordentliche Skandale in Frankreich gesorgt – man denke nur an die Aufregung um Flauberts “Madame Bovary”. Das eben noch rebellische Bürgertum war durchaus bereit, große theatralische Gefühlsinszenierungen anzusehen, aber vor den eigenen emotionalen Abgründen scheute es immer zurück.
Das brachte Delaroche den Sitz in der Akademie ein und ließ Delacroix wütend an der verschlossenen Tür rütteln. Auch wenn das Bild vom auftragslosen Künstler, das er selbst verbreitet hat, so wohl nicht stimmen kann, wie Nicolaisen erwähnt.
Und so geht man heute durch diese große Bilderschau, sieht auch in hunderten Skizzen, wie die beiden Maler ihre manchmal gewaltigen, manchmal erstaunlich kleinen Inszenierungen einer Geschichte entwickelten, die immer groß, aufregend und anrührend war. Und selbst vor den Napoleonbildern wird man das Gefühl nicht los, dass auch hier die kluge Inszenierung vorherrscht, die selbst den Gescheiterten noch überhöht. Und vor allem selbst in Sachsen akzeptabel machte, wo er ja bekanntlich eine seiner großen Niederlagen kassierte und ähnlich als Gescheiterter abziehen musste. Im Moment der Niederlage ist der Bursche noch immer ein Großer. Da steckt schon ein gutes Stück moderner Machtinszenierung drin, ausprobiert und in Öl gemalt 1845. Die Romantik war – zumindest in Frankreich – alles andere als eine Spitzweg-Welt, sondern vielmehr ein Testlabor für die mediale Inszenierung der Zukunft. Was nur zu verständlich ist. Was soll ein braves Bürgertum sonst tun, wenn der eigene Alltag alles andere ist als heroisch? Da las man eben Scott, Dumas und Hugo. Und wenn man das Geld für einen Delaroche hatte, hängte man sich auch noch ein Stück Heroismus ins Wohnzimmer.
Eine durchaus moderne Schau aus einer Zeit, als man das Wort Romantik noch mit dem Wort Roman identifizierte. Und wer keinen Roman erlebt, der kauft ihn sich eben. Schletter hat sich seinerzeit ordentlich eingedeckt direkt in Paris. 30 seiner Gemälde, die er seinerzeit dem Leipziger Bildermuseum vermachte, sind jetzt ebenfalls in der Doppelausstellung zu sehen. Da sieht man dann noch ein paar andere Zeitgenossen von Delaroche und Delacroix und Schletter selbst, gemalt von Ferdinand von Rayski, natürlich brav. Rayski war ein braver Sachse und ganz unübersehbar kein Delacroix.
Die Ausstellung “Eugéne Delacroix & Paul Delaroche. Geschichte als Sensation” ist im Museum der bildenden Künste Leipzig vom 11. Oktober 2015 bis zum 17. Januar 2016 zu sehen.
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