Er war lange Zeit der stillste unter den Leipziger Malern: Erich Kissing, 1943 geboren, im Grunde Teil der 2. Generation jener Leipziger Maler, die man der Leipziger Schule zurechnen kann. Einer der besten Techniker, aber zurückhaltend, was den Weg an die Öffentlichkeit betrifft. Jetzt aber hat das Leipziger Bildermuseum eines seiner markantesten Bilder bekommen.
Am Mittwoch, 29. Juli, meldete das Museum der bildenden Künste: Durch die großzügige Unterstützung des Frankfurter Sammlers Fritz P. Mayer und das Engagement der Galerie Schwind konnte das Museum der bildenden Künste Leipzig Erich Kissings Gruppenbildnis „Leipziger am Meer“ (1975–1979) erwerben.
Erich Kissing, 1943 in Leipzig geboren, lebt und arbeitet auch in Leipzig. In seinem echten Liebhaberbuch “Zu Gast bei Mattheuer und Rauch” schildert Sammler und Hotelbetreiber Klaus Eberhard auch einen Besuch bei Erich Kissing im Jahr 1994. Ein Besuch, der den Sammler verblüffte, denn der Maler, der für ein Bild in seiner feinen Malweise in Eitempera und Öl auf Hartfaser oft ein, zwei Jahre braucht, lebte unter kärglichsten Umständen, wollte aber seine Bilder zu Preisen verkaufen, die auch die Möglichkeiten Eberhards überstiegen. Ergebnis war, dass dieses Original aus einer ganzen Generation von Originalen praktisch kaum etwas verkaufte, auch wenn sich das nach Eberhards Besuch dann änderte. Mittlerweile hat Kissing auch eine professionelle Galerievermarktung und die wichtigsten Sammlungen, die sich mit diesem faszinierenden 2. Kapitel der Leipziger Schule beschäftigen, sind glücklich, wenn sie einen Kissing in ihren Beständen haben.
Das trifft jetzt auch auf das Leipziger Museum der bildenden Künste zu, das mit dem Bild „Leipziger am Meer“, das Erich Kissing von 1975 bis 1979 malte, einige der originellen Maler der “Zweiten Generation” in einem Gemälde versammelt hat. Es “zeigt auf dem in detailreicher und feiner Strichtechnik gemalten Bild eine Gruppe von Leipziger Künstlern in sommerlicher Atmosphäre, die sich in Badekleidung um eine Meerjungfrau am Strand platziert haben. Dargestellt sind Lutz Dammbeck, Peter Pfefferkorn, Günter Glombitza, Gregor Schade, Wolfram Ebersbach, Jürgen Mesik und Erich Kissing selbst”, beschreibt das Museum seinen glücklichen Fang.
Gleichzeitig ordnet man das Bild aber gleich mal wieder so pedantisch ein in sein Repertoire, dass man das Gefühl bekommt, man wolle den Leipzigern gar nicht erst Freude auf lebendige Kunst aufkommen lassen: “Mit der Erwerbung von Kissings Gemälde kann das Museum den Bestand Leipziger Gruppenbildnisse – eine Tradition, die durch Harry Blumes bekanntes Gruppenportrait Leipziger Künstler von 1961 begründet und durch eine jüngere Generation von Künstlern wie Sighard Gille, Arno Rink oder Ulrich Hachulla fortgeführt wurde – um eine wichtige Arbeit bereichern. Zugleich wurde damit ein bedeutendes Werk der Leipziger Malerei aus der DDR-Zeit für die Stadt dauerhaft gesichert.”
Augenscheinlich merken Kunstwissenschaftler gar nicht mehr, wie sehr ihre Pedanterie geradezu abschreckt vor Museumsbesuchen. Wen interessiert denn der “Bestand Leipziger Gruppenbildnisse” im Museum außer die Spezialisten der Gruppenmalkunst? Und was soll hier das bedeutende “Werk der Leipziger Malerei aus der DDR-Zeit”? Erst recht bei Kissing, der sich – wie in diesem Gruppenbild exemplarisch Lutz Dammbeck – vom DDR-Kunstbetrieb weit weg hielt, lieber gar nichts verkaufte, als sich der gewünschten Präsentationsmalerei anzupassen. Die ganze Gruppe am Ostseestrand steht für diese Aufmüpfigkeit der 2. Generation – mit der im Grunde nichts anderes gemeint ist als die durchaus beeindruckende Zahl hochkarätiger Schüler aus der Hochschule für Grafik und Buchkunst, die direkt oder indirekt durch die 1. Generation der Leipziger Schule – Mattheuer, Tübke, Heisig – geprägt wurden, aber im Grunde alle ihre Kontroversen und Widersprüche in der damaligen Gesellschaft auch durch künstlerische Distanz deutlich machten.
Einige aus dieser Generation wurden dann selbst wieder Lehrer an der HGB und prägten dann die 3. Generation, die Neo-Rauch-Generation, die dann als “Neue Leipziger Schule” zu internationalem Erfolg kam. Und wer einige Bilder dieser 3. Generation genauer betrachtet, wird Malhaltungen wiederentdecken, die Erich Kissing in seiner selbstgewählten Abwesenheit über Jahrzehnte konsequent in Bilder umgesetzt hat.
Man kann zwar die Werke der Leipziger Schule im Museum der bildenden Künste in Auswahl in der Dauerausstellung sehen. Auch der neue Kissing hängt nun dort – zum Weglaufen platziert: Das Gemälde ist in der Abteilung „Leipziger Kunst nach ’45“ im Souterrain des Museums zu besichtigen, meldet das Museum.
Das klingt dann nicht ganz zufällig nach Weltkrieg und “kannste abhaken”. Und es macht deutlich, dass das Bildermuseum noch gar keinen lebendigen Zugang zu dem gefunden hat, was man seit der eingängigen Wortschöpfung “Leipziger Schule” durch den FAZ-Kunstkritiker Eduard Beaucamp in Leipzig eigentlich finden konnte. Dabei geht es nicht nur um die besonders klassische und technisch hochprofessionelle Malweise, die man an der HGB lernen konnte. Da ging es auch nicht nur um das künstlerische Lavieren zwischen den Erwartungen der regierenden Partei (“sozialistischer Realismus”) und dem Behaupten eigener künstlerischer Ansprüche. Tatsächlich geht es um eine hoch intellektuelle Malweise, die nie die künstlerische Auseinandersetzung mit der Zeit, der Gesellschaft und den – falschen – Erwartungen scheute. Voller Ironie, Satire, Spielfreude. In einer bis heute überraschenden Bandbreite.
Das Verblüffende an der 3. Generation ist nämlich, dass diese nun auch schon gestandenen Künstlerinnen und Künstler mit ganz ähnlichen Mitteln zeigen, dass diese Art, Kunst zu schaffen auch unter anderen gesellschaftlichen Rahmensetzungen weiter funktioniert, Sammler fasziniert, Betrachter in ihren Bann zieht und vor allem keine dicken Kunstkataloge braucht, die erst einmal den Bedeutungsrahmen für das Ausgestellte geben müssen.
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