Es verdichtet sich was. Das große Leipziger Jubiläumsjahr schiebt sich zusammen - und am heutigen Mittwoch, 20. Mai, öffnet im Stadtgeschichtlichen Museum auch die große Ausstellung zum Jubiläum: "1015. Leipzig von Anfang an". Eine Wunschausstellung auch für Museumsdirektor Dr. Volker Rodekamp. Denn die eigentlichen Anfänge Leipzigs liegen tief im Schlamm verborgen. Wortwörtlich.
Denn die Ausstellung taucht auch dahin, wo es keine schriftlichen Quellen gibt, wo in der Vergangenheit mancher Leipziger Mythos entstand. Aber seit 20 Jahren sind in Leipzig auch die sächsischen Landesarchäologen aktiv, die jede Baustelle nutzen, um sich in den Leipziger Untergrund zu wühlen und die Spuren des ganz alten Leipzigs zu finden. Auch des Leipzigs, das Bischof Thietmar von Merseburg erwähnt für den 20. Dezember 1015 und den Tod des Meißner Bischofs Eid in “urbe libzi”, dem Burgward Leipzig, der eben nicht nur eine Burg war, wie heute immer noch einige Plappertaschen in Büchern zur Stadtgeschichte erzählen.
“Tatsächlich war es eine richtige Stadt des 11. Jahrhundert”, sagt Dr. Thomas Westphalen, der im Sächsischen Landesamt für Archäologe für die Leipziger Stadtarchäologie zuständig ist. Er war seit dem Anfang dabei, als die Bauaktivitäten nach der “Wende” in Leipzig die Chance eröffneten, den Untergrund endlich systematisch zu erkunden.
Eher unsystematisch hat das schon in den 1950er und 1960er Jahren Herbert Küas getan, der den Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg nutzen konnte, einige wichtige Areale der Leipziger Innenstadt zu untersuchen – darunter auch den Matthäikirchhof, auf dem zu Bischof Eids Zeiten die Burg stand, auch eine Kirche (die Thietmar von Merseburg für 1017 erwähnt), vielleicht ein bisschen mehr. Zumindest gibt es seit Küas so eine vage Vorstellung, wie das ganz alte Leipzig auf dem Sandsporn am Zusammenfluss von Parthe und Weißer Elster ausgesehen haben könnte. Dass Küas dabei eine Nummer zu klein gedacht hatte, machten dann dutzende Grabungen der Landesarchäologen ab 1994 an der Hainstraße, dem Brühl und der Großen Fleischergase sichtbar.
Was Küas als Graben dicht an der Burg interpretiert hatte, entpuppte sich im Lauf von 20 Jahren Grabungen als imposanter richtiger Graben um ein Gelände von 4 Hektar Größe. Das war keine kleine Burg mehr, das war – für das 11. Jahrhundert im damals noch spärlich besiedelten Gebiet des heutigen Sachsen – eine richtige Stadt, die innerhalb eines ausgewachsenen Graben-Wall-Ringes existierte.
Die Ausstellung, die ab dem heutigen 20. Mai im Stadtgeschichtlichen Museum im Böttchergässchen zu sehen ist, zeigt viele der Funde, die die Landesarchäologen seit 1993 in Leipzig ausgegraben haben. Drei Jahre wurde an ihr gearbeitet. In großformatigen Übersichten wird versucht, das Bild des ganz frühen Leipzig zu rekonstruieren. Denn wo Schriftquellen fehlen, muss sich das Bild der frühen Stadt aus den vielen kleinen Puzzle-Steinen der Archäologen zusammensetzen. Auch wenn es – wie für diese frühe “Stadt” des 11. Jahrhunderts – bislang aus lauter Fragmenten entsteht.
Deutlich hat sich auch herausgeschält, dass die eigentliche Stadt Leipzig, auf die der Stadtbrief aus der Zeit um 1165 verweist, eine eigenständige Entwicklung war, die sich östlich der alten “urbs libzi” entwickelte und möglicherweise schon um 1110 – so Thomas Westphalen – Konturen annahm. Wie schwer sich die Forscher tun, die entsprechenden Dokumente zur frühen Stadtgründung einzusortieren, auch das wird in der Ausstellung thematisiert. Genauso wie die Sache mit dem Matsch.
Denn gesiedelt wurde auf dem Leipziger Sandsporn schon seit 6.000 Jahren. Davon zeugen ja Funde vom Thomaskirchhof. Aber auch der Name Leipzig ist deutlich älter als dessen slawische Variante von 1015, die man gern als “Ort der Linden” deutet. Denn die Wortwurzel Leih deutet darauf hin, dass hier schon eine Ortsbezeichnung aus indogermanischer Zeit vorliegt, die mit den Bedeutungen von Fließen, Schlamm, schmutzigem Wasser zusammenhängt.
Und um das anschaulich zu machen, haben die Ausstellungsmacher um Dr. Thomas Westphalen und Dr. Maike Günther eine hydrologische Karte des Leipziger Gebiets in die Ausstellung gehängt, die zeigt, wie gut man vom Leipziger Sandsporn aus die Übergänge über die Parthe (und vielleicht auch die Weiße Elster) kontrollieren konnte, wie gut der Ort aber auch über trockenes Hochgebiet mit dem Norden, Osten und Süden verbunden war. Es war also kein Zufall, dass Bischof Eid auf seiner Fahrt Richtung Westen in Leipzig landete.
Es ist nicht zu tief gestapelt, wenn die Ausstellung verspricht: “Leipzigs Ursprung in neuem Licht”.
Und das trifft dann auch auf die eigentliche Stadtgründung im 12. Jahrhundert zu, die eng zusammenhängt mit der Gründung von St. Nikolai, die im Studio des Museums eine eigene kleine Ausstellung bekommen hat.
Mit der Verleihung des Stadtrechts durch Otto den Reichen irgendwann um 1165 bekam Leipzig auch das Marktrecht nebst einige Versprechungen des Landesfürsten über erlassene Abgaben. Und die wurden 1215/1216 Thema, als die Leipziger rebellierten. “Und zwar nicht, weil sie etwas gegen das Thomaskloster hatten”, sagt Maike Günther, “sondern weil sie sich gegen höhere Abgaben wehrten.” In diesem Zusammenhang könnte der Stadtbrief eine Rolle spielen, der den Leipzigern möglicherweise als nachträgliche “Fälschung” alle Zusagen zur Stadtgründung 50 Jahre zuvor bestätigt.
Mittelaltergeschichte kann schon kompliziert sein. Aber auch spannend. Wer die Ausstellung besucht, sollte sich wirklich Zeit und Ruhe mitbringen, denn die Objekte beginnen erst zu sprechen, wenn man auch die Erklärungen, Tafeln und Karten studiert. Denn kaum hat man die Stadtgründung hinter sich, stolpert man über ein graues Gemisch aus Lehm, Kies und Schotter: Die Archäologen haben bei den Grabungen zum City-Tunnel am Markt tatsächlich ein Stück Originalpflaster des Leipziger Marktplatzes aus dem 13., 14. Jahrhundert geborgen. Er war zwar bis dahin keine Lehmgrube, wie noch in einigen alten Schriften zu lesen steht. “Aber es war auch nicht der erste Markt der Stadt”, sagt Westphalen. “Es muss noch einen älteren gegeben haben.”
Nur ist recht auffällig, dass gerade im möglicherweise ältesten Teil der Stadt, dem Nikolaiviertel, in den letzten 20 Jahren kaum Grabungen stattfanden. Ein wichtiges Stadtkapitel liegt also weiter im Dunkel.
Dafür wurden andere “verschwundene Orte” sichtbar: die innerstädtischen Friedhöfe zum Beispiel, von denen wenigstens der Thomaskirchhof ein Buddelplatz für die Ausgräber wurde. Mit den großen Grabungen auf dem Augustusplatz und dem Wilhelm-Leuschner-Platz wurden die mittelalterlichen Vorstädte sichtbar, in denen vor allem Handwerker lebten: die Grimmaische und die Petersvorstadt. Zu letzterer kommentiert Westphalen trocken: “Die Wahrscheinlichkeit, dass es hier eine frühe Peterskirche gegeben haben könnte, hat sich eigentlich in Luft aufgelöst.”
Zu den verschwundenen Orten gehört auch das alte kurfürstliche Schloss, die zweite Burg, die sich die Meißner Markgrafen errichteten, nachdem sie die Burg auf dem heutigen Matthäikirchhof aufgegeben haben. Bei den Grabungen auf dem Burgplatz hatten die Landesarchäologen gehofft, noch Spuren dieser alten Burg zu finden. Aber bis auf ein Stück Graben an der Lotterstraße und ein paar Mauerreste aus dem 14. Jahrhundert an der Burgstraße fanden sie nichts.
Und wie ist das mit dem alten urbs libzi? – Diese Siedlung scheint im Mittelalter sogar richtig wüst gefallen zu sein. “Sie hat eindeutig mit den heutigen Straßenverläufen von Hainstraße, Brühl, Großer Fleischergasse nicht das mindeste zu tun”, sagt Westphalen. Die Vermutung liegt auf der Hand, dass die Stadtentwicklung im 12. Jahrhundert in der völlig neu gegründeten Stadt östlich davon vonstatten ging und das Gebiet um den Matthäikirchhof später einfach mit überbaut wurde.
Ihr Finale findet die Ausstellung praktisch in einer der frühen Stadtansichten von Leipzig, der von 1547. Und die möchte Museumsdirektor Dr. Volker Rodekamp gern zur Grundlage eines ganz anbitionierten Projektes machen.
Die Ausstellung “1015. Leipzig von Anfang an” ist vom 20. Mai bis zum 25. Oktober im Stadtgeschichtlichen Museum im Böttchergässchen zu sehen. Danach sollen die wichtigsten Bausteine in die Dauerausstellung im Alten Rathaus integriert werden.
Dazu gleich mehr an dieser Stelle.
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