Lange hat es gedauert - und einer hätte sich auf jeden Fall gefreut, wenn er es noch erlebt hätte: Erich Loest. Er war es, der jahrelang unermüdlich dafür gekämpft hat, dass Reinhard Minkewitz' Bild "Aufrecht stehen..." in der Uni Leipzig endlich in ganzer Größe zu sehen sein würde. Seit Montag, 30. März, ist es nun so weit. Das Bild in kritischem Dialog mit Werner Tübkes "Arbeiterklasse und Intelligenz" ist im Hörsaalgebäude der Universität Leipzig zu sehen.
Zum Auftakt der Dauerausstellung hatten am Montag, 30. März, die Stiftung Friedliche Revolution und die Universität Leipzig zu einer festlichen Vernissage eingeladen. Beide Kunstwerke können montags bis freitags jeweils zwischen 7 und 21 Uhr besichtigt werden.
Das Tübke-Bild war nach 1990 vor allem deshalb in die Diskussion gekommen, weil es 1973 eines der Auftragswerke für den Neubau der Universität gewesen war, aufgehängt im Rektoratsgebäude, an dessen Außenfassade das zweite große Auftragskunstwerk hing: das Bronzerelief “Aufbruch”, das heute im Campus Jahnallee ausgelagert ist.
Für Erich Loest war klar: Den Tübke würde man unhinterfragt im neuen Ausstellungskonzept der Uni so nicht zeigen können. Deswegen trommelte er für das Minkewitz-Bild, das zur kritischen Betrachtung der jüngeren Universitäts-Geschichte herausfordert. Hier sind die kritischen Geister der Alma Mater zu sehen, die sich in DDR-Zeiten gegen die ideologische Einvernahme des Universitätsbetriebes gewehrt hatten. Im Hintergrund ist die noch intakte Paulinerkirche zu sehen, die auf Geheiß der Ulbricht-Regierung 1968 gesprengt wurde.
“Die Geschichte, die beide Bilder verbindet, wird Diskussionen anregen”, sagte die Rektorin der Universität, Prof. Dr. Beate Schücking, während der feierlichen Vernissage, bei der auch Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung sprach.
Michael Kölsch vom Vorstand der Stiftung Friedliche Revolution verwies darauf, dass beide Werke für sich und für die Zeit stehen, in der sie geschaffen wurden. “Sie konkurrieren, kommunizieren und profitieren voneinander – auch durch die räumliche Nähe. Das Spannungsfeld zwischen ihnen klagt an, klärt auf und mahnt”, fügte er hinzu. Die Stiftung hat der Universität das Minkewitz-Gemälde als Leihgabe zur Verfügung gestellt.
Die Festrede bei der Vernissage unter dem Titel “Aufrecht stehen…” hielt Werner Schulz, Bürgerrechtler und Mitglied des Kuratoriums der Stiftung Friedliche Revolution. Frank Zöllner, Direktor des Instituts für Kunstgeschichte, ordnete beide Gemälde kunsthistorisch ein.
Beide Werke stehen nun im großen historischen Kontrast zueinander.
Aber sie zeigen auch die beiden Seiten des Selbstverständnisses der Universität in DDR-Zeiten – in Minkewitz’ Bild wird der selbstbewusste bürgerliche Humanismus sichtbar, der der Leipziger Universität bis zum Ende der 1950-er Jahre hohe Anerkennung auch im Ausland verschaffte.
Tübke hat dagegen versucht, die Absicht der SED-Funktionäre ins Bild zu bringen, an der “sozialistischen Universität” den jungen, tatkräftigen “neuen Menschen” zu schaffen.
Auf dem Tübke-Gemälde von 1973 sind mehr als 100 Personen dargestellt – Mitglieder und Studenten der damaligen Karl-Marx-Universität, Bauarbeiter des Universitätsneubaus am Augustusplatz und drei politische Funktionäre. Besonders deftig fand Erich Loest die Darstellung des SED-Bezirkschefs Paul Fröhlich, der zwar zum Zeitpunkt, als das Bild entstand, schon tot war (er verstarb 1970), aber er war die treibende Kraft hinter der 1968 erfolgten Sprengung der Paulinerkirche. Die anderen Funktionäre sind Erich Grützner, Vorsitzender des Rates des Bezirkes, und Walter Kresse, OBM der Stadt Leipzig. Man findet aber auch den Altrektor Dr. Georg Mayer und Tübke selbst mit Frau und Sohn Adrian.
Mit der Vielfalt der bildlichen Darstellung eröffnen sich nach Ansicht Schückings breite Interpretationsspielräume, entsprechend sind über dieses wichtige Werk bereits viele Vorträge gehalten und Bücher geschrieben worden.
“Ich bin gespannt darauf, wie die neue Generation von Studierenden und Lehrenden an der Universität ihren Weg finden wird, sich von den Bildern anregen zu lassen zu Diskurs und Dialog, zur Auseinandersetzung mit Zeiten, in denen studentische Freiheiten, ja der Zugang zum Studium selbst reglementiert war. Und ich bin sicher, dass auch die außeruniversitäre Öffentlichkeit sich daran beteiligt”, betonte die Rektorin.
Das Kunstwerk Tübkes gilt als authentisches Zeugnis der Geschichte der Universität Leipzig zu Zeiten der DDR. Es ist eines der wichtigsten wandgebundenen Monumentalgemälde dieser Zeit. Wegen der ständigen Klimaschwankungen in der Umgebung muss es in einer speziell dafür hergestellten Vitrine ausgestellt werden. Das Gemälde ist auf eine wenig verdichtete Spanplatte aus DDR-Produktion gemalt, so dass diese Schwankungen ohne die Klimavitrine direkte Auswirkungen auf die Malschicht zur Folge gehabt hätten. Wichtige finanzielle Förderer des von der Kustodie der Universität Leipzig koordinierten Vitrinenprojektes sind Brigitte Tübke-Schellenberger und Dr. Eduard Beaucamp, der Frankfurter Promoter der Leipziger Schulen, zu der auch Tübke gehört. Noch werden weiterhin Spender für das Projekt gesucht.
Die Platzierung des Gemäldes wurde ab 2004 von einer Kunstkommission entwickelt und in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Behet Bondzio Lin, dem Sächsischen Staatsbetrieb Immobilien- und Baumanagement und dem Dezernat Planung und Technik der Universität Leipzig umgesetzt. Die Kommission hielt es für wünschenswert, im Rahmen eines Kunstkonzepts mit Hilfe von Kunstwerken nicht nur historisch entferntere Epochen, sondern auch die DDR-Zeit zu beleuchten, um sich kritisch mit ihr auseinandersetzen zu können. Ein Leitgedanke dabei war, die Kunstwerke stets in einem historisch sinnvollen Raum unterzubringen. Bei dem Bild Tübkes bot sich an, es in den Gebäuden der 1970-er Jahre aufzustellen.
Das 3,20 mal 14 Meter große Tübke-Wandbild entstand von 1970 bis 1973 als Auftragsarbeit für die Karl-Marx-Universität und wurde im damaligen Hauptgebäude platziert. Nun hängt es im Hörsaalgebäude im Foyer des zweiten Obergeschosses. Eine Etage tiefer ist das von Minkewitz geschaffene Gemälde zu sehen, zu dem der Künstler vor etwa neun Jahren vom Schriftsteller Erich Loest angeregt wurde.
“Loest wollte, dass die Antwort auf oder besser der Kommentar zu Werner Tübkes ‘Arbeiterklasse und Intelligenz’ mit dem Pinsel und nicht nur mit der Feder gegeben wird. Er wollte einen Dialog zwischen zwei Bildern anregen und diesen quasi materialisieren – verorten an dieser Universität, an authentischer Stätte. Einer Stätte der Bildung, auch der politischen Bildung und daher besonders geeignet für die Auseinandersetzung mit Vergangenheit – für Studierende wie Lehrende”, sagt Michael Kölsch. Dieser Dialog ist durch die Verlagerung auf zwei Etagen nicht ganz gelungen. Da hatte sich Loest eine direktere Auseinandersetzung gewünscht.
Aber die wird durch Tafeln zu beiden Bildern erleichtert.
Das Minkewitz-Gemälde, das in der Langform den Namen “Aufrecht stehen – für Herbert Belter, Ernst Bloch, Werner Ihmels, Hans Mayer, Wolfgang Natonek, Georg-Siegfried Schmutzler” trägt, zeigt Männer, die auf unterschiedliche Weise in den Anfangsjahren der DDR mit KGB und SED-Führung in Konflikt gerieten und dafür zum Teil mit langen Haftstrafen oder mit dem Leben bezahlt haben. Das Bild soll exemplarisch an die zahlreichen bekannten und unbekannten Opfer des SED-Regimes an der Universität Leipzig erinnern und diese gleichzeitig zur Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte anregen.
Auf weitere Spenden ist auch die Stiftung Friedliche Revolution für das Minkewitz-Bild angewiesen. Sie hatte sich im vergangenen Jahr zur Übernahme des Projektes vertraglich verpflichtet und dabei auch zugesagt, den bei der Übernahme bestehenden Fehlbetrag von rund 48.000 Euro für die Kaufsumme durch Spenden einzuwerben.
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Wurde auch Zeit.
Die Universität Leipzig hat dieses Projekt von Loest lange genug hintertrieben.
Dass es eines neuen Rektors bedurfte, damit dieses Projekt überhaupt in die Nähe einer Realisierung geraten konnte, macht mich schon sehr stutzig. Es ziemt sich für eine öffentliche Einrichtung nicht, dass ihr Leiter nach eigenem Gutdünken Einfluss haben kann.
Nun darf man gespannt die Jahre weiterzählen, bis dann die Universitätskirche eröffnet werden wird.