Ist es ein Geniestreich? Möglicherweise. Selbst im Mittagsbus rufen sich clevere Leipziger Schuljungen zu: "Ej, es gibt 'ne Klee-Ausstellung! Voll krass." Und dann spielen sie "Vainglory". Es muss also was dran sein an diesem Paul Klee. Der jetzt eine Ausstellung in Leipzig bekommt, als hätte die Stadt an ihm gewaltig etwas gut zu machen. Hat sie auch.
Denn als er vor 100 Jahren seine erste Ausstellung in einer Leipziger Privatgalerie hatte, schrieb ihn die Leipziger Presse in Grund und Boden. Als Kinderkram tat sie seine Arbeiten ab. Die Presse war damals nicht besser als heute. Sie war genauso närrisch. Es gab ein paar Edelfedern, die zumindest bei der Hautevolée der Stadt als Maßstab galten. Wenn sie vom Leder zogen, wurden Urteile für die ganze Stadtgesellschaft gefällt. Sie konnten Aufführungen im Theater zu Fall bringen, Musikerkarrieren demolieren und Ausstellungen zur Katastrophe machen, wenn ihnen etwas nicht gefiel. Und es gab damals auch genug Kleinmedien, die den Großmedien einfach hinterher schrieben. Man muss Medien nicht gleichschalten, damit alle Dasselbe schreiben. Man muss nur Journalisten den Mumm nehmen (oder den Spielraum), eine eigene Meinung zu haben.
Das war damals so wie heute. Und das war nach der Revolution von 1918 nicht viel besser. Eine Erfahrung, die gerade die sensibelsten Autoren der liberalen “Neuen Leipziger Zeitung” und der damals sozialdemokratischen LVZ immer wieder machten. Leute wie Wiegand, Natonek, Kästner. Und gerade für den Leipziger Kunstbetrieb in den 1920er Jahren eine wichtige Größe: Max Schwimmer, der sich spaltenweise richtig ärgerte über das bornierte, stockkonservative und in Kunstsachen nicht bildungswillige Leipziger (Groß-)Bürgertum. Das las damals natürlich nicht LVZ, sondern die konservativen “Leipziger Neuesten Nachrichten” aus dem Hause Herfurth. Und es bestimmte nicht nur die Spielpläne von Gewandhaus und Neuem Schauspiel (und damit auch über Verträge, Gagen, Erfolg oder Misserfolg in Leipzig), sondern auch die Kunstpolitik der Stadt. Bis hin zur Ausstellungs- und Ankaufpolitik des 1858 gegründeten Museums der bildenden Künste. Über das, was dort zu sehen war, kann man nachlesen in dem bei Lehmstedt erschienenen Band Max Schwimmer “Schriften zur Kunst. Kunstkritiken, Feuilletons und Essays 1920-1932”.
Und Schwimmer erklärte den damaligen LVZ-Lesern praktisch Woche für Woche, was alles in Leipzig nicht zu sehen war und was das Bildermuseum alles nicht ankaufte.
Es sind nicht nur die Nazis, die schuld waren an der riesigen Lücke im Sammelbestand des Museums. Im Grunde fehlt die komplette Moderne. Selbst in einer Zeit, als andere Museen in Deutschland alles dafür taten, um Impressionismus, Expressionismus, Kubismus und wie die damalige Avantgarden alle hießen, in ihre Bestände zu bekommen, kaufte das Leipziger Museum ganz im konservativen Geist des wortführenden Bürgertums die Ölschinken des späten Historismus, packte sich die Lager voll mit zweit- und drittrangiger Landschafts- und Porträtpinselei. Schwimmer findet dafür noch schönere Worte. Selber lesen.
Dass im Jahr 1937, als die Leipziger Nationalsozialisten ihren Beitrag zur Aktion “Entartete Kunst” leisteten, überhaupt fünf Arbeiten von Paul Klee in der Sammlung waren, hat nichts mit möglichen Ankäufen zu tun. Das Museum hatte nie einen Klee angekauft. “Wahrscheinlich waren es Schenkungen, die so ins Haus kamen”, vermutet Susanne Petri, die als Kuratorin die Ausstellung “Paul Klee. Sonderklasse, unverkäuflich” betreut hat. Ganz lässt sich das nicht nachvollziehen. Von den fünf Klee-Bildern existiert nur noch eines. Von vieren fehlt jede Spur.
Klee-Austellungen nach dieser oberlehrerhaften Verdammnis vor 100 Jahren gab es dann keine mehr. Wahrscheinlich mied der Künstler diese in Kunstdingen völlig zurückgebliebene Stadt, auch wenn er praktisch gleich nebenan arbeitete als Bauhaus-Lehrer in Dessau und Weimar. Und auch wenn er einen Leipziger Nationalheiligen geradezu verehrte: Johann Sebastian Bach. Dessen Musik liebte er. Er hatte ja selbst vor der bitteren Wahl gestanden: bildender Künstler werden oder Geiger? Gerade Menschen, die mehrere Talente haben, müssen so eine bittere Entscheidung treffen. Sonst bleibt alles Mittelmaß.
Das mit den “Kinderzeichnungen” als Kritik hat er wahrscheinlich nicht einmal tragisch genommen, denn bis heute fasziniert ja an seiner Kunst, dass er sein Leben lang konsequent versucht hat, die einfachen Bildwirkungen zu finden, quasi den Urgrund aller Malerei. Und aus Sicht von Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt wurde daraus die lebenslange Pflege des Stilmittels Kinderzeichnung auf höchstem Niveau. Das begeistert nicht nur Schuljungen bis heute.
Aber die Lücke im Bestand des Leipziger Bildermuseums schmerzt. Bis heute. Gerade heute, da all die Kunst der europäischen Moderne zu astronomischen Preisen gehandelt wird. So gesehen, war es auch ein Versuch, ein gähnendes Loch zu stopfen, als Hans-Werner Schmidt 2011 begann, für Leipzig eine Klee-Ausstellung zu planen. Er nahm Kontakt zum Paul Klee Zentrum in Bern auf, wo über 5.000 Arbeiten von Paul Klee gesammelt sind, und zu Prof. Wolfgang Kersten, dem Klee-Experten an der Universität Zürich. Sein Plan:
Die “ultimative Klee-Ausstellung”
Was sich natürlich etwas übermütig anhört, denn große Klee-Ausstellungen gab es in den letzten Jahrzehnten ja einige. Nur keine widmete sich so konsequent dem, was Paul Klee selbst als den eigentlichen Maßstab seines Werkes bezeichnet hatte – zu Lebzeiten schon und systematisch: den farbigen Zeichnungen, die der Künstler selbst als “Sonderklasse” ausgezeichnet hatte. Das tat er ab 1925, als er eine umfassende Klassifikation für seine Zeichnungen schuf – acht Verkaufsklassen von 300 Reichsmark bis 1.000 Reichsmark. Und oben drüber eine Sonderklasse, die noch teurer sein durfte. Der Mann wollte die Kontrolle behalten über sein Werk und die Marktpreise.
1928 verschärfte er das Ganze noch. Seitdem bezeichnete er seine Sonderklasse selbst als unverkäuflich. Die Bilder sollten nach seinem Tod den Standard bilden zur Interpretation seines Werkes.
Aber auch Klee hatte seine Pläne ohne die Abgründe der Zeit gemacht. Bis 1933 sind solche Kürzel wie “SKL” auf seinen Zeichnungen zu finden, danach nur noch vereinzelt. Die aufkommenden Nationalsozialisten zerstörten nicht nur seine Anstellung als Lehrer an der Kunstakademie Düsseldorf, sie zerstörten auch den Markt für seine Bilder.
Da half auch nicht, dass Klee versuchte, selbst Arbeiten aus der “Sonderklasse” zu verkaufen. Zehn Stück konnte er wohl verkaufen, merkt Susanne Petri an, die nicht nur die Vorbereitung der Ausstellung in Leipzig hinter sich hat, sondern auch zwei Jahre Arbeit (zusammen mit der Mannschaft um Prof. Wolfgang Kersten) am opulenten Katalog zu Klees “Sonderklasse”, der pünktlich zur Ausstellungseröffnung vorliegt.
Trotzdem sind von 297 Arbeiten, die Klee als “Sonderklasse” ausgewiesen hat, nur rund 100 im Paul Klee Zentrum in Bern erhalten. Zwei Drittel dieser Arbeiten kamen dann wohl aus dem Nachlass in den Kunsthandel und sind heute zumeist in privater Hand. Einige befinden sich auch in namhaften Museen der Welt. Und da ist wohl den Ausstellungsmachern ein gutes Stück Arbeit gelungen, weil sie es geschafft haben, rund 35 Arbeiten vor allem aus europäischen Sammlungen nach Leipzig zu holen. “Was schon längst nicht mehr selbstverständlich ist”, sagt Petri. Denn die meisten Museen haben mit solchen Ausleihen in vergangener Zeit schlechte Erfahrungen gesammelt. Oft genug wurden Klees Arbeiten thematisch falsch eingeordnet.
Doch als die Museumsdirektoren erfuhren, das Leipzig die “Sonderklasse” zeigen wolle, machten sie mit. Insgesamt sind 136 Leihgaben in Leipzig zu sehen – 100 allein aus dem Paul Klee Zentrum in Bern, wo dieser Teil der Sammlung gerade erst in einer eigenen Klee-Sonderklasse-Schau zu sehen war.
“Das war so nicht beabsichtigt”, betont Wolfgang Kersten. “Eigentlich hätte Leipzig, das das Projekt ja erst angeschoben hat, auch die Priorität verdient gehabt.” Am Ende einigten sich die Ausstellungsmacher aber darauf, Bern quasi ein Geschenk zu machen und dort die Berner 100 “Sonderklasse”-Bilder vorab zu zeigen. In Leipzig sorgen gerade die zusätzlichen Leihgaben dafür, dass sich das Bild vervollständigt. Umfassender wurde der Kern des Kleeschen Werkes an farbigen Zeichnungen noch nie gezeigt.
So gesehen stimmt Schmidts euphorisches Versprechen von der “ultimativen Klee-Ausstellung”.
Die dann auch noch so gut ins Festjahr 1.000 Jahre Zweiterwähnung Leipzigs passt, das unter der Regie von Finanzbürgermeister Torsten Bonew vorbereitet wird. Die Klee-Ausstellung wurde von der Stadt Leipzig entsprechend bezuschusst. Und gerade weil sie sichtbar mache, dass Leipzig ohne ständige Einflüsse von außen gar nichts wäre, schon gar nicht das, was es in den vergangenen 200 Jahren geworden ist, passe die Ausstellung ideal ins Festprogramm, sagt Bonew.
Eröffnet wird die Ausstellung “Paul Klee. Sonderklasse unverkäuflich” am heutigen Samstag, 28. Februar, um 18 Uhr im Museum der bildenden Künste. Gezeigt wird sie vom 1. März bis zum 25. Mai.
Es gibt ein umfangreiches Programm auch mit Musik in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Theater “Felix Mendelssohn Bartholdy”, ein umfangreiches Programm auch für Schulklassen und eine Kleewerkstatt direkt neben der Ausstellung, in der Kinder sich mit dem Werk von Paul Klee vertraut machen können.
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