Am Sonntag, 25. Januar, hätte sie Geburtstag: Bertha Wehnert-Beckmann. Es wäre ihr 200. Und Leipzig feiert diesen Tag tatsächlich ganz groß. Mit eigener Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum. Der Titel sagt alles: "Die Fotografin". Sie war die Nummer 1 in Leipzig, die Frau, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Highsociety fotografierte. Und am Sonntag um 11 wird die Ausstellung zu ihrem Geburtstag eröffnet.
Für Kenner der Leipziggeschichte war sie schon immer eine Größe. Denn seit sie sich 1951 in Leipzig niederließ und in ihrem Atelier die modernste verfügbare Technik der Zeit einsetzte, wurde sie zur ersten Fotografin der Stadt, die sich im Galopp aus einer quirligen Kleinstadt (nach heutigen Maßstäben) in eine rauchende Industriestadt verwandelte. Zwar rätselt nicht nur Museumsdirektor Volker Rodekamp, warum die junge Frau ausgerechnet von New York (wo sie als Fotografin erfolgreich war) in das “eigentlich piefige Leipzig” zurückkehrte. Ein wenig erklärte er es natürlich, als er zur Pressekonferenz am Donnerstag kurz auf das neue Tempo einging, das Leipzig eingeschlagen hatte (und zwar damals im erlebbaren Unterschied zu Städten wie Cottbus): Die Stadt mauserte sich gerade durch ihre herzhafte Mischung aus Weltoffenheit, Buchhandel, politischer Lebendigkeit und einem innovationstüchtigen Bürgertum binnen weniger Jahre zur modernen Industriestadt. Piefig war hier bestimmt einiges – die königlichen Amtsverwalter vorneweg.
Aber wer mit einem Typen wie Carl Erdmann Heine (der sich mehrfach bei Bertha Wehnert-Beckmann fotografieren ließ) zu tun hatte, der kam damals garantiert nicht auf die Idee, Leipzig piefig zu nennen. Der schaute eher zu, wie Heine aus Apels Garten in die Westvorstadt stampfte, wie er Weststraße und Westbrücke baute und mit einem Kanal nicht bloß bis Plagwitz wollte, sondern am liebsten gleich zum Meer.
Und Bertha Wehnert-Beckmann, die sich auch Rodekamp als tatkräftige, nicht einzuschüchternde Frau vorstellt, war mittendrin. Von Heine erwarb sie die 3.000 Quadratmeter Wiese am Elstermühlgraben, auf der sie anfangs nur so ein kleines Gartenhäuschen bauen wollte. Und dann wurde daraus – mit spendabler Unterstützung der Leipziger Stadtgesellschaft – eine pomforzionöse Villa, die heute immer noch dasteht in der Elsterstraße 38, hübsch saniert. Wer hier wohnt, wohnt elitär.
Und das war die Fotografin, auch wenn die Spurensuche in dem im Museum aufbewahrten “Gläsernen Schatz” ergab, dass sie nicht nur die Betuchten und Begüterten fotografierte, sondern quer durch die ganze Stadtgesellschaft. Der Bestand liegt zwar seit über hundert Jahren im Stadtgeschichtlichen. “Aber Sie wissen ja, wie begrenzt unsere Möglichkeiten sind”, sagt Rodekamp. Viele Bestände im Fundus des Hauses sind noch gar nicht wissenschaftlich erschlossen.
Mit dem Bestand von Bertha Wehner-Beckmann ist das in den letzten drei Jahren nun erfolgt. So dass der Kurator der Fotosammlung, Christoph Kaufmann, nun wirklich sagen kann, dass man eine Bertha Wehnert-Beckmann erleben wird, die man so noch nicht kannte. Denn fast alles, was jetzt im Böttchergässchen 3 zu sehen sein wird, wird so zum ersten Mal in einer Ausstellung gezeigt. Auch einige ganz frühe Aufnahmen aus der Zeit, als Bertha gerade neugierig wurde auf das damals nagelneue Metier der Daguerreotypie. In Dresden war das, wo sie mit der Welt der Wanderfotografen in Verbindung kam, in Prag ließ sie sich ausbilden, bis sie – nach einem kurzen Durchflug durch Leipzig, dem Kampf ums Bürgerrecht (das bekam 1843 nicht jeder) und Heirat und Witwentum kurzentschlossen über den Großen Teich fuhr, um in New York regelrecht Karriere zu machen.
Das war der Punkt, der Rodekamp ins Grübeln brachte: Wenn man in New York schon Top-Fotografin ist, da kehrt man doch nicht in das “piefige” Leipzig mit seinen 63.000 Einwohnern zu der Zeit zurück. Nur zum Vergleich: New York hatte da schon 700.000.
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Die Biografie von Bertha Wehnert-Beckmann kurz & knapp:
Bertha Beckmann wurde am 25. Januar 1815 in Cottbus geboren. In Prag erlernte sie die revolutionäre neue Kunst der Fotografie, nach ihrem Erfinder Daguerreotypie genannt, die sich unmittelbar nach Bekanntgabe der Erfindung wie ein Lauffeuer ausbreitete. 1843 zog sie nach Leipzig und ließ sich in Reichels Garten nieder. 1845 heiratete sie ihren Berufskollegen Eduard Wehnert, mit dem sie in der Burgstraße 8 ein gemeinsames Atelier betrieb. Als Eduard nur zwei Jahre später starb, hatten sich die beiden bereits mit den Neuerungen der Fototechnik vertraut gemacht, deren Entwicklung rasant voranschritt: Es wurden Verfahren entwickelt, die es erlaubten, beliebig viele Abzüge von einem Negativ herzustellen.
Die junge Witwe wagte den Sprung in die Neue Welt. Von 1849 bis 1851 betrieb sie ein Fotoatelier in New York. Zu ihren Kunden gehörte selbst der 13. Präsident der USA, Millard Fillmore.
Wieder in Leipzig eignete sich Bertha Wehnert-Beckmann erneut schnell fototechnische Neuerungen an. Visitenkarten und Stereofotografien gehörten bald zu ihrem Angebot. Auch die erste Aktfotografie Leipzigs entstand in ihrem Atelier.
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Aber Leipzig ist eben Leipzig. Der inhaltliche Schwerpunkt der Ausstellung bezieht sich im Wesentlichen auf die Leipziger Wirkungsperiode der Fotografin, angereichert um einen Blick auf die Jahre, die sie als Fotografin in New York verbrachte. Die Mehrzahl ihrer in der Ausstellung versammelten Arbeiten wurde der Öffentlichkeit bisher noch nicht präsentiert.
Und der Besucher wird echte Neuentdeckungen machen, auch weil Christoph Kaufmann und seine Mannschaft richtig fleißig waren, den Gesichtern auf den Glasnegativen auch – so weit möglich – endlich ein paar Namen zuzuordnen. In der Sammlung der Glasnegative konnten so zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur identifiziert werden. Neben dem bereits bekannten Jugendbildnis von Johannes Brahms wurden zum Beispiel das Porträt des späteren Leipziger Oberbürgermeisters Bruno Tröndlin und das Porträt von Maria Franziska von Ardenne neu entdeckt. Sie war die Schwester von Armand Léon von Ardenne, dem Vorbild für die Figur des Baron von Innstetten in Theodor Fontanes „Effie Briest“.
Im Atelier der Fotografin begegnete sich die Leipziger Gesellschaft in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Hochadel, Militär und namhaftes Bürgertum gehörten ebenso zu ihrem Kundenkreis wie Köchinnen und Dienstboten. In der Gesamtschau ist so ein vielschichtiges Dokument des gesellschaftlichen Lebens jener Zeit entstanden. Bedeutsam sind auch ihre frühen Leipziger Architekturfotografien, die dem Betrachter eine exakte Vorstellung von Örtlichkeiten und Gebäuden vermitteln, die bereits seit langem aus dem Stadtbild verschwunden sind – etwa das Peterstor, das 1860 angerissen wurde. Man bekommt also auch ein Stück dieses alten, fürs 19. Jahrhundert tatsächlich als zu klein empfundenen Leipzig zu sehen, das in den Folgejahren ja in rasantem Tempo aus dem Straßenbild verschwand.
Und weil die Daguerreotypien und Glasnegative empfindlich sind, wurden sie nicht einfach an die Wand gehängt, sondern werden in drei extra gebauten “Schatzkammern” präsentiert. Es ist also eine beschauliche Ausstellung ganz im Originalsinn des Wortes: Hier kann man etwas beschauen, was es so in Leipzig seit über 100 Jahren nicht zu sehen gab. Und was 1943 fast verschollen wäre. Denn die Glasnegative waren – so erzählt Christoph Kaufmann – in den eichenen Sitzbänken im Alten Rathaus untergebracht, als die Bomben auch aufs Alte Rathaus fielen. Das Rathaus brannte ja bekanntlich in großen Teilen aus. Die Bänke mit ihrem darin verborgenen Schatz überlebten, der wanderte die nächsten 70 Jahre ins Archiv. Und dann machte sich die Forschungsmannschaft ans Werk und holte die Bilder, die das Leipzig der 1850er, 1860er Jahre lebendig machen, wieder ans Licht und gaben manchem Unbekannten wieder einen Namen.
Ãœbrigens auch das eine Sisyphos-Arbeit. “Denn mit der ordentlichen Archivierung hatte es Bertha Wehnert-Beckmann wohl nicht so”, sagt Christoph Kaufmann.
Ausstellungseröffnung im Stadtgeschichtlichen Museum (Böttchergässchen 3) ist am Sonntag, 25. Januar, 11 Uhr.
Parallel zu “Die Fotografin” wird im Studio des Hauses die Ausstellung “Status Quo” mit Fotos zweier junger Leipziger Fotografinnen eröffnet.
“Die Fotografin” ist bis zum 26. April zu sehen und wird dann – “Daran arbeiten wir gerade intensiv”, sagt Volker Rodekamp – möglicherweise auch in New York gezeigt.
Und am 26. Februar bekommt die Fotografin auch eine Erinnerungstafel an ihrem ehemaligen Wohnhaus in der Elsterstraße.
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