Noch beherrscht zwar die Ausstellung "Gott mit uns?" den Ausstellungsraum des Stadtgeschichtlichen Museums im Böttchergässchen. Aber der erste Paukenschlag im Leipziger Jubiläumsjahr 2015 kündigt sich schon an. Die erste Ausstellung im neuen Jahr ist einer Leipzigerin gewidmet, die in den vergangenen Jahrzehnten fast vergessen worden wäre. Zu Unrecht, denn mit Bertha Wehnert-Beckmann begann in Leipzig praktisch das fotografische Zeitalter. Und passenderweise hat sie auch noch einen runden Geburtstag.

Im Jahr 2015 jährt sich der Geburtstag von Bertha Wehnert-Beckmann zum 200. Mal. Sie gilt heute als Pionierin der Porträtfotografie und erste Berufsfotografin Europas.

Bertha Beckmann wurde am 25. Januar 1815 in Cottbus geboren. In Prag erlernte sie die revolutionäre neue Kunst der Fotografie, nach ihrem Erfinder Daguerreotypie genannt. 1843 zog sie nach Leipzig und begründete ein Atelier in der Burgstraße, gemeinsam mit ihrem Kollegen Eduard Wehnert, den sie 1845 heiratete. Nur zwei Jahre später starb ihr Ehemann, ein Einschnitt, der die junge Fotografin praktisch zum Sprung in die Selbstständigkeit zwang. Und sie wagte gleich den ganz großen Schritt – den Sprung in die neue Welt: Von 1849 bis 1851 betrieb sie ein Fotoatelier in New York. Zu ihren Kunden gehörte selbst der 13. Präsident der USA, Millard Fillmore, aber auch ein gewisser Samuel “Sam” Houston, der als Gründer des Bundesstaates Texas gilt und nach dem – unter anderem – Leipzigs Partnerstadt Houston benannt ist. Allein vier Porträts von Houston hätten sich im Fundus von Bertha Wehnert-Beckmann befunden, verrät Christoph Kaufmann, der im Stadtgeschichtlichen Museum das Fotoarchiv betreut und auch die große Geburtstagsausstellung für Leipzigs Foto-Pionierin vorbereitet.

Seit drei Jahren sind die Museumsmitarbeiter mit dem Projekt beschäftigt, das vor allem eine mühsame Spurensuche ist. Denn auf bislang noch nicht nachvollziehbaren Wegen haben zwar 3.452 Glasplatten aus dem Studio von Bertha Wehnert-Beckmann in die Sammlung des Museums gefunden. Es gab auch schon erste Ausstellungen 1912 und 1918. Aber der Rest des Nachlasses hat es nicht geschafft. “So dass wir über die Fotografin selbst so gut wie nichts wissen”, sagt Kaufmann. “Und was wir wissen, müssen wir uns aus diversen Spuren in allen möglichen Archiven zusammenreimen.”

Nur eines steht fest: Nach der Rückkehr aus den USA wurde Bertha Wehnert-Beckmann zur ersten Adresse der noch jungen Fotografie in Leipzig.

Nach Leipzig zurückgekehrt, gehörten fototechnische Neuerungen wie Visitenkarten und Stereofotografien zu Bertha Wehnert-Beckmanns Angebot. Und sie brachte von der Londoner Weltausstellung 1862 auch die neuesten technischen Entwicklungen mit.Ein Schwerpunkt der Ausstellung, die am 25. Januar 2015, zu Berthas Geburtstag, eröffnet werden soll, liegt in der Auswahl aus dem Fundus der über 3.000 Glasnegative des Museums aus den 1860er und 1870er Jahren, als Bertha Wehnert-Beckmann zu der Gesellschaftsfotografin Leipzigs geworden war. Ab 1867 empfing sie die Kundschaft standesgemäß in ihrem neuen Stadtpalais in der Elsterstraße 38 – dort steht es noch heute gleich am Poniatowskyplan. Begonnen hatte die junge Unternehmerin noch in der dicht bebauten Innenstadt – in der Burgstraße 8 in einem Gartenhaus. 1853 hatte sie – für 100 Taler – von Carl Heine ein 3.000 Quadratmeter großes Wiesengrundstück in dessen gerade entstehender Westvorstadt gekauft. Anfangs sollte ein Gartenhaus hier ihre Träume erfüllen, 1865 bis 1867 ließ sie dann aber die prächtige Villa bauen, die den Ort noch heute dominiert. Dort lebte und arbeitete sie bis 1881 – bis sie die Villa verkaufen musste und ihren Beruf an den Nagel hängte.

Die überlieferten Glasplatten erzählen von ihrer Kundschaft: Neben den Damen der Gesellschaft und ihren Kindern finden sich hier Musiker und Gelehrte, Adelige und Kaufleute. Berühmt geworden ist zum Beispiel ihr Bildnis des jugendlichen Johannes Brahms. Zu den Neuentdeckungen der Ausstellung gehört ein Porträt des späteren Oberbürgermeisters Bruno Tröndlin in jungen Jahren.”Die Ausstellung präsentiert das Werk Bertha Wehnert-Beckmanns, erzählt die Lebensstationen dieser ungewöhnlichen Frau und damit zugleich auch die rasante Entwicklung der frühen Fotografie”, fasst Dr. Volker Rodekamp, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, zusammen. Er freut sich schon jetzt über die enge Zusammenarbeit mit der Ostdeutschen Sparkassenstiftung und der Leipziger Sparkasse, die nicht nur die Ausstellung ermöglichen, die schon jetzt in der Fachwelt Aufmerksamkeit erweckt. Es soll auch eine große Publikation erscheinen, die das Lebenswerk der Leipziger Fotografin würdigt.

Neben vielen Fotos wird der Band auch die Frage nach der gesellschaftlichen Realität des 19. Jahrhunderts stellen. Und es wird die Frage gestellt, was bedeutete es, als Frau in dieser Zeit selbstständig zu sein und was erwartete Leipziger Auswanderer in der Neuen Welt.

Auch Dr. Harald Langenfeld, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Leipzig, freut sich auf diesen ersten Paukenschlag im Leipziger Jubiläumsjahr: “Zum einen sind es die Objekte, die diese Ausstellung so einzigartig machen – zum anderen ist es die Künstlerin selbst, die eine besondere Würdigung verdient. Wir freuen uns, gemeinsam mit der Ostdeutschen Sparkassenstiftung diese bedeutende Exposition des Stadtgeschichtlichen Museums zu realisieren.”

Einen schönen Platz in der Ausstellung bekommt auch ein Ölgemälde von Cornelius Grünwald, das dieser 1858 von Bertha Wehnert-Beckmann malte. Das Besondere daran: Grünwald war einer der zahlreichen Mitarbeiter Wehnert-Beckmanns in ihren frühen Arbeitsjahren und insbesondere bei der Kolorierung der Daguerrotypien beschäftigt. Das ist einer der vielen Aspekte der noch sehr arbeitsaufwändigen Frühzeit der Fotografie.

Natürlich findet es auch Dr. Volker Rodekamp schade, dass sich aus dem einstigen Atelier der Fotografin nichts überliefert hat – oder vielleicht doch, nur hat es seinen Weg ins Stadtgeschichtliche Museum (noch) nicht gefunden. Deswegen will man sich Apparaturen, wie sie Wehnert-Beckmann benutzt haben könnte, aus einem Fachmuseum in München ausleihen und so den Ausstellungsbesuchern auch anschaulich machen, was für eine Arbeit damals die Fotografie, “die analoge Fotografie”, betont Rodekamp, noch war.

Denn die Ausstellung steht quasi ja auch am Ende des analogen Zeitalters, das längst abgelöst wurde durch die digitale Fotografie, die auf Glasplatten, Filmmaterial, Entwicklerkammern usw. völlig verzichten kann. Als kleine “Kontra-Ausstellung” soll es deshalb im Studio des Museums auch eine Ausstellung mit zwei jungen HGB-Fotografinnen unter dem herausfordernden Arbeitstitel “Bertha reloaded” geben.

Zum Vormerken für alle, die sich für diese frühe Zeit der Leipziger Fotografie und eine außergewöhnliche Unternehmerin interessieren: Die Ausstellung “Die Fotografin. Bertha Wehnert-Beckmann 1815-1901” wird vom 25. Januar 2015 bis zum 26. April 2015 im Böttchergässchen zu sehen sein.

Wikipedia zu Sam Houston: http://de.wikipedia.org/wiki/Sam_Houston

Wikipedia zu Bertha Wehnert-Beckmann: http://de.wikipedia.org/wiki/Bertha_Wehnert-Beckmann

www.stadtgeschichtliches-museum-leipzig.de

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