Es gibt in Leipzig eigentlich keine Jahre mehr ohne große Jubiläen. 2009 feierte die Universität ihren 600. Geburtstag, in diesem Jahr feiert die Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) ihren 250. - ohne Festumzug, ohne fetten Jubiläumsband, ohne großes Geld. Aber mit vielen Ausstellungen. Am heutigen Samstag, 12. Juli, werden im Museum der bildenden Künste gleich zwei eröffnet, die nur auf den ersten Blick wie eine aussehen.

“Herz, Reiz & Gefühl” heißt die eine, “Kunst. Schule. Leipzig” die andere. Wer ins Tiefgeschoss des Bildermuseums hinuntersteigt, wo die Wechselausstellungen immer gezeigt werden, kann es sich aussuchen: Vergangenheit nach links, Gegenwart nach rechts.

Die Vergangenheit findet Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt besonders faszinierend. Er kenne keine andere Akademie, an der man derart sein ganzes Leben zubringen konnte – vom Studentendasein über den Meisterschüler, den Assistenten, Dozenten und Professor bis zum Rektor. Insbesondere die Maler und Grafiker an der HGB konnten nach ihrer Neugründung ab 1947 solche Karrieren durchlaufen. Und das Leipziger Bildermuseum kann diese Karrieren zeigen, denn der Fundus ist mit den Bildern dieser Künstler gut gefüllt – von Max Schwimmer bis Wolfgang Mattheuer, von Werner Tübke bis Arno Rink. Oder im Alphabet: von Hans Aichinger bis Doris Ziegler. Oder in der zeitlichen Folge: von Ernst Hassebrauk bis Ruprecht von Kaufmann.

Natürlich ist das nicht die ganze Hochschulgeschichte. Das gibt auch Frédéric Bußmann, der Kurator, zu. Tatsächlich zeigt die Schau so ganz nebenbei die Probleme des Bildermuseums. Denn da man sich vorgenommen hat, diese Ausstellung nur mit Bildern aus dem Fundus zu bestücken, zeigen sich die Lücken. Rund 50 Jahre lang hatte das Museum keine Probleme, Bilder aus der HGB und von ihren herausragenden Protagonisten zu bekommen. Es gab einen Ankaufetat, es gab reichliche Spenden – oft von staatlichen Stellen. Und nach den heftigen Kämpfen um den Formalismus in den 1950er Jahren und dem Ausscheiden des knallroten Rektors Kurt Massloff war die Kunstproduktion aus der Leipziger Hochschule staatlich weitgehend anerkannt. Man konnte also auch ohne politische Konflikte fleißig kaufen – dafür blieb logischerweise die Avantgarde des 20. Jahrhunderts auf der Strecke.
Aber schon ab 2000 tauchen in der Ausstellung Lücken auf, wird deutlich, dass das Faszinosum “Hochschule lebenslang” nicht mehr funktioniert. Auch nicht in der Ankaufpolitik des Bildermuseums, das seit Langem schon keine festen Ankaufsetats hat. Ein Ergebnis sind deutlich klaffende Lücken auch bei den Grafikern und Malern aus der HGB in den letzten 15 Jahren. Natürlich ist diese Schau ein kleines Politikum, denn sie zeigt auch, in welchem Umfeld die “Leipziger Schule” entstand, von welchen teils propagandistischen Wurzeln sie sich abstieß und warum sie in der DDR als erfrischend und neu empfunden wurde. Die Schau zeigt auch, wie sehr diese Schule von der klassisch hochwertigen Technikausbildung abhing. Das hat sich nach 1990 nicht wirklich geändert, auch wenn sich die Gewichte deutlich verschoben.

Was fehlt, ist natürlich der große Bereich der Buchgrafik genauso wie die große Schule der Leipziger Fotografie. Letztere aber fehlt fast vollständig in den Sammlungen des Hauses. In DDR-Zeiten wurden die Werke der Leipziger Spitzenfotografen praktisch nicht angekauft. Ihren Geruch, doch ein wenig zu viel von der real existierenden Wirklichkeit zu zeigen, wurde die Leipziger Fotografie nie los.

Praktisch blieb Bußmann gar nichts anderes übrig, als mit den Gemälden und Grafiken aus dem Fundus zu arbeiten. Nur ein Bild pro Künstler, hat er sich die nächste Beschränkung auferlegt, so dass die Ausstellung “Kunst. Schule. Leipzig” etwas Dokumentarisches bekommt, erst recht durch die Linien unter den Bildern, die die Akteure miteinander verbinden. Lebensdaten und HGB-Stationen aufzeigen. Alles hübsch nach Eintrittsdaten in den Kosmos HGB sortiert. Für 1946, als die ersten Lehrverträge abgeschlossen wurden, stehen Ernst Hassebrauck, Max Schwimmer, Elisabeth Voigt, Walter Arnold, Kurt Massloff und Walter Münze, für 1993, als das alte Zeitalter des Lebenskosmos HGB praktisch zu Ende ging, Neo Rauch und Astrid Klein.
Wer durch diese Ausstellung gegangen ist, braucht keinen Extra-Hinweis, um zu sehen, dass sich in den letzten 20 Jahren gründlich was geändert hat. Gleich im Entrée begrüßen den Besucher zwei eindrucksvolle Installationen: die unbetitelte Lichtinstallation mit dem Spruch “Then Which Appears Is Good That Which Is Good Appears” der Künstlergruppe “Famed” und “micro. perpendiculars” von Julius Pop. Mit einem Schritt ist man im 21. Jahrhundert und der Frage von Ralf F. Hartmann: Was bindet eigentlich 250 Jahre HGB zusammen? Was verbindet den akademischen Zeichenlehrer Adam Friedrich Oeser, der weiland Goethe Zeichenunterricht gab, mit den jungen Absolventen der Hochschule aus den letzten 20 Jahren?

Er stieß dabei auf einen Dankesbrief Goethes von 1768 an seinen alten Lehrer Oeser, in dem Goethe schrieb: “Was bin ich Ihnen nicht schuldig, teuerster Herr Professor, dass Sie mir den Weg zu Wahren und Schönen gezeigt haben, dass Sie mein Herz gegen den Reiz fühlbar gemacht haben!” Da kommt der Dreiklang her, den Ralf F. Hartmann, Prorektor der HGB und Kurator der Ausstellung, für diese Schau gewählt hat: “Herz, Reiz & Gefühl”. Für Hartmann übrigens der Kern dessen, was Goethe und Schiller dann als “Sturm und Drang” in die Welt setzten – mit “Werther” und “Die Räuber” usw. Ein Leipziger Akademieprofessor hat also so nebenbei den Samen gelegt für eine ganze Literaturepoche. Hut ab, Herr Oeser.

Aber Hartmann wäre kein Professor, wenn er nicht den selben Sturm und Drang auch bei den Absolventen der HGB der letzten 20 Jahre finden würde. 14 Positionen hat er in dieser Ausstellung der heute Berühmten und Gefragten versammelt – von Anna Branowski, die die HGB 2012 verließ, bis Tobias Zielony, der 2006 seinen Meisterschülerabschluss machte. Im Gegensatz zur Ausstellung “Kunst. Schule. Leipzig” sind die meisten, die hier ausgestellt werden, keine Leipziger mehr. Sie sind rund um den Erdball aktiv und werden regelmäßig zu den internationalen Kunstmessen eingeladen. Die Leipziger bekommen davon – wenn sie nicht eifrig Kunstmagazine lesen – nicht viel mit. Denn diesmal steht nicht Grafik und Malerei im Mittelpunkt, findet man keine “Neue Leipziger Schule”, sondern Installation, Fotografie, Film und Konzeptkunst.
“Die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler verbindet ihr ebenso engagierter wie analytischer Blick auf die komplexen Phänomene gegenwärtiger Lebensrealität”, betont Hartmann. “In zum Teil eigens für die Ausstellung entwickelten Beiträgen verhandeln sie aktuelle Problematiken wie zum Beispiel Naturzerstörung, Krieg, Geschlechterfragen und soziale Ungleichheit. Sie folgen damit den künstlerischen Maximen des jungen Goethe, einem der prominentesten Schüler des ersten Akademiedirektors Adam Friedrich Oeser, der als Antwort auf die Rationalität der Aufklärung das subjektive Empfinden und die Orientierung an den gesellschaftlichen Entwicklungen als wesentlich für die künstlerische Arbeit apostrophierte.”

Hier kann man sich Zeit lassen, kann die Exponate auf sich wirken lassen. Hier versuchen kreative Köpfchen, die Zeit zu packen, zu sezieren, zu verstehen. Wer bin ich? Wie verorte ich mich in einer zunehmend fragmentierten Welt?

Wem das beim ersten Rundgang nicht glückt, dem sei der Katalog zu dieser Ausstellung empfohlen. Den besprechen wir an dieser Stelle noch in aller Ruhe.

Eines aber wird den Besucher am Ende verwirrt zurücklassen, denn der Bruch zwischen der “alten HGB” der Grafiker und Maler auf der einen Seite und der jungen HGB mit ihren herausfordernden Installationen ist deutlich. Genauso, wie die Frage auftaucht: Was wird bleiben? – Denn Bilder lassen sich gut archivieren. Installationen aber sind oft nur für eine Ausstellung konzipiert und sind meist so aufwändig, dass Museen wie dem Leipziger schlicht die Mittel fehlen, sie anzukaufen. Wird das alles mit dem immer schnelleren Wandel der Technik und der Kommunikation vorüberrauschen? Oder wird es seine Spuren hinterlassen im Fundus und in der Kunstrezeption?

Unüberhörbar am Freitag, bei der Vorstellung der beiden Ausstellungen, der Wunsch nach einer großen, dicken HGB-Geschichte. Aber dafür – so Rektorin Dr. Ana Dimke – fehlen Geld und Personal. Dafür müssten zwei, drei Vollzeitstellen geschaffen werden, die allein mal das Archiv durchforsten. Undenkbar. Man wird es also bei Einzelschriften belassen, die ab Herbst erscheinen sollen und vielleicht über die Jahre einen eigenen Kosmos bilden aus HGB-Geschichten und einer Diskussion der modernen Positionen im Haus.

Offiziell eröffnet wird die Doppelausstellung im Museum der bildenden Künste am heutigen Samstag, 12. Juli, um 18 Uhr. Gezeigt werden beide Ausstellungen vom 13. Juli bis zum 19. Oktober 2014, Öffnungszeiten: Di. und Do.-So. 10 – 18 Uhr, Mi 12 – 20 Uhr, Feiertage 10 – 18 Uhr.

www.mdbk.de

www.hgb-leipzig.de

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