Es war Max Schwimmer, der sich noch in den 1920er Jahren heftig über die Ankauf- und Ausstellungspolitik des Leipziger Bildermuseums beschwerte und in scharfen Kritiken darauf verwies, dass die Kunstwelt sich längst mit Impressionisten, Symbolisten und Kubisten beschäftigte, als im Leipziger Museum noch immer die akademische Ölmalerei des 19. Jahrhunderts hofiert wurde. Ein Bürgermuseum hat immer viele Seiten. Auch diese.
Ab dem heutigen 8. März ist im Museum der bildenden Künste ein wenig von dem zu sehen, was Schwimmer meinte. Die Ausstellungsmacher um Frédéric Bußmann sind in die Depots des Museums hinabgestiegen und haben 69 Gemälde des 19. Jahrhunderts ans Ausstellungslicht geholt. Landschaftsgemälde. Das hat seinen Reiz. Das Haus hat einige erstaunliche Namen in seinem Fundus – Wilhelm Busch sogar mit einem Herbstbild (malen konnte der Kerl auch), Arnold Böcklin, Caspar David Friedrich sowieso und erst recht Max Klinger und auch was von Philipp Otto Runge. Manches gehört schon längst zur Dauerausstellung. Die Museumsbesucher konnten schon wissen, was da noch so alles im Fundus steckt von anno dunnemals.
Oder sagen wir: von 1858, als die großen Leipziger Bürger sich ihr Museum gründeten. Ein bisschen spät, andere Städte und ihre reichen Sammler hatten das schon vorgemacht. Spät für Leipzig sowieso, denn die berühmten Leipziger Sammlungen des 18. Jahrhunderts waren längst in alle Winde zerstreut.
Aber der Wille zählt. Und das Geld sowieso. Der kleine Bürger konnte sich auch 1858 keine Ölgemälde leisten. Das wird den Knirpsen in der Schule meist nicht erzählt: Kunst ist keine ästhetische Spielwiese, sondern ein Markt. Das war bei den alten Fürsten so, die das bestellten, was ihrer Prachtentfaltung dienlich erschien. Und das war bei Leipzigs Kaufleuten, Bankiers und höheren Beamten nicht anders. Und Künstler passen sich an den Markt an. Oder besser: an die Nachfrage. Sie malen, was gekauft wird. Große Kunstepochen werden nicht von Künstlern gemacht, sondern vom Geschmack der Käufer. Der meist ein bisschen konservativ ist.
Und das ist hier zu sehen.
Denn der Grundbestand des Leipziger Bildermuseums waren immer Bilderspenden und Ankäufe. Ankäufe, bei denen der Trägerverein bestimmte, was gekauft wurde. Das war noch zu Schwimmers Zeiten so. Und was der Betrachter heute sieht, wenn er ins Untergeschoss des Bildermuseums steigt, wo jetzt die Ausstellung “Es drängt sich alles zur Landschaft ..” zu sehen ist, ist dieser Geschmack der reichen Leipziger Bürger. Es ist ein Blick in ihre Welt – in ihre Salons, Wohn- und Schlafzimmer, wo diese Bilder einst hingen. Und in ihre Geschmackswelt. Die eine besondere war. Die mit dem 19. Jahrhundert und der zunehmenden Industriealisierung heranreifte und eine ganz besondere Beziehung hatte zur Landschaft.Eine dreifache, meint Frédéric Bußmann. Deswegen hat er die 69 Gemälde aus dem Fundus in drei Gruppen geteilt. Die erste Gruppe, die ein wenig zeigt, wie sehr die Leipziger Großbürger versuchten, ihr Bildungsideal darzustellen, ganz goetheisch verwoben mit einer ästhetisierten Sehnsucht nach dem Süden. Es dominiert Italien. Es dominieren mythologische und heroische Landschaften. Das hat noch den Atem des 18. Jahrhunderts, eine Anmutung von Schäferidyll und verklärter Antike. Der Bruch kam ja bekanntlich mit den Herren Friedrich und Runge und ihren Zeitgenossen. Sie entsorgten den antiken Bembel und machten sich mit Staffelei und Farben schon mal raus in die eigene Landschaft. Und malten, was sie daran atemberaubend fanden. Das war dann schon Romantik und Spätromantik. Da und dort ragen finstere Burg- und Klosterruinen, bizarre Bäume und Felsen. Landschaft wurde auf einmal bedeutsam. Und mächtig gewaltig. “Emotionale Inszenierungen”, nennt es Bußmann.
Wie man weiß, funktionieren diese Inszenierungen bis heute. Friedrichs Friedhöfe im Schnee genauso wie die Ruine Eldena im Mondschein. Diesmal nicht von Friedrich, sondern vom Leipziger Carl Gustav Carus. Alles noch wesentlich kleinformatiger als das, was sich dann in die dritte Gruppe drängt, die Bußmann mit den Begriffen “naturalistische Landschaften / Heimatlandschaften” umschreibt. Da dürfen dann auch Kirchtürme, wackere Schnitter und Kühe auftauchen. Was nicht heißt, dass sich nicht alle drei nebeneinander behaupteten. Denn bekanntlich folgte ja der von Mystik geprägten Spätromantik in Deutschland noch die von Wagner durchorgelte Spät-Spätromantik. Die sich in der Malerei mit Namen wie Böcklin, Achenbach, Preller verbindet.
Der Böcklin, den die Ausstellung zeigt, ist ein neuer, auch wenn ihn die Fachwelt schon kennt: “Osterien unter Bäumen”, gemalt um 1852/1853. 1920 aus dem Nachlass Max Klingers in das Museum gekommen, damals schon in miserablem Zustand, geknittert und gefaltet. Wer das Bild schon mal hängen sah, wird es nicht wiedererkennen, denn Hausrestaurator Rüdiger Beck und seine kleine Mannschaft haben sich das ramponierte Bild vorgeknöpft und endlich einmal geduldig und fachleutig restauriert. Was bislang nie geschehen ist. “Klinger muss das Bild irgendwo in Italien erworben haben, und auch da muss es schon in desolatem Zustand gewesen sein”, sagt Beck. Ohne Keilrahmen, ohne Rahmen. Das bekommt keinem Bild.Eine echte Überraschung erwartete Beck zwar nicht. Man kennt ja die dunklen Bilder Böcklins. Aber die Überraschung kam denn doch: Es wurde ein farbenfroher, leuchtender Böcklin. “Das Bild hat einen völlig anderen Charakter bekommen.”
Und es war nicht das einzige Bild, bei dem den fünf Restauratoren so eine Überraschung widerfuhr. Ein dreiviertel Jahr widmeten sie sich ganz und gar der Vorbereitung dieser Ausstellung. Alle 69 Gemälde nahmen sie sich vor. 17 haben sie völlig überarbeitet – die Firnis abgenommen und spätere Übermalungen entfernt. Dabei verwandelten sich viele “dunkle Schinken” unter der Hand in leuchtende, farbkräftige Bilder. Was der neuzeitliche Betrachter so oft als Patina erlebt, ist einfach eine in Jahrzehnten gewachsene Schmutzschicht und eine vergilbte Firnis. “Bei neun Gemälden ist es uns gelungen zu zaubern”, sagt Beck. Viele der Bilder waren seit ihrer Auslagerung in den 1940er Jahren nicht mehr gezeigt worden. Manche hatten auch durch die Auslagerung schwere Schäden erlitten.
Die Landschaftsausstellung war also auch einmal eine Chance, alle restauratorischen Kräfte auf ein Thema zu bündeln. Sie hat auch einen Nebenzweck, den Frédéric Bußmann erwähnt. Das Museum der bildenden Künste bereitet nun – nach dem eindrucksvollen Bestandskatalog für die niederländische Sammlung im Haus – auch einen Katalog für das 19. Jahrhundert vor. Das wird ein paar Jahre dauern. Immerhin geht es um 780 Gemälde und einige tausend Zeichnungen. Vieles davon lange nicht aus dem Fundus geholt. 177 der besten Stücke hängen freilich auch in der Dauerausstellung. So ganz versteckt war der Geschmack der Museumsgründer nie.
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In der Ausstellung wird er auch noch durch ein kleines Kabinett ergänzt, in dem moderne Fotografien aus dem Sammlungsschatz des Museums zu sehen sind. Sie zeigen die heutige Sicht von Künstlern auf das Thema Landschaft. Die eine deutlich andere ist. Weniger verklärt. Aber vielleicht war das dröhnende, dampfende und rauchende 19. Jahrhundert in Leipzig nur auszuhalten, wenn man sich den Blick ins Ferne und Weite verschaffte. Durch eben diese farbenprächtigen Landschaften, auf denen die Meere wild sind, die Himmel gewaltig, die Berge verlockend und die Tirolerinnen ganz entspannt vor weiter Aussicht. So dunkel und düster, wie sie auf alten Fotografien aussehen, waren die Salons des Leipziger Bürgertums also nicht.
Auch wenn sie sich bis in die 1920er Jahre hinein weigerten, neuere Entwicklungen in der Kunst überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Aber da waren sie auch nicht anders als die Großbürger anderer deutscher Städte, meint Bußmann.
Offiziell eröffnet wird die Ausstellung am heutigen Samstag, 8. März, um 18 Uhr. Gezeigt wird sie vom 9. März bis zum 22. Juni.
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