Eigentlich fing alles mit Max Klinger an. Der Leipziger machte Schule. Auch bei einem Dresdner Grafiker und Maler mit Namen Richard Müller. Gerade seine frühen grafischen Arbeiten zeigen seine Nähe zu Klinger. Dazu wollte Jan Nicolaisen, Leiter der Sammlungen Malerei und Plastik im Leipziger Bildermuseum, eine kleine Kabinettausstellung machen. Aber dann wurde das Thema immer größer. Und am Freitagmorgen flatterte auch schon die erste E-Mail ins Redaktionspostfach: "Ein Nazi-Künstler im Leipziger Bildermuseum?"
Am heutigen Samstag, 12. Oktober, um 18 Uhr, wird die daraus entstandene Ausstellung im Museum der bildenden Künste eröffnet. Mit dem kalifornischen Künstler Mel Ramos und dem Potsdamer Modegestalter und Maler Wolfgang Joop. “Die Schöne und das Biest” heißt die Ausstellung, die die Werke der drei Künstler vereinigt.
Und wer den Richard-Müller-Teil besucht, findet auch eine Vitrine, die auf Müllers sehr unrühmliche Andienung an die Nazis 1933 bis 1935 eingeht. Sie zeigt drei Kalender, die Müller in dieser Zeit gestaltete. Und sie zeigt ein Video der schon 1933 in Dresden konzipierten Ausstellung “Entartete Kunst”, die dann als Wanderausstellung in München ihren finsteren Höhepunkt erlebte. Mitorganisator dieser Ausstellung: Richard Müller. Auch für die Entlassung von Otto Dix wird Müller verantwortlich gemacht. Andererseits gilt er selbst wieder als Lehrer von so wichtigen Künstlern wie George Grosz und Richard Scheibe. Und 1935 fiel er selbst in Ungnade, musste seinen Rektorenposten an der Dresdner Kunstakademie räumen. 1947/1948 wurde ihm dann auch noch der Prozess wegen “Schädigung der Dresdener Künstlerschaft” gemacht. 1954 starb er in Dresden. “Bis heute”, so sagt der Direktor des Leipziger Bildermuseums, Hans-Werner Schmidt, “gab es in Dresden keine Ausstellung für Richard Müller.” Den Dresdnern war das Thema augenscheinlich zu heiß.
Und den Leipzigern wäre es wohl auch zu heiß gewesen, wäre da nicht der starke Bezug zu Max Klinger und dessen Surrealismus. Zu dem gehörte von Anfang an auch die Konfrontation des Menschen mit der wilden Kreatur. Darum sollte es auch in der geplanten Grafik-Ausstellung gehen. Der Mensch in grafischer Konfrontation mit dem Biest, der wilden Bestie, die so wild nicht ist. In der er sich spiegelt, die er domestiziert hat. Müller hätte auch ein berühmter Tiermaler werden können. Mit penibler Detailtreue hat er immer wieder Tiere gezeichnet und gemalt. Teilweise ganz in der Klingerschen Tradition – etwa wenn eine riesige Fledermaus im Zimmer zum bildhaften Eindruck eines “Alpdrückens” wird oder ein “Skelett im Gras” an die Lässigkeit von Klingers “Pinkelnder Tod” erinnert. Grafiken wie den “Bogenschützen” oder das “Mädchen am Meer mit Kranichen” würde man auch in einer Grafikmappe von Klinger vermuten.In der Zeit um 1900 ist die Verwandtschaft der beiden Künstler unübersehbar. Doch schon ein Gemälde wie der “Predigende Mönch” von 1907 deutet an, dass Müller sich in eine andere Richtung entwickelt. Er beginnt immer detailgenauer und präziser zu arbeiten. Dadurch wirken selbst seine scheinbar christlich motivierten Bilder “Christus am Kreuz” (1909) oder “Liegender Christus” (1907) schon wie grimmige Kritik am mythischen Motiv. Oder steckt dahinter der seinerzeit so zentrale Aufstand der Söhne gegen die Väter?
Es ist auch die Schaffensphase, in der er Frauenakte immer öfter in spielerischer Beziehung mit Tieren zeigt – mal ist es ein Krebs, mal ein Marabu. Es ist ein Motiv, das auch die surrealistische Literatur der Zeit beschäftigt. Und es ist ein Motiv, das seine Rezeptionsgeschichte bis ins alte Griechenland hat. Hans-Werner Schmidt benennt die alten Sagen von Leda und der Schwan und Europa und der Stier.
Er hat sogar 1.000 Zwei-Euro-Münzen aus Griechenland importieren wollen, um das Thema auch an der Museumskasse erlebbar zu machen. Aber das ist dann schon am Transportgewicht für die Münzen gescheitert. (Wer trotzdem mit einer griechischen Zwei-Euro-Münze zahlen kann, kommt zum halben Preis in die Ausstellung.)
Aber das ist auch egal. Es spielt für die Ausstellung keine Rolle. Denn als das Leipziger Bildermuseum erst einmal anfing, nach Leihgebern für eine Richard-Müller-Ausstellung zu suchen, stellte sich schnell heraus, dass der Mann nicht ganz so vergessen ist, wie das Dresdner Schweigen suggeriert. Nicht nur in Dresden und München wurde man fündig. Selbst bei Leuten wie Richard von Weizsäcker, Armin Müller-Stahl und Manfred Krug fand man Arbeiten von Richard Müller, die gern zur Verfügung gestellt wurden. Und einen besonderen Sammler fand man in Potsdam: Wolfgang Joop.
Und dieser Kontakt brachte dann Teil 3 der Ausstellung ans Licht. Denn Joop ist selbst ausgebildeter Maler. Schon seit Jahren hat er Schimpansen als sein Bildmotiv für sich entdeckt. Mit altmeisterlicher Brillanz versetzt er unsere nahen Verwandten in Bilder und Situationen, die zum Standard menschlicher Bildmotive gehören. Im goldgestickten Rankenwerk schmusen die Schimpansen, werden zu Engeln oder kreischenden Blumenmädchen. Auf den ersten Blick auch hier: die Versetzung des (wilden) Tiers in gewöhnlich menschliches Interieur.Bei Richard Müller übrigens auch zu sehen in einem Bild, das Jan Nicolaisen für ein ganz zentrales Werk hält: “Circe”. Circe war jene Zauberin in der “Odyssee”, die die Begleiter von Odysseus in Schweine verwandelte. Die klassische Verführerin. Gemalt hat Müller das Bild aber genau im Jahr 1933, dem Jahr, in dem ein Adolf Hitler ein ganzes Volk “verführte”. “Aber das hat Müller gar nicht gemeint”, sagt Nicolaisen. Es ist also selbst wieder ein “verführerisches” Bild. Hat Müller tatsächlich nur eine antike Geschichte neu interpretiert?
Wenn das Bild etwas zeigt, dann ist es die Verführbarkeit des Künstlers selbst, der zwischen Kunst, Moral und politischer Verantwortung Trennlinien zieht. Eine ganz alte Diskussion. Sie hat mit dem alten “l’art pour l’art” zu tun. Und an Müller dürften sich zurecht Diskussionen um die Positionen von Moderne und Surrealismus entzünden.
Und natürlich ist es kein Zufall, dass sich ausgerechnet der kalifornische Pop-Art-Künstler Mel Ramos als Gegenstück zu Richard Müller aufdrängte. Frühzeitig schon. Hätte man nicht den Joop-Fundus an Schimpansen-Bildern entdeckt, hatte es jetzt eine reine Müller-Ramos-Doppelausstellung gegeben. Und damit ein sehr nacktes Zwiegespräch zwischen Surrealismus und Pop Art. Westküsten-Pop-Art, betont Schmidt, der den Ostküsten-Pop-Art-Künstlern wie Warhol und Lichtenstein gern eine intellektuelle Feinheit zugesteht, die er bei Mel Ramos so nicht findet. Bei dem sieht er mehr Las Vegas und ausgelassene Sonnenfreude.Mel Ramos malt mit einer fast ausufernden Freunde immer wieder hübsche Frauenakte, die er ohne Scheu nicht nur mit allerlei Getier konfrontiert – Affen, Bären, Vögeln. Er steht auch ganz in der viel bekannteren Tradition der amerikanischen Pop Art, in der der oft schutzlose, aber hübsch sonnengebräunte menschliche Körper mit den Attributen und Posen der modernen Konsumwelt konfrontiert wird. Ramos spielt mit der Sinnenfreude des Beauty-Plakats. Und zur Eröffnung hat er auch seine bildhübsche Tochter mitgebracht, die er auch gern in lasziven Posen mit allerlei wilden und weniger wilden Accessoires malt.
Die 60 Arbeiten von Mel Ramos wären auch eine eigene Ausstellung in Leipzig wert gewesen – als eine sinnliche Begegnung mit der Pop Art, die es in Leipzig bisher nur selten gab.
Dadurch, dass die sonnige Bilderwelt von Mel Ramos mit den 90 ausgestellten Arbeiten von Richard Müller konfrontiert wird, wird natürlich auch eine Frage in den Raum gesetzt – die nicht beantwortet wird: Wird im Werk eine Künstlers sein moralischer Maßstab sichtbar? Und diskreditiert ein Künstler, der sich der Staatsmacht andient, sein Werk?
Sind dann Künstler wie Ramos und Joop in der glücklicheren Lage, weil sie sich keiner Staatsmacht andienen mussten?
Eine Frage, die Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt auch auf einen Großkünstler wie Emil Nolde angewendet wissen will – der sich willfähriger angedient hat als Müller. Man könne für verschiedene Künstler je nach Ruhm nicht unterschiedliche Maßstäbe anlegen.
Der Rest ist dann die Beschäftigung mit den Bildern. Vielleicht liegt die Antwort ja auch dort, in Müllers malerischer Brillanz, die zu frappierenden Bildlösungen führt, die aber auch Verstörungen zurücklässt. Ein offener Widerspruch, der bis hin zur Disney-Verfilmung von “Die Schöne und das Biest” reicht. Und der Frage, die 2013 so aktuell ist wie nie: Wie gehen wir mit der belebten Welt außerhalb unserer Konsumwünsche um? Mel Ramos zum Beispiel antwortet darauf nicht. Und auch Wolfgang Joop geht darüber hinweg. Es ist, als wäre mit der Nähe auch die Empathie verloren gegangen. Mit der Entblößung der Frau auch ihre Intimität.
Wer sich selbst ein Urteil bilden möchte: Die Ausstellung “Die Schöne und das Biest” ist vom 13. Oktober 2013 bis zum 12. Januar 2014 im Untergeschoss des Bildermuseums zu sehen.
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