Einen sperrigen Namen hat diese Klasse der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB): Mass Media Research und Kunst im medialen öffentlichen Raum. Die gezeigten Werke in der Spinnerei und den Ausstellungsräumen der HGB bestechen jedoch durch ihren spielerischen Bezug zu dem, was der Durchschnittsmensch als Medien tagtäglich benutzt und wahrnimmt.
“Anfangs mag man denken, dass diese Fokussierung auf Massenmedien einen zu engen Fokus setzt, doch bei näherer Betrachtung offenbart sich, dass es ein unheimlich weites Feld ist, auf dem verschiedenste Bereiche abgehandelt werden können”, erklärt Günther Selichar, der diese Klasse seit dem Jahr 2007 betreut hat. Heute Abend eröffnet deren Abschlussausstellung, die Supershow genannt, welche kuratiert wurde von der Amerikanerin Kathy Rae Huffmann. Ab morgen, am Samstag, den 14. September, bis zum Sonntag, 22. September, ist die Ausstellung geöffnet. Ein kostenloser Shuttlebus bringt die Besucher stündlich hin und her. Es erwarten sie eine Vielzahl unterschiedlichster Werke.
Zum Beispiel “Girls Girls Girls” von Charlotte Eifler und Lene Albrecht. Das Video zeigt zwei junge Frauen. In ihren zugeknöpften blauen Blusen könnten sie auch Nachrichten vorlesen. Sie sagen jedoch Zeilen aus bekannten Popsongs auf, die sich um Frauen drehen. “Die Worte sind uns bekannt, doch sie werden im Lied immer von der Melodie getragen”, erklärt Charlotte Eifler. Zum Beispiel der Song Barbiegirl von Aqua, ein Pophit aus den 90er Jahren, in dem es heißt: “Undress me everywhere”, also “Du kannst mir alles ausziehen.” Die Installation entblößt den Sexismus, welcher in Popsongs leicht überhört wird.
Marwin Rüffer hat eine persönliche Erfahrung in einem Video verarbeitet. Im vergangenen Jahr war er als Bauarbeiter in Russland unterwegs und half in Sochi, wo nächstes Jahr die olympischen Winterspiele stattfinden werden. Er baute das Chalet mit, wo Präsident Wladimir Putin residieren wird. Rüffer versteckte bei einem Deckenbalken einen Zettel mit einem Zauberspruch. “In der Hoffnung, dass dieser ein gutes Werk tut und Frieden in Putins Herz einziehen lässt”, so der junge Künstler.
Lärm machen Sebastian Fischer und Rozbeh Asmani mit ihrer Installation “Gold strebt zur 1000-Euro-Marke”. Dafür ließen sie ein Computerprogramm aufsetzen, welches Veränderungen in den Börsenkursen als Kontrabass-Töne wiedergibt. Praktisch ein vertonter Livestream von der Börse. Eine Tafel zeigt eine Auswahl börsennotierter Unternehmen an. Jede Veränderung wird zudem als Note angezeigt. “Nach der Mittagszeit ist am meisten los”, erzählt Rozbeh Asmani. Auch könne man die Auswirkungen von Katastrophen hören. “Wenn man den Tönen vom 11. September 2001 lauscht, merkt man, welche Krise das war.”
Mit einer Krise, nämlich dem zweiten Weltkrieg, hat sich auch Anna Baranowski beschäftigt. In ihrer Videoschleife zeigt sie Aufnahmen von einer Kriegs-Nachstellung in Polen. Doch Krieg ist nicht zu sehen. Die Soldaten-Darsteller warten. Oder vertreiben sich im Gespräch, manchmal auch mit Blödeleien die Zeit bis zu ihrem Einsatz in der Kriegs-Show. “Das Video trägt den Titel Wojna, also Krieg”, erklärt Baranowski. Da aber keiner zu sehen ist, sondern nur die große Langeweile, bedeutet dies ihre Absage an eben jenen.
Einen gänzlich analogen Ansatz hat Silke Fischer-Imsieke gewählt. Sie verschickt leere Zettel an willkürlich ausgewählte Menschen in Leipzig, die im Telefonbuch verzeichnet sind. “Ich habe die Leerzeichen in meiner Diplomarbeit, in der ich mich mit der Leere, dem Nichts, beschäftigt habe, gezählt und drucke diese aus und bringe die Briefe selbst hin”, so die Künstlerin. Jeden Tag einen trägt sie aus. Ihre Diplomarbeit weist 24.000 Leerzeichen aus. “Ich werde das nicht schaffen, alle auszutragen”, sagt Fischer-Imsieke. Jede Auslieferung dokumentiert sie und heftet alles fein säuberlich ab. Im Ausstellungsraum steht ihr Schreibtisch, an dem sie arbeitet. “Das Besondere hier ist der prozessuale Ansatz”, erklärt Günther Selichar, der die Klasse betreut hat.
Auch er ist mit Werken vertreten. Selichar verlässt mit Abschluss dieser Klasse die HGB. Eine Verlängerung ist zwar möglich aber in seinem Fall nicht zustande gekommen. “Das ist nicht friktionslos abgegangen”, beschreibt er. “Es ist eben Tradition, dass nach sechs Jahren Schluss ist. Ich hätte gern weiter gemacht, doch mehr gibt es nicht zu sagen.” Selichar möchte die Werke seiner Klasse nicht belasten mit diesem Thema. Zusätzlich betreut wurde sie von Yuki Jungesblut und Claudia Tittel.
Die Werke werden nicht nur in der Ausstellung gezeigt, sondern auch in verschiedenen Medien ausgestrahlt. Zum Beispiel im Fernsehen, auf info TV Leipzig. Am Sonntag, 22. September, von 10 bis 16 Uhr wird “zeiten#2” von Sophie Stephan gezeigt. Der ORF 3, zeigt am Dienstag, 17. September, um 23:30 Uhr “Sorry that I asked!” von Thomas Taube. Und im Netzradio laufen Beiträge von Benjamin Kilchhofer und Hannah Sieben, am Sonntag, 15. September, 20 Uhr auf reboot.fm.
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