Unter dem sperrigen 20. Jahrhundert lauert das unverdaute 19. Jahrhundert. Wagner, Klinger und May heißen die drei Sachsen, die auch ganz exemplarisch für den Größenwahn dieses Jahrhunderts stehen, in dem die Ingenieure gern regiert hätten, die Revolutionäre brav wurden wie die Schafe und am Ende ein paar Junker aus der preußischen Sandbüchse den Ton angaben. Ab dem 15. Mai darf abgetaucht werden in dieses Zeitalter der unabgegoltenen Märchen. Adresse: Bildermuseum.
Am Dienstag, 30. April, durfte die Presse schon mal bei den Aufbauarbeiten einer Ausstellung zuschauen, die sie sonst nicht zu sehen bekommt. Die Ölschinken stehen noch auf Rollwagen, die Grafiken sind vorsichtig an die Wand gelehnt. Computerausdrucke zeigen an den Wänden, wo noch Bilder platziert werden sollen, die derzeit noch in großen Containern auf den Straßen unterwegs sind. Es wird geschraubt, verkabelt, programmiert. Es ist das Rudiment einer Ausstellung, die einmal “Weltenschöpfer” heißen soll und von der Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt gar nicht verraten will, wann er auf die Idee dazu kam. 2011? 2010?
Natürlich geht es um Wagner. Den sperrigen Sohn der Stadt, der auch 130 Jahre nach seinem Tod sperrig wirkt. “Und doch erstaunlich modern”, sagt rosalie. “Seine Themen sind unsere Themen.” Sie ist Bühnenbildnerin und Lichtkünstlerin. Sie liebt Licht. Es ist das ausdrucksstärkste Medium für sie. Die Leipziger kennen die zierliche Stuttgarterin schon. 1991 kam sie mit Uwe Scholz von Stuttgart nach Leipzig und verwandelte seine Tanzstücke in Lichtkunstwerke. Sie ist auch mit Wagner vertraut. Sie hat auch den “Ring der Nibelungen” bei den Bayreuther Festspielen von 1994 bis 1998 in Licht getaucht. Und Klinger kennt sie auch. 2011 kam sie zur Eröffnung der Klinger-Villa extra nach Leipzig und hatte im frisch angelegten Garten an der Weißen Elster eine Vision: die Vision einer Lichtinstallation für Max Klinger. Das Laub auf den Beeten sollte sich verwandeln in einen klingenden Boden, über den die Leute laufen und dabei Klinger zum Klingen bringen. Das werden sie tun können ab dem 15. Mai.Denn Hans-Werner Schmidt hat rosalie eingeladen ins Leipziger Bildermuseum. “Zuerst dachte ich: als Kuratorin”, wundert sie sich noch nachträglich. Aber Schmidt hatte da so eine Idee, die er von rosalie umgesetzt sah: drei Künstler, drei Inszenierungen, eine große Schau. “Drei sächsische Großkünstler”, sagt Schmidt, die auch so ihre etwas schwierigen Verhältnisse hatten zum Pekuniären, zu Recht und Moral. “Ein sattes Jahrhundert sächsischer Kulturgeschichte”, sagt Schmidt. Und noch etwas sieht er als gemeinsamen Nenner für Richard Wagner, Karl May und Max Klinger: die Idee des Gesamtkunstwerks. “Drei Künstler, die alle drei ihre Realität nicht akzeptieren wollten.”
Wenn es denn nur drei waren. Und nicht mehr. Der Besucher der Ausstellung wird es sehen können. Schon wenn er hinabsteigt in den zentralen Raum, in dem er erst einmal der geballten Kunst des 19. Jahrhunderts begegnet. Oder besser: dem, was die Weltenschöpfungen dieser drei Herren aus Sachsen flankiert. Große romantische Landschaften, düstere mystische Szenarien und Helden. Immer wieder neue Heldengestalten. Diese ganze gemalte Attitüde des deutschen Großbürgertums, das sich aus kleinlichem Alltag immer sehnte wegwohin – in grandiose Szenarien, märchenhafte Abenteuer, exotische Welten. Der Besucher sieht, in welcher Bilderwelt die drei wirkten, teilweise selbst damit beschäftigt, sie zu erschaffen. Der eine mit seinen Gesamtkunstwerken auf der Bühne, der nächste mit seinen Bergen von Romanen über edle Helden in exotischen Ländern, der dritte mit seinen grafischen Epen und überbordenden Kunstwerken.Aber wie führt man das zusammen? – Für Schmidt war klar: Das brauchte die Inszenierung. Und so bot er rosalie keine Kuratur an, sondern die Schaffung dreier Kunsträume, das 2004 eröffnete Bildermuseum, das die Stuttgarterin schon bei der Eröffnung faszinierend fand, als Spielfeld für drei “groß dimensionierte, kinetisch-aktive Licht- und Raumskulpturen”. Wobei das Wort “Skulptur” irre führt. Es sind Inszenierungen, die jeweils einen kompletten Raum füllen und in die man hineingehen kann.
Die Inszenierung zu Karl May ist ein großer Canyon aus Licht: “MAY Dead End”. Helle, hinterleuchtete Nylonbahnen rechts und links, sechs Meter hoch, dahinter Projektoren, die Bildsequenzen und Licht auf die Wände der 22 Meter langen Schlucht werfen, die Mays Abenteuerwelt assoziieren. Alles interaktiv. Der Raum verändert sich, wenn man ihn betritt – die Wände bewegen sich, die Lichter reagieren und auch der Sound, der Kojotengebell und Wolfsgeheul mit moderner Musik vermischt und einem Musikstück, das Karl May selbst komponiert hat, einem “Ave Maria”.Wagner wurde von rosalie wie eine Bühne inszeniert – als gigantische, acht Meter hohe LED-Wand, auf der die Motive aus Wagners Werken als Lichterbögen auftauchen – die Wasser des Rhein, das funkelnde Gold, die reitenden Walküren. “WAGNER Heldendisplay”. Davor, als leuchtende Torsi – die kopflosen Akteure aus Wagners Gesamtkunstwerk. Und auch hier lösen die Betrachter selbst die Licht- und Klangmodule aus, schaffen sich quasi ihr eigenes Wagnererlebnis.
Bei Klinger gibt es dann das begehbare Blättermeer, in dessen Mitte ein Klavier steht. Gewaltige Kunststoffknäuel geben weißes Licht. “KLINGER Begehbare Landschaften der Melancholie”. In diesem Raum arbeitet rosalie nur mit Schwarz und Weiß. Was die gespenstische Atmosphäre aus Klingers Grafik-Zyklen assoziieren kann. Die Musik-Motive, die man zu hören bekommt, sind von Brahms. Auch von dem hat Max Klinger ja – wie von Beethoven – eine beeindruckende Skulptur geschaffen. Erst an Wagner ist er gescheitert. Was eine eigene Geschichte ist. Aber diese Geschichte müsste eigentlich in diesem Zusammenhang auch erzählt werden.Mancher wird sie spüren beim Abenteuerurlaub in dieser Ausstellung. Denn den Versuch eines “Gesamtkunstwerks” haben die drei Sachsen zwar gemein – aber ihre Welten haben dennoch nichts miteinander zu tun. Es sind drei verschiedene Ideale, die hier aufeinander treffen. Und die nur das Ideale und das Romantische als ähnlichen Grundton haben. Schon bei der Definition der “Helden” und ihrer Leitmotive gehen die Wege weit auseinander. rosalie hat die Widersprüche durchaus in ihren Installationen eingefangen. Aber auch das Moderne, wenn man es denn so bezeichnen will: die hermetische Schaffung einer eigenen künstlerischen Welt. In die man durchaus abtauchen kann. Die aber auch Spiegelbild der etwas nüchternen Realität da draußen ist, wo der Mensch im bürgerlichen Kleinklein so gern ein paar schöne leuchtende Ideale hätte. Von Wagner, May und Klinger hat er sie in verschwenderischer Fülle geliefert bekommen.
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Hans-Werner Schmidt strahlt richtig, als er die Formel “nachhaltige Verschwendung” benutzt und wie ein Lausbub die Vertreter der Ostdeutschen Sparkassenstiftung und der Sparkasse Leipzig foppt, die die Ausstellung und insbesondere die aufwändigen Installationen von rosalie erst ermöglicht haben. Natürlich ist das keine Formal aus der strengen Buchhaltung, sondern eine, die wirkliche Künstler von Buchhaltern unterscheidet: Sie verschwenden sich, weil sie tatsächlich nicht anders können, ganz und gar in ihr Schaffen. Auch wenn sie dabei immer wieder in pekuniäre Kalamitäten geraten.
Ein ganzes Team von Technikern und Helfern hat rosalie aus Stuttgart mitgebracht. Es wird noch ein paar Tage dauern, bis ihre Installationen fertig sind und so funktionieren, wie sie es sich wünscht. Aber eins ist schon spürbar: Das wird eine Ausstellung für Leute, der gern für ein paar Stunden richtig abtauchen wollen und Wagner, Klinger und May einfach mal auf sich wirken lassen wollen. Flankiert vom romantischen Bilderschwall der Zeit. Vielleicht auch ironisch reflektiert durch drei Leipziger Ur-Ur-Enkel der drei. Aber was der Schriftsteller Clemens Meyer in seiner Karl-May-Koje mit Karl May anstellen wird, war am Dienstag noch genauso wenig zu sehen wie das, was Universitätsmusikdirektor David Timm mit Richard Wagner anstellt und der Fotograf Falk Haberkorn mit Max Klinger.
Eröffnet werden soll die Ausstellung “Weltenschöpfer” am 15. Mai um 20 Uhr.
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