Die faszinierendste Ausstellung in Leipzig findet, wer sucht, ab heute Abend im "Studio" des Stadtgeschichtlichen Museums. Das ist der Ausstellungsraum, den sich das Museum im Keller seines Neubaus im Böttchergässchen eingerichtet hat. Sonst eher für kleinere Ausstellungen von Fotos oder Gemälden genutzt, ist ab heute Abend eine ganze Stadt drin zu sehen: Krakow in 3D.

Es gibt zwar den hübschen Anlass im Hintergrund, dass die Städtepartnerschaft Krakow – Leipzig in diesem Jahr 40 Jahre alt wird. Das hat Leipzig diese eindrucksvolle Ausstellung beschert. Aber das Historische Museum der Stadt Krakow mischt mit dieser Ausstellung natürlich die Welt der europäischen Stadtmuseen auf. Hier wird gezeigt, wie man Stadtgeschichte lebendig werden lassen kann. Geht zwar noch nicht aus dem Baukasten und ist eine aufwändige Arbeit. Aber auf zwei großen Bildschirmen, Dutzenden großen Tafeln mit Erläuterungstext, in mehreren Modellen und mit schönen Beispielen Krakower Handwerkskunst wird sichtbar, welche Fülle an Informationen es in so einer alten europäischen Handelsstadt gibt.

Erwähnt wurde die Stadt etwas früher als Leipzig – 965. Sie ist mit 760.000 Einwohnern auch etwas größer. Aber genau wie Leipzig liegt Krakow am Kreuz berühmter Handelswege. Mit Leipzig ist es über die Via Regia direkt verbunden. Und wie Leipzig ist es eines der wichtigen wirtschaftlichen Zentren seines Landes. Auch die Polen machen sich mittlerweile zunehmend Gedanken über die wichtige Rolle der Städte bei der Entwicklung des Landes. Und was die Leipziger in den vergangenen 20 Jahren immer mal wieder im Kleinen erlebten, erlebten die Krakower zehn Jahre lang im Großen – archäologische Ausgrabungen mitten im Herzen der Stadt. Zeitweise wurden 6.000 Quadratmeter im Gebiet des Marktes aufgegraben. Das führte, so resümiert Michal Niezabitowski, Direktor des Historischen Museums, zeitweise zu heftigen Debatten.Debatten, die die Leipziger so nicht erlebten. Denn archäologische Ausgrabungen finden in Leipzig immer nur im Zusammenhang mit Neubauprojekten statt. Da war über Jahre im Zusammenhang mit dem City-Tunnel zwar auch der Markt betroffen – aber zu finden war da nur noch am Rande einiges.

Aber das kann kein Grund sein, den Versuch nicht zu wagen. Die Krakower wagten ihn 2005, bekamen dafür finanzielle Unterstützung durch die Stadtverwaltung. Aber das Projekt, die alte Stadt des 14. oder 17. Jahrhunderts zu rekonstruieren, war trotzdem eine Herkulesaufgabe – brauchte ein Budget von 300.000 Euro und die Mitarbeit von ungefähr 50 Experten. Leiter des Projekts ist der Architekt Piotr Opalinski. Elsbieta Firlet leitete die Arbeitsgruppe, die im Kontakt mit den Stadtplanern stand. Man konnte auf die Ergebnisse der Archäologen zurückgreifen, die gleich auf dem Krakower Wawel zu Hause sind. Aber die Rekonstruktion der Stadt – Gebäude für Gebäude – war eben doch aufwendige Programmierarbeit.Welche Arbeit in so einem Projekt steckt, zeigten 2009 auch die jungen Geografen der Uni Leipzig, als sie das Universitätsviertel der Stadt aus dem Jahr 1809 digital rekonstruierten. Das waren viele hundert Stunden am Computer.

“Cracovia 3D” zeigt die ganze mittelalterliche Stadt. In mehreren zeitlichen Schichten. Denn auch darin waren die Krakower wie die Leipziger – sie haben ihre Stadt immer wieder umgebaut, den Veränderungen angepasst. Das beginnt schon mit dem Wawel, der mittlerweile zu 80 Prozent archäologisch erkundet ist. Die archäologischen Befunde kann man natürlich mit den alten Bauakten kombinieren. Und man kann auf alte Stadtansichten zurückgreifen.

In der Ausstellung erläutern mehrere Tafeln, wie es von den Befunden zur Rekonstruktion ging. Und sie erläutern Geschichte und Funktion der Gebäude, die in den alten Stadtlandschaften auftauchen. Typisch dafür die alten Tuchhallen, die Waagen, das alte Rathaus oder die Wohnbebauung am Ring. Alle Dinge, die so ähnlich auch in Leipzig gestanden haben müssen, als die beiden Handelsstädte im 13. und 14. Jahrhundert ihre erste Blüte erlebten. Faszinierend zu sehen, wie sich die wichtigsten Bauten rund um den quadratischen Krakower Markt schon im 15. Jahrhundert veränderten, wie sich der wachsende Reichtum der Stadt auch in neuen Bürgerhäusern manifestierte, wie sich auch die Ringbebauung verdichtete.Michal Niezabitowski hat schon recht: Das sind Prozesse, die sich so wohl in allen wichtigen Handelsstädten Mitteleuropas vollzogen. Und die Parallelen hören ja nicht auf. Auch im 21. Jahrhundert laufen die meisten Prozesse in den Großstädten der Region recht parallel. Mittlerweile sind das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig und das Historische Museum der Stadt Krakow Teil eines wachsenden Netzwerkes von Stadtmuseen, die miteinander kooperieren, Ausstellungen und Know-how austauschen. Bevor “Cracovia 3D” nach Leipzig kam, zeigte Leipzig 2009 seine Ausstellung zur “Arisierung” in der Schindler-Fabrik in Krakow.

Aber den Krakower Forschern geht es nicht nur darum, ein Bild vom mittelalterlichen und frühen neuzeitlichen Krakow zu zeigen. “Wir wollen auch herausfinden, wie es sich in diesen Städten lebte”, sagt Michal Niezabitowski. Klöster gehören auch in Krakow zu den rekonstruierten Raumensembles, genauso wie die militärischen Verteidigungsanlagen des 16. und 17. Jahrhunderts. Die Ausstellung wird auch noch durch Repliken der einst in Krakow gehandelten Bleibarren und Salzblöcke bereichert. Im Original hätten sie den Fahrstuhl im Museum überfordert – das eine wog um die 700 kg, das andere 2 Tonnen. Aber Ähnliches wäre auch für Leipzig zu rekonstruieren, wenn man die Leipziger Handelsbeziehungen auch einmal außerhalb der Messen aufarbeitet.

Da sind nicht nur die Mitarbeiter des Stadtgeschichtlichen Museums gespannt, was 2015 in der Ausstellung zur 1.000jährigen Ersterwähnung Leipzigs zu sehen sein wird, wo man dann wieder eng mit dem Landesamt für Archäologie zusammenarbeitet. Denn was in den letzten Jahren in Leipzig ausgegraben wurde, liegt fast alles in den Archiven in Dresden.

Und wer jetzt “Cracovia 3D” besucht, wird natürlich den Wunsch verspüren, auch das historische Leipzig einmal so sehen zu können. Auch wenn noch viel mehr Fragen offen zu sein scheinen als in Krakow. Manche auch geografischen Fragen zur Leipziger Stadtgeschichte sind ja seit einiger Zeit wieder heftig diskutiert. Und so mancher Freund der Stadtgeschichte ärgert sich zu recht über einige Unterlassungen der letzten Jahrzehnte. Ganz im Zentrum die über den alten Kern der Stadt auf dem Gebiet des Matthäikirchhofs, wo die Stasi eine archäologische Untersuchung regelrecht untersagte.

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Eröffnet wird die Ausstellung “Cracovia 3D. Via Regia – Krakau auf der Handelsroute im 13. bis 17. Jahrhundert” ganz offiziell am heutigen Dienstag, 12. Februar, um 18 Uhr mit Michal Niezabitowski, Kulturbürgermeister Michael Faber und Museumsdirektor Dr. Volker Rodekamp.

Gezeigt wird die Studioausstellung vom 13. Februar bis zum 26. Mai. Und eine eindrucksvolle Begleitpublikation gibt es auch.

www.stadtgeschichtliches-museum.de

Das Muzeum Historyczne Miasta Krakowa im Netz: www.mhk.pl

www.krakow.pl

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