Am heutigen Samstag, 1. Dezember, um 18 Uhr wird im Museum der bildenden Künste ganz offiziell der Kunstpreis der Sachsen Bank 2012 verliehen. Preisträgerin ist - und das verblüfft so langsam auch die Sachsen Bank - wieder eine Leipzigerin: Franziska Holstein. Immerhin dürfen sich seit 2008 junge professionelle Künstlerinnen und Künstler aus ganz Mitteldeutschland bewerben.

Es ist ein Preis, der gerade jene jungen Künstler herausheben soll, denen bislang das große Blitzlichtgewitter versagt war, die aber mit Ausstellungen schon bewiesen haben, dass sie Ungewöhnliches, Überraschendes und Überzeugendes zu bieten haben. Auch wenn man das nicht immer erklären kann. Wäre Kunst erklärbar, hätten die Menschen die Kunst gar nicht erst erfunden. Und schon gar nicht immer weiter getrieben. Denn sie ist weder nützlich noch sinnvoll noch konsumierbar noch effizient herstellbar. Sie genügt den simpelsten Prämissen des heutigen Effizienzdenkens nicht, lässt sich nicht planen und nicht in Produktionsketten zwingen.

Und trotzdem treten auch heute noch Unternehmer und Banken als Käufer und Mäzen auf, sind stolz auf ihr Engagement, lassen sich auch gern überraschen wie Prof. Harald R. Pfab, Vorsitzender des Vorstands der Sachsen Bank, die 2007 die Nachfolge der so kläglich gestrandeten Sachsen LB antrat. Da liegt ihm sogar ein kleiner Spaß auf den Lippen, als er am Freitag, 30. November, gemeinsam mit Museumsdirektor Dr. Hans-Werner Schmidt die neue Preisträgerin vorstellen darf: “Banker haben ja heute eine sehr kurze Halbwertszeit.”

Müssten sie eigentlich nicht haben. Wenn sie wie Künstler dächten und nicht nur in Rendite- und Zinseszins denken würden, sondern schöpferisch.

Es ist ja in Wirklichkeit nicht anders: Auch Projekte, die eine Bank finanziert, müssen wachsen, atmen und leben. Manchmal haben sie lange Phasen der Suche, des Ausprobierens, der Korrekturen. Man kann sie am Reißbrett entwickeln und lauter Clone herstellen – aber so sieht das Ergebnis auch aus. Es sind die Clone, die der Welt die Luft zum Atmen nehmen.

Und was macht nun Franziska Holstein, die von 2000 bis 2005 bei Arno Rink studierte und von 2005 bis 2008 Meisterschülerin bei Neo Rauch war? – Keine “Leipziger Schule”. Da war man sich auch in der Kurzvorstellung am Freitag schnell einig. Dass sie einen besonderen Weg geht, war 2005 schon sichtbar. Da bekam sie den Ars Lipsiensis, den die Dresdner Bank für besondere Absolventen der HGB vergibt.

Man kann es zwar abstrakt nennen, was sie macht. Aber das ist es nicht wirklich. Hans-Werner Schmidt holte bei seinem Versuch, das Ganze zu fassen, richtig weit aus, verwies auf die Ikonen und Zeichen, mit denen die öffentlichen Räume heute überschwemmt sind. Die normale Lebenswelt des modernen Großstädters ist eine Welt der künstlichen und vor allem immer bunteren Strukturen und Muster. Im Grunde gibt es immer weniger Räume, die nicht mit Zeichen und Hinweisen besetzt sind – oder eben greller Werbung. Schmidt und Pfab entdeckten gerade in den fünf großformatigen Acryl-Malereien die Farb- und Musterwelt ihrer Jugend in den 1970er Jahren wieder, einer Zeit, in der scheinbar alles Pop war. Und quietschebunt.Aber gerade die großformatigen Malereien zeigen, dass es der jungen Leipzigerin um mehr geht. Nur auf den ersten Blick wirken die Muster vertraut. Schon beim Näherkommen sieht man dicke, pastose Farbschichten. Und ein Schritt zur Seite genügt, um die vielen dicken Farbschichten zu sehen. Die Künstlerin spricht tatsächlich von bis zu 100. Die Bilder entstehen in einem langen Prozess, bei dem eigentlich nur eines von Anfang an feststeht: dass es ganz viele Schichten werden. Dabei können sich auch die Grundmuster ändern, die natürlich abstrakt sind – aber andererseits auch so verspielt, dass der Betrachter durchaus mit Phantasie an die Betrachtung herangehen kann.

Besonders deutlich wird das an einem Werk mit dem Nicht-Titel “o. T. C4 – 12”, einer Hängung von 260 orange Scherenschnitten auf erdfarbenem Grund im aluminiumgrauen Rahmen. Jeder ist anders. In der Hängung scheint sich ein Ablauf zu zeigen, eine Art schneller Bilderfolge, wie man sie aus Trickfilmen kennt. Irgendetwas passiert da, führt über mehrere Bilder hinweg zu einer sichtlich dramatischen Handlung, der ein abrupter Szenenschnitt folgt … Doch während man bei richtigen Filmbildern dann alle Konzentration auf das legt, was man (noch) erkennen kann an schemenhaften Gestalten und Landschaften, bleibt es hier abstrakt. Und trotzdem hat der Betrachter das Gefühl: Da wird mir was erzählt. Da ist etwas, was passiert.

Und wenn es auch nur das ist, was das Auge wahrnimmt. Womit man natürlich als zufälliger Betrachter vor der schlichten alltäglichen Aufgabe steht, dem Rätsel eine Lösung zu geben. So ist ja die Wahrnehmungsmaschine im Kopf gebaut: Der menschliche Geist ist permanent damit beschäftigt, das, was die Augen sehen, bekannten Mustern zuzuordnen. Nur so sind wir in der Lage, die Welt um uns zu erkennen und ihr einen Sinn zu geben. Sie damit auch zu verstehen. So fern liegt Hans-Werner Schmidt da ja mit seiner Flut von Zeichen und Symbolen, die uns täglich überfallen, nicht.

Aber was sieht man auf den Bildern und Drucken von Franziska Holstein? Was hat die Künstlerin gesehen, die stärker als andere Malerinnen und Maler ihr Schaffen als Prozess begreift? Der nicht nur den Auftrag immer neuer Farbschichten umfasst, sondern auch das Innehalten an einem Punkt, an dem das Bild für sie stimmig ist.Ob es für die Besucher der Ausstellung stimmig ist, müssen sie alle selbst herausbekommen. Denn jedes Muster, jede Farbzusammenstellung löst natürlich auch unterschiedliche Eindrücke aus. Erst recht, wenn einer als Perfektionist in die Ausstellung geht und dann schon beim ersten Blick sieht, wie die Malerin “gekleckert” hat, wie unverhofft Spritzer und Farbspuren auf den planen Flächen erscheinen. Aber auch das gehört dazu, ist von der Malerin bewusst so gesetzt: der Eindruck soll durch diese so menschlich, unperfekt scheinenden Spuren aufgebrochen werden.

Und das Ergebnis für die junge Künstlerin, als sie nun die Arbeiten im Bildermuseum hängen sah: Ein Rätsel, sagt sie. Bilder, mit denen sie oft Jahre verbracht hat, überraschen sie nun selbst, weil irgendetwas jetzt mitschwingt, was vorher so nicht sichtbar war.

Auch eine Art, Kunst zu machen.

Über 60 Künstler aus dem mitteldeutschen Raum haben sich diesmal für den Kunstpreis der Sachsen Bank beworben, in etwa so viel wie 2010, als am Ende die Künstlergruppe “Famed” den Zuschlag bekam. Die Jury bestand aus Oliver Kossack, Prorektor der HGB, Ralph Lindner aus Dresden, Stiftungsdirektor der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, Dr. Hans-Werner Schmidt, Direktor des Leipziger Museums der bildenden Künste, und Dr. Petra Roettig, Leiterin der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle. Sie wird am heutigen Samstag, 1. Dezember, ab 18 Uhr auch die Laudatio auf die Preisträgerin halten.

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Der Preis ist mit 30.000 Euro dotiert – 20.000 Euro davon fließen wie auch in den Vorjahren in die Produktion eines Katalogs. Der wurde diesmal bei Lubok in Leipzig gedruckt. Den werden wir an dieser Stelle in den nächsten Tagen noch vorstellen.

10.000 Euro dienen zum Ankauf eines Bildes (oder mehrerer) von Franziska Holstein, was Hans-Werner Schmidt diesen Preis, der nun zum sechsten Mal verliehen wurde, besonders wertvoll macht. Denn so bekommt das Museum der bildenden Künste die Chance, auch Werke der ausgezeichneten jungen Künstler in den Bestand zu bekommen und so auch die Sammlung junger Kunst zu stärken.

Die Preisverleihung und Ausstellungseröffnung findet am Samstag, 1. Dezember, ab 18 Uhr im Museum der bildenden Künste statt.

www.mdbk.de

http://kunstpreis.sachsenbank.de

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