Pandemie, Energiekrise, Inflation – auch die kommerzielle Kulturszene kommt nicht zur Ruhe. Eine Ruhe, die das Geschäft mit der Freizeit eigentlich nie sucht, doch jede der einzelnen Entwicklungen der letzten zwei Jahre bedeuteten immer auch: Verlust an Planbarkeiten, Zurückhaltung beim Publikum, halbvolle Säle oder gleich geschlossene Türen und abgesagte Konzerte. Montagabend begann mit einer Auftaktveranstaltung die Suche nach Auswegen.
Denn am Abend des 21. November startete die Podiumsreihe „Kulturkollaps“ zur Gegenwart und Zukunft von Kultur und Kulturpolitik, welche auf die Initiative der Leipziger Kulturbürgermeisterin Dr. Skadi Jennicke, der Arbeitsgemeinschaft „Long Covid für die Kultur?“ und des „Runden Tisches Leipziger Spielstätten“ zurückgeht. Das Projekt steht unter der Federführung des Felsenkellers, wird finanziert durch das NEUSTART Kultur Programm sowie durch die Stadt Leipzig gefördert.
Die Plätze im Naumanns Tanzlokal in der oberen Etage des Felsenkellers waren allesamt besetzt, während es auf der Bühne um die Vor- und Nachteile des kulturpolitischen Förderbetriebs und die Frage nach Veränderungsmöglichkeiten der tradierten Kulturförderung ging. Auf dem Podium Platz genommen hatten zum einen Jennicke, welche auch und Vorsitzende des Kulturausschusses des Deutschen Städtetages ist, sowie der Direktor und Geschäftsführer des Zentrums für Kulturforschung, Prof. Dr. Dieter Haselbach.
Wer wird gefördert, wie und warum?
Spätestens seit der Coronakrise steht die Kulturszene unter erhöhtem Druck. Immer wieder sandten Theatergruppen, Musiker/-innen, Livespielstätten und Co. in den letzten drei Jahren Hilferufe aus, um auf ihre prekäre Lage aufmerksam zu machen. Sie waren die letzten, die ihre Pforten für Besucher/-innen wieder öffnen durften, nachdem das Virus einigermaßen in den Griff bekommen war.
Jetzt, mit der Energiekrise, tun sich für viele Betriebe neue Probleme auf. „Im Morgen liegt die Frage, im Gestern keine Antwort“, so das Motto der Veranstaltung, machte bereits im Vorfeld klar, dass es darum gehen soll, die Dinge zu verändern, neu zu ordnen und in Gang zu bringen. Die Kultur oder vielmehr die Kulturpolitik, wie Dieter Haselbach in seinem Eingangsvortrag ausführte, war bereits vor Corona an einen kritischen Punkt geraten.
„Wir haben einen weitaus größeren Teil außerhalb-, als innerhalb der Kulturförderung“, so Haselbach. Das unterscheide sich in den unterschiedlichen kulturellen Sparten. So erlebten die Darstellenden Künste generell größeres öffentliches Interesse in Form von Förderung als beispielsweise die Literatur oder Musik.
Während die Oper, die an diesem Abend zum leuchtenden (und umstrittenen) Symbolbild der Hochkultur auserkoren wurde, umfangreiche Förderung genießt, sind viele Betriebe, Spielstätten, Ensembles im Freien Bereich komplett sich selbst überlassen. Oder aber – und das beschreibt laut Haselbach das nächste Problem in der Kulturförderpolitik – Fördermittel werden lediglich projektbezogen vergeben. Diese Situation sorge für Planungsunsicherheit, gehe oft mit geringer Bezahlung einher und verschleiße durch bürokratische Prozesse einen großen Anteil der Arbeitskraft.
Zwar gebe es die Künstlersozialkasse (KSK), die selbstständige Künstler/-innen absichert, in der Realität funktioniere dies aber nur bedingt. „Die Künstlersozialkasse ist strukturell falsch konstruiert: Anstatt Selbstständige zu versichern, schafft sie quasi Beschäftigungsverhältnisse, die es faktisch nicht gibt und folgt einer Logik, die den Kultursektor zusätzlich belastet und auch noch eine eigene Kontrollbürokratie erfordert, um die fiktiven Arbeitgeber zu kontrollieren und deren Beiträge einzutreiben. Klar ist: Die Projekte-Kultur belässt Menschen häufig in sozialer Unsicherheit.“
Sag mir, wo die Besucher/-innen sind
Einen großen Zwiespalt warf Haselbach darin auf, dass die Kultur durch Krisen, Inflation und Publikumsschwund immer mehr auf Fördermittel des Bundes angewiesen sei, gerade diese aber vorrangig als Projektförderung herausgegeben würden. Den weitaus direkteren Handlungsspielraum habe man auf kommunaler Ebene, allerdings würden gerade hier die Haushaltsmittel knapper.
Eine Lösung sei allerdings auch nicht, die ohnehin knappen kommunalen Finanzen „überall ein bisschen zu kürzen.“ Zumal es noch eine weitere Schwierigkeit gibt: Das Publikum bleibt (bisher) weg.
„Wir haben in unserem Haus nur noch ein Drittel der vorherigen Besucherzahlen“, erklärte Marcus Szygan, künstlerischer Leiter des „Neuen Schauspiel“ die kritische Lage in seiner Einrichtung. „Geht das so weiter, schaffen wir wahrscheinlich den Februar noch, danach ist es nicht mehr zu stemmen.“
Steigende Personal-, Energie- und Materialkosten setzen die Spielstätten zusätzlich unter Druck.
Noch weiß niemand mit Bestimmtheit zu sagen, woran es liegen könnte, dass das Publikum schwindet. Ist es die allgemeine finanzielle Unsicherheit, die in der Krise um sich greift? Ist es die Bequemlichkeit, die wir uns in Zeiten von „Stay home“ angeeignet haben? Ist es ein Überangebot an Kultur, das vor allem post-Corona seine Tentakeln überall auswirft?
Oder haben wir es auch mit einem demografischen Wandel zu tun? Sind Oper, Gewandhaus und Co. schlichtweg etwas für „alte Leute“? Nein, so ist es nicht, war sich das Publikum einig mit Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke. Dennoch kommt man wohl nicht umhin zu bemerken, dass jüngere Generationen Kultur anders konsumieren – Streams und Social Media bieten einfach ganz andere Möglichkeiten, als Konzerte oder Filme, die orts- und zeitgebunden stattfinden.
Mut zur Zukunft kaum vorhanden?
Ist es also so weit gekommen, dass die Frage aufgeworfen werden muss: Welche Bereiche der Kultur sollen weiterhin gefördert werden und sind die Summen, wie sie bisher vergeben werden, gerecht verteilt? Durchaus eine strittige und provokante Frage, vielleicht aber doch zumindest ein Ansatz, sie aufzuwerfen.
Dass Veränderungen oder das Streben danach nicht immer nur mit Wohlwollen aufgenommen werden, war auf der anschließenden Podiumsdiskussion deutlich spürbar. Beide Diskussionspartner/-innen waren sich wohl einig darin, dass die Dinge nicht weitergehen könnten, wie sie derzeit seine, setzten jedoch auf unterschiedliche Handlungsstrategien.
Im Gegensatz zu Haselbach, der die These in den Raum warf, dass „Mut zur Zukunft kaum vorhanden“ sei, zeigte sich Skadi Jennicke wenig überzeugt von der Annahme, dass der Weg der Institutionalisierung neue Innovationen blockiere. Auch große Häuser, die feste Fördersummen erhielten, legten ob der finanziellen Zuwendungen nicht die Hände in den Schoß.
„Wir müssen uns vorstellen, wie es wäre, wenn es die Oper nicht gäbe. Zumindest würde es eine größere Lücke geben, als ein nur leerstehendes Gebäude in der Innenstadt.“ Man müsse vor allem darauf setzen, sich untereinander mehr zu vernetzen und miteinander zu kooperieren – wie es während der Coronazeit in Leipzig auch schon passiert war. So stellte beispielsweise das Gewandhaus seine Räume zur Verfügung für Videoaufnahmen und Streaming-Veranstaltungen.
Jennicke bekräftigte: „Wir hier in Leipzig haben den Weg der Kooperation gesucht. Wir wollen nicht die materielle Neiddebatte führen. Die können wir nicht gewinnen. Wir wollen schauen: Wo können wir wechselseitig voneinander profitieren? Allein in der Verteilung der Mittel liegt nicht die Lösung.“
Aber wo liegt die Lösung? Beim an die Diskussion anschließenden Empfang im Naumanns hing diese Frage wie ein roter Leitfaden im Raum. Zwar konnte die Veranstaltung Impulse setzen und vielleicht bei der einen oder dem anderen Empörung hervorrufen angesichts der recht pragmatischen, auf Zahlen basierenden Herangehensweise Prof. Dr. Haselbachs. Wie es in Zukunft aber besser laufen kann (muss), diese Frage nahmen viele Besucher/-innen an diesem Abend vielleicht noch mit in den Schlaf.
Nächstes Podium im Frühjahr 2023
Bis zum zweiten Podium bieten Stammtische die Möglichkeit, genau darüber weiter miteinander zu diskutieren. Am 24. Januar 2023 dann werden der Intendant der Oper Leipzig, Tobias Wolff, und Reiner Michalke, international anerkannter Kulturmanager, Jazzfunktionär und Intendant der Monheim Triennale zu Gast auf dem Felsenkeller-Podium sein und über den kulturpolitischen Förderbetrieb, die Freie Szene und die Kulturwirtschaft diskutieren.
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