Mitte September 2021 etablierte sich der Leipziger Nachtrat, zusammengesetzt aus Vertreter/-innen der Clubszene, zivilgesellschaftlicher Organisationen, der städtischen Kultur- und Wirtschaftsförderung sowie der Polizeidirektion. Wenig später trat auch Leipzigs erster Fachbeauftragter für Nachtkultur seine Stelle an. Mit Nils Fischer, Leipzigs „Nachtbürgermeister“, der eigentlich gar keiner ist, und Felix aus dem Elipamanoke, der sich im NachtRat engagiert, haben wir uns über die ersten Monate „im Amt“ unterhalten.
Wieso nicht „Nachtbürgermeister“?
Nils Fischer: Innerhalb der Szene hat sich der Begriff schon etabliert, aber eigentlich bin ich der Fachbeauftragte für Nachtkultur. Der Begriff „Nachtbürgermeister“ schwirrt dennoch immer noch durch die Medien und die Szene. Ich denke, das weckt etwas falsche Erwartungen. Bei der Stelle geht es vorrangig um Vernetzung, nicht um politische Arbeit.
Wie ist die Arbeit als „Doppelspitze“ NachtRat und Fachbeauftragter für Nachtkultur angelaufen?
Nils Fischer: Bisher ist die Doppelspitze ja eher auf dem Papier existent. Es gibt den NachtRat, aber noch nicht die Koordinierungsstelle Nachtleben, die für die Umsetzung des Konzepts aber immanent ist. Die ersten Monate waren natürlich von Vernetzung geprägt. Ich hatte auch schon die Möglichkeit, mich national und international zu vernetzen, zum Beispiel auf der Stadt-nach-Acht-Konferenz im letzten November und der About-Night in Stuttgart.
Wir Nachtbeauftragten in ganz Deutschland sind inzwischen im regen Austausch. In anderen Städten gibt es bereits Konzepte für die gleichen Probleme, auf die auch wir stoßen. Das ist natürlich hilfreich. Abseits davon waren die letzten Monate natürlich auch durch spezielle Herausforderungen im Zuge der Pandemie geprägt.
Felix Heukenkamp: Die Konstituierung des NachtRats im September fiel in eine Zeit, in der die Clubs gerade wieder öffnen durften. Da waren wir noch in unseren eigenen Läden beschäftigt und hatten viel zu tun. Nach einem intensiven, aber kurzen Monat kam wieder die Schließung, das hat natürlich bei vielen die Stimmung gedrückt.
Vor allem die fehlende Zukunftsperspektive hat viele aus der Szene auch psychisch sehr belastet. Mal abgesehen davon, dass sich einige wieder neue Jobs suchen mussten. Trotz dieses Tiefs haben wir uns im NachtRat aber schon vernetzt, Arbeitsgruppen gegründet, eine Geschäftsordnung verabschiedet und Perspektiven entwickelt, wie unsere Arbeit und die Zusammenarbeit mit Nils aussehen sollte.
Ein schwieriger Faktor dabei ist die Zeit. Wir arbeiten alle ehrenamtlich im NachtRat und es ist nicht leicht, alle Beteiligten regelmäßig an einen Tisch zu bekommen. Aber ich denke, wir sind auf einem guten Weg.
Abgesehen von Corona: Worum geht es im Miteinander NachtRat und Fachbeauftragter für Nachtkultur?
Nils Fischer: Vorrangig geht es jetzt darum, eine Agenda aufzubauen. Wichtige Themen, die im Raum stehen, sind Safer Nightlife („Sichereres Nachtleben“ Anm. d. Red.), Verträglichkeit von Nachtleben und Anwohner/-innen. Für mich ist es wichtig, überhaupt ein Bewusstsein für Nachtkultur in der Verwaltungsstruktur zu schaffen. Bisher fehlte vielleicht auch an manchen Stellen der Zugang dazu.
Deshalb ist es wichtig, dass eine Person innerhalb der Verwaltung darlegen kann, warum die Nachtkultur ebenso ein Existenzrecht hat und wichtig ist. In den meisten Fällen wird das offen aufgenommen. Es gab aber auch Fehlkommunikation in den vergangenen Jahren.
Dadurch ist an manchen Stellen Unverständnis entstanden. Ein großer Teil meiner Arbeit ist diese „Übersetzungsleistung“, damit beide Seiten einander besser verstehen und empathisch Kompromisse eingehen können. Es geht auch darum, Sachverhalte an die richtige Stelle zu bringen. Wer von außen auf diesen Verwaltungsapparat schaut, kann ohne eine konkrete Ansprechperson schnell überfordert sein.
Ich bin beispielsweise im ständigen Austausch mit dem Kulturdezernat, dem Amt für Stadtgrün und Gewässer, dem Ordnungsamt, dem Amt für Wirtschaftsförderung oder der Geschäftsstelle des Kommunalen Präventionsrats. So kann ich vermitteln.
Felix Heukenkamp: In den Läden war die Schwelle zur guten Kommunikation mit den Ämtern tatsächlich schon immer hoch, gerade wenn es um Fördermittelanträge geht. Die meisten Personen aus der Nachtkultur sind Quereinsteiger/-innen und verlieren erstmal im „Beamtendeutsch“ den Überblick.
Zunächst muss man wissen, was wo beantragt werden kann. Dabei haben wir uns schon immer Unterstützung gewünscht. Das funktioniert innerhalb der Strukturen, wie im Livekommbinat Leipzig oder der Liveinitiative Sachsen schon gut. Dadurch konnten wir das bisher ein wenig auffangen.
Viele Probleme, die die Nachtkultur betreffen, sind nicht erst durch Corona entstanden, wie Lärmbelästigung oder Müll auf öffentlichen Flächen – nehmen wir das Beispiel Sachsenbrücke. Es geht auch darum, sich gegenseitig klarzumachen, wer wofür verantwortlich ist und sich gegenseitig zu sensibilisieren. Bleiben wir bei der Sachsenbrücke: Das, was dort im Sommer passiert ist, fiel auf die „böse“ Nachtkultur zurück, die sich „nicht an die Regeln hält“.
Das gibt natürlich ein schlechtes Bild ab in Stellen der Verwaltung und wirkt, als könne man mit Feiernden nicht in den Austausch treten. In dem Moment wäre es schön gewesen zu übersetzen und klarzumachen: Das sind nicht die Clubs, die sind geschlossen. Die Menschen wollen aber trotzdem feiern und wenn wir die Erlaubnis bekämen, würden wir gern kulturelle Alternativen anbieten. Für mich war das ein „Übersetzungsfehler“.
Nils Fischer: Es ist ja auch so: Die Menschen kommen trotzdem zusammen, ob in Clubs oder anderswo. Momentan verlagert sich das Feier-Geschehen eher in unkontrollierbare Räume.
Felix Heukenkamp: So ganz nachvollziehen können wir nicht, warum Clubs und Bars Infektionstreiber sein sollen für das aktuelle Pandemiegeschehen – dabei sind sie doch seit zwei Jahren fast ununterbrochen geschlossen. Dieses Vorurteil aber hält sich hartnäckig.
Aufseiten der Ämter fehlt vielleicht auch die Vorstellung, unter welchen Bedingungen sich Menschen im Club begegnen und welche Hygiene-Maßnahmen schon ergriffen worden sind. Wir wissen auch nicht, ob wir eine Ankündigung erhalten, wenn die Clubs wieder öffnen dürfen. Im letzten Sommer mussten wir das sozusagen aus der Verordnung „herausinterpretieren.“
Wird Nachtkultur generell nicht genug wertgeschätzt?
Felix Heukenkamp: Definitiv. Seit langem schon kämpfen wir dafür, die Unterteilung zwischen Subkultur und Hochkultur abzuschaffen. Im vergangenen Jahr hatte der Bundestag den Beschluss, Clubs als kulturelle Einrichtungen anzuerkennen, auf den Weg gebracht.
Nils Fischer: Das war ein Entschließungsantrag, der durch das Innenministerium unter Horst Seehofer hätte umgesetzt werden müssen. Das kam in der letzten Legislatur allerdings nicht mehr zustande. Das Signal aus Berlin lautet jetzt, dass das Thema schnell wieder angegangen werden soll. Das könnte sich allerdings ziehen.
Felix Heukenkamp: Mit jeder neuen Corona-Schutzverordnung wird immer wieder deutlich, dass diese Anerkennung noch in keinem Kopf angekommen ist.
Nils Fischer: Natürlich hat die Stadt nicht viel Einfluss auf die aktuelle Verordnung, gibt aber dennoch Statements nach Dresden durch. Jetzt geht es darum, Szenarien aufzustellen, wie wir aus der Corona-Situation wieder herauskommen und sich vorzubereiten, um nicht jeden Winter die Clubs wieder schließen zu müssen. Außerdem müssen wir das Publikum und Branchenmitarbeiter/-innen zurückzugewinnen.
Zu Beginn deiner „Amtszeit“ bekamst du von manchen Seiten heftigen Gegenwind. Wie war das für dich und hat sich die Situation inzwischen entspannt?
Nils Fischer: Von den organisierten Akteur/-innen, wie etwa dem Livekommbinat Leipzig, wurde ich von Beginn an ohne Vorurteile aufgenommen. Für mein Verständnis hat sich die ganze Situation gut entspannt – auch, weil nochmals klargemacht wurde, was hinter dieser Stelle steckt.
Ich bin nicht die Szene-Vertretung, die nach außen kommuniziert, sondern eine Schnittstelle zwischen der Stadt und der Szene. Sobald die Gelder da sind, wird hoffentlich auch ein/-e Vertreter/-in für die Szene gefunden, mit der ich eng zusammenarbeiten werde.
Apropos Geld: Der NachtRat hat sich für Fördermittel durch den Bund beworben. Bisher arbeiten die Mitglieder des Rats ehrenamtlich. Hat sich da etwas getan?
Nils Fischer: Leider wurden die Mittel nicht bewilligt. Alle Förderprogramme, auf die man sich jetzt bewerben kann, sind sehr spezifisch. Das Nachtleben aber ist themenübergreifend. Deshalb müssen wir ein Förderkonstrukt entwickeln. Das wird schwieriger, wenn die Clubs wieder öffnen dürfen, denn dann haben die Mitglieder des NachtRats weniger Zeit.
Deshalb bin ich, so gut es geht, unterstützend tätig, auch in der Recherche. Die ist allerdings ein wenig ernüchternd. Vielleicht ergibt sich aus den 30 Millionen Euro für die Kultur, die das Land zugesagt hat, eine Möglichkeit.
Felix Heukenkamp: Das ist auch das Thema, das uns ein wenig Sorgen macht. Zur Zeit der Pandemie haben wir uns gut vernetzt und Projekte gesucht. Es wird allerdings schwieriger, wenn die Clubs wieder öffnen und wir weniger Zeit haben.
Mit welchem Gefühl blickt ihr in die Zukunft?
Felix Heukenkamp: Persönlich bin ich sehr vorsichtig optimistisch. Darauf sind wir in der Vergangenheit mehrfach reingefallen. Natürlich hoffen wir, dass auch „der Rest Kultur“ irgendwann wieder die Arbeit aufnehmen kann. Ich hoffe auch, dass das frühestmöglich kommuniziert wird. Ich liebe meinen Job und ich hätte ihn gern wieder.
Im Hinblick auf den NachtRat hoffe ich, dass wir das tolle Konzept, das beschlossen wurde, auch umsetzen können. Es könnte zu großen Verbesserungen unserer Lebensqualität und der Sicherheit in Leipzig beitragen. Das macht Mut. Diese Pandemie hat dafür gesorgt, dass wir (die Clubs, Anm. d. Red.) uns mehr als Szene begreifen und uns enger vernetzt haben.
Dieser NachtRat ist die Spitze dessen, was Zusammenarbeit und Austausch in Leipzig bedeutet. Wir könnten in Zukunft Probleme, die in der Vergangenheit groß waren, spielend angehen, wie zum Beispiel Diskriminierung, Lärmbelästigung oder Gewalt. Clubs sind auch Orte des Informationsaustauschs und der Bildung.
Nils Fischer: Was kann man dem noch hinzufügen? Ich freue mich darauf, wenn wir uns endlich „in echt“ austauschen und Projekte angehen und aus dem Theoretischen herauskommen können. Ohne dieses tolle Konzept hätte ich mich wohl auch nicht auf diese Stelle beworben. Das wollen wir umsetzen.
Das Interview mit Nils Fischer und Felix Heukenkamp erschien erstmals am 25. Februar 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 99 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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