Wien, Amsterdam, Berlin, Mannheim – mittlerweile gibt es in unzähligen Städten Koordinierungsstellen zwischen Stadtverwaltung und Nachtleben. „Der Trend der Nachtkulturvertretungen ist weltweit am Start“, so Kordula Kunert. Die Kulturwissenschaftlerin hat nun auch in Leipzig solch ein Projekt ins Leben gerufen.

Am 23. September 2021 fand im Neuen Rathaus die Gründungssitzung der sogenannten „Botschaft der Nacht“ statt und am 29. September wurde nun auch Leipzigs erster Fachbeauftragter für Nachtkultur gefunden: Nils Fischer wird künftig die Schnittstelle sein zwischen den Akteur/-innen der Leipziger Nachtkultur, den Ordnungsbehörden, der Stadtverwaltung und der Politik.

Der gebürtige Braunschweiger setzte sich im Auswahlverfahren gegen 118 weitere Bewerber/-innen durch.

Im Hintergrundgespräch mit der Leipziger Zeitung (LZ) erklären die Initiator/-innen, warum es solch eine Koordinierungsstelle braucht, wer daran beteiligt ist und wie die zukünftige Arbeit aussehen wird.

Eine bunte Truppe

Die Grundlage für das Konzept bildete eine Forschungsarbeit von Kordula Kunert. Für die Erarbeitung stand sie in engem Kontakt mit Nachtbürgermeister/-innen und Nachtkulturvertretungen aus anderen Städten. „So konnten wir herausfinden, welche Punkte in anderen Städten nicht so gut liefen und versuchen, es besser zu machen. Und wir konnten Punkte in unser Konzept übernehmen, die woanders sehr gut liefen“, so Kunert.

Nach zwölf Monaten der Konzipierung in einer Arbeitsgruppe wurde der Entwurf im Juli 2020 an Oberbürgermeister Burkhard Jung und Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke übergeben. „Weil wir so interdisziplinär und heterogen aufgestellt sind, war es eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit. Die verschiedenen Expertisen haben sich sehr gut ergänzt“, resümiert die Initiatorin.

Aus der Arbeitsgruppe hat sich nun der jetzige Nachtrat gegründet: aus Vertreter/-innen der Polizeidirektion Leipzig, des LiveKommbinat Leipzig, der Initiative Leipzig + Kultur, des Amtes für Wirtschaftsförderung sowie des Kulturamtes, des vak. Leipziger Kollektive, der Drug Scouts, der Initiative Awareness sowie des Kreatives Leipzig e. V. Außerdem wolle man noch den Dezentrale e. V., die Koordinierungsstelle für Sexarbeit „Leila“ sowie verschiedene Bürger/-inneninitiativen und Nachbarschaftsvereine ins Boot holen.

Das Problem mit dem Geld

Nils Fischer ist der neue Fachbeauftragte für Nachtkultur der Stadt Leipzig. Foto: Katharina Hindelang

Ergänzt wird das derzeit neunköpfige Expert/-innengremium für Nachtleben durch eine/n Fachbeauftragte/n für Nachtkultur. Gemeinsam bilden der Nachtrat und der/die städtische Fachbeauftragte/r eine Doppelspitze – das Herz des Konzeptes. Von hier soll wechselseitig zwischen Akteur/-innen der Nacht, der Polizei, den Bürger/-innen und der Stadt vermittelt werden. So können Programme für ein besseres nächtliches Zusammenleben erarbeitet werden, die alle Perspektiven abdecken; ein komplexes und derzeit deutschlandweit einmaliges Konzept.

Wie so oft klafft jedoch eine Lücke zwischen dem scheinbar makellosen Plan und der Umsetzung. „Da der Nachtrat bisher im Ehrenamt läuft, ist es eine große Herausforderung, dass unsere Arbeit richtig anlaufen kann“, so Alexandra Vogel von der Initiative Awareness. Man habe bereits Fördermittelanträge auf Bundesebene gestellt, die bisher alle gescheitert sind.

Während die Stelle des/der Fachbeauftragten von der Stadt finanziert wird, können für den Nachtrat keine Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt werden. „Aber die Stadt Leipzig hat sich in keiner Weise gegen die Errichtung des Nachtrates gestellt. Auf kommunaler Ebene gibt es aber nun mal keine Fördermittelprogramme und Finanzierungssysteme für solch eine Stelle“, so Kordula Kunert. Man hoffe nun auf einen positiven Fördermittelbescheid aus Berlin.

Gegen Clubsterben, Müll und Unverständnis

In der Politik sei die Wichtigkeit solcher Koordinierungsstellen für Nachtkultur noch nicht angekommen. Durch die Coronakrise und monatelange Lockdowns ist das generelle Clubsterben noch weiter vorangeschritten; und auch Spätis, Bars und verschiedene Veranstaltungsformen hoffen auf Unterstützung. „Deshalb haben wir uns die Stärkung und Erhaltung der Nachtökonomie und -kultur auf die Fahne geschrieben“, so Kunert. Doch es gehe noch um so viel mehr.

„Durch die Botschaft der Nacht können das gesellschaftliche Miteinander, die Kommunikation und das gegenseitige Verständnis, abseits der ordnungsrechtlichen Ebene, gestärkt werden“, führt Chris Graupner von der Polizeidirektion Leipzig aus. Das Konzept beinhaltet unter anderem eine der Polizei vorgeschaltete nächtliche Hotline. So könnte Besucher/innen von illegalisierten Veranstaltungen beispielsweise die Angst genommen werden, Straftaten anzuzeigen.

Aber auch geplante Moderationsgespräche zwischen Veranstaltungsorten, Anwohnerschaft und Polizei können präventiv wirken. Mit Hilfe der Kommunikation zwischen allen Akteur/-innen und der Erarbeitung von Freiflächen-Konzepten soll auch Müllproblemen und Verunreinigungen entgegengewirkt werden.

Der gleiche Traum

Das letzte große Stichwort des Konzeptes: Awareness. „Probleme, die in der Nacht passieren, finden sich oft nicht in den Strukturen des Tages wieder“, so Alexandra Vogel von der Initiative Awareness. So würden nur 5 bis 15 Prozent der Vergewaltigungen angezeigt werden – oft aus Schamgefühl oder weil passende Ansprechpartner/-innen fehlten. Die Dunkelziffer sei wahrscheinlich noch höher.

Bisher klärt die Initiative Veranstalter/-innen auf Schulungen auf, wie man sexualisierter Gewalt und anderen Formen von Diskriminierung vorbeugen kann, aber auch wie Betroffene vor Ort Unterstützung bekommen können. „Die Arbeit der Botschaft der Nacht ist insoweit für uns spannend, als dass die Stadt auch mit am Tisch sitzt“, so Vogel. Denn Veranstaltungen und damit verbundene Diskriminierungen und Gewalt fänden nicht nur im Club, sondern auch auf der Straße und in Parks statt. Gemeinsam mit der Verwaltung wolle man nun versuchen, Konzepte, die bisher für Events erarbeitet wurden, in den öffentlichen Raum zu tragen und insgesamt stärker für diese Themen zu sensibilisieren.

Nachtleben ist ein wichtiger Standortfaktor, der aber auch mit vielen Konfliktpotenzialen einhergeht. Deshalb sei das nächste Treffen schon für den 18. November anberaumt, so Alexandra Vogel. Insgesamt sechs Hauptsitzungen soll es jährlich geben; daneben würden sich häufiger verschiedene Arbeitsgruppen zusammenfinden: „Letztlich wollen wir alle das Gleiche: ein vielfältiges, buntes Leipziger Nachtleben, in dem sich Menschen sicher fühlen.“

„Weltweiter Trend: Nun gibt es auch eine „Botschaft der Nacht“ in Leipzig“ erschien erstmals am 1. Oktober 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. Unsere Nummer 95 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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