Eduard Friedrich Poeppig, der „sächsische Humboldt“, lebte von 1798 bis 1868. Ihm hat das Leipziger Naturkundemuseum (NKM) viele seiner 300.000 Ausstellungsstücke zu verdanken. Der Naturforscher bereiste im 19. Jahrhundert vor allem den südamerikanischen Kontinent, um von dort Pflanzen und Tiere nach Europa zu schicken.

Einige seiner Präparate sammelte der sächsische Zoologe, Botaniker und Arzt 1823 in Kuba. Die ehemalige Kolonie war eine der wirtschaftlich wichtigsten für das spanische Reich. Die Arbeitsbedingungen auf den zahlreichen Kaffeeplantagen waren zumeist grausam. Poeppig musste seine Forschungsreise aus finanziellen Gründen unterbrechen und arbeitete für einige Zeit als Plantagenarzt. Aus dem Lohn, den ihm die ausbeutenden Plantagenbesitzer zahlten, konnte der Forscher im Anschluss weitere Ausstellungsstücke für die deutschen Museen sammeln. Poeppigs Geschichte zeigt, dass selbst die scheinbar moralisch unbedenkliche Sammlung eines Naturkundemuseums problematische Verknüpfungen zur Vergangenheit haben kann. Erst neulich fand eine umfassende Untersuchung der Dinosaurier-Skelette am Berliner Naturkundemuseum statt. Diese wurden mithilfe Kolonialisierter aus dem heutigen Tansania geborgen und nach Deutschland verschifft, während das kolonialisierte Volk einem Vernichtungsfeldzug der Deutschen zum Opfer fiel.

„Auch wir haben in unserer umfassenden Sammlung Präparate, die aus ehemaligen deutschen Kolonialgebieten stammen“, heißt es seitens des Naturkundemuseums Leipzig. Ein Hornvogel aus Kamerun, ein Brillenpinguin aus Namibia, ein Warzenschwein aus Tansania und verschiedene Säugetierpräparate aus Togo seien darunter.

Zwar konnte das Museum keine Angaben dazu machen, ob diese Objekte schon näher untersucht und ein problematischer Zusammenhang gefunden worden sei. Dennoch versuche man exemplarisch aufzuarbeiten, wie Sammlungsgüter den Weg in das Depot fanden. Sowohl die eigene Kolonialgeschichte als auch die Reisen deutscher Forscher/-innen geben dem Museum immer wieder Anlass, kritisch „das Eigene“ und „das Fremde“ zu hinterfragen: „Der Blick auf das Eigene ist nie möglich, ohne das Andere zu kennen und umgekehrt.“

Die sogenannte Provenienzforschung, die Suche nach der Herkunft von Museumsobjekten, ist bei naturwissenschaftlichen Sammlungen unheimlich wichtig. Dabei geht es nicht nur um die Fragen, wie Ausstellungsstücke ans Museum kamen, aus welchem Besitz sie stammten und unter welchen Bedingungen sie geborgen wurden.

„Alle Objekte einer naturwissenschaftlichen Sammlung sind Belegexemplare und haben somit eine wissenschaftliche Relevanz. Um wissenschaftlich nutzbar zu sein, müssen alle Metadaten passend zum Objekt hinterlegt sein. Ohne diese Daten sind die Objekte wertlos“, erklärt die Museumsleitung. Die Dokumentation des Fundes, wann und wo etwas geborgen wurde und unter welchen geologischen, geografischen, meteorologischen Umständen, ist essenziell. Auch um international gültige Gesetze, wie das Washingtoner Artenschutzabkommen, einzuhalten und so gefährdete Tier- und Pflanzenarten nicht noch weiter zu strapazieren.

Zur Provenienzforschung gehört aber auch die Aufarbeitung der eigenen Museumsgeschichte, die Verstrickung in koloniale Machenschaften und NS-Netzwerke. Für ihre Abschlussarbeit hat daher eine freie Mitarbeiterin des Naturkundemuseums die Tagebücher der ehemaligen Museumsdirektor/-innen transkribiert und frei zugänglich digitalisiert. Im Rahmen ihrer Untersuchungen wurden zwar zahlreiche NS-Akteure benannt, die im Kontakt mit dem Museum standen. „Dennoch hat sich dabei kein Zusammenhang zu NS-Raubgut oder anderer NS-verfolgungsbedingter Kontexte ergeben“, so das NKM.

Die eigene Vergangenheit erkunden, das Eigene und das Fremde sehen. All das ist wichtig zum Verständnis der eigenen Identität. Und wie die anderen städtischen Museen ist auch das Naturkundemuseum gerade dabei herauszufinden, wer man war, ist und sein will.

„Provenienzforschung am Naturkundemuseum: Wie Eduard Friedrich Poeppig den südamerikanischen Kontinent nach Europa brachte“ erschien erstmals am 25. Juni 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG.

Unsere Nummer 92 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Antonia Weber über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar