Im Rahmen des Themenjahres 2021 „Leipzig – Stadt der sozialen Bewegungen“ und als Auftakt des Frauenfestivals an diesem Wochenende wollen die Künstlerinnen Elisa Ueberschär und Tanja Krone mit einem Happening an die Frauenbewegung 1989/90 erinnern. Doch „30 Stunden Runder Tisch“ soll noch mehr sein: ein Begegnungsort für verschiedene Personen, für Feminist/-innen genauso wie für Männer und Frauen, für die Feminismus noch ein Fremdwort ist. 30 Stunden lang werden die beiden Initiatorinnen auf dem Marktplatz sein und sich gemeinsam mit Interessierten vom Fluss der Veranstaltung treiben lassen. Zu ihrer Inspiration, dem Arbeitsprozess und was Besucher/-innen erwartet, erzählen die beiden im Interview mit der Leipziger Zeitung (LZ).

Hallo ihr beiden. Könntet ihr euch kurz einmal vorstellen?

Elisa: Ich bin Elisa Ueberschär, Schauspielerin und Künstlerin aus Leipzig und habe letztes Jahr im ersten Lockdown angefangen, mich mit der Frauenbewegung 1989/90 zu beschäftigen. Tanja und ich kennen uns aus einer Theaterproduktion aus dem Jahr 2014 und haben uns über verschiedene Projekte in den letzten Jahren wiedergefunden. Zum Beispiel haben wir uns beide viel mit Ost-Biografien beschäftigt. Und dann haben wir angefangen, ein Konzept zum Thema Frauenbewegung zu schreiben und können das nun diese Woche realisieren. Tanja: Ich bin Tanja Krone, Theatermachende, Regisseurin, Performerin, Musikerin. Ich lebe eigentlich in Berlin, bin gerade in Stuttgart und spiele hier auf dem Marienplatz zusammen mit dem Volkstheater-Ensemble des Theater Rampe den Musikabend „Auf die Plätze!“. Ursprünglich komme ich aus der freien Szene, habe viel in Kollektiven gearbeitet und Projekte im öffentlichen Raum realisiert, die oft partizipativ angelegt waren.

Bereits am heutigen Mittwoch, 23. Juni, findet von 18 bis 20 Uhr eine offene Probe für „30 Stunden Runder Tisch“ statt. Von Freitag, 25. Juni 18 Uhr, bis Sonntagfrüh 0 Uhr findet dann das Happening statt.

Wie lief euer erstes Infotreffen im April?

Tanja: Es lief, wie alles im April so lief: Wir haben eine Zoomveranstaltung gemacht, bei der knapp 20 Leute dabei waren. Das war eine schöne Runde. Wir haben ein paar Texte verlesen, und darüber gesprochen, was dieses Happening sein könnte, wie man da rangehen könnte und wo die Leute stehen, die dazukommen und teilhaben möchten. Was sind die Erwartungen und Vorstellungen? Wir waren danach weiter in Kontakt, über E-Mail-Verteiler und Telegram-Gruppen. Insgesamt sind wir jetzt um die 100 Personen, die auf jeden Fall teilnehmen.

Werden sich diese 100 Personen auch aktiv beteiligen am Happening?

Tanja: Einige haben sich schon für bestimmte Zeitslots gemeldet. Ob die Leute dann fünf Minuten lesen oder zwei Stunden, ist total offen. Und das soll es auch sein. Vielleicht hat auch spontan jemand Lust, etwas zu verlesen oder aktiv zu werden. Wir haben auch ein paar feste Slots mit Zeitzeug/-innen, mit ihnen werden wir live Gespräche führen, um nochmal in die Zeit zurückzureisen, sozusagen.

Was werden die Zeitzeug/-innen denn dann verlesen? Und welche anderen Texte werden eine Rolle spielen?

Elisa: Die Zeitzeug/-innen werden zum Teil eigene Texte verlesen, die sie zur Zeit der Frauenbewegung 89/90 geschrieben haben. Ich habe mit einer Zeitzeugin gesprochen, die zu der Zeit in der Fraueninitiative aktiv war und das Programm damals mitverfasst hat. Ich glaube, es wird sehr interessant, wenn sie diesen Text jetzt noch einmal öffentlich verliest. Darüber kann man dann ins Gespräch kommen.

Wir haben verschiedenste Texte gesammelt – aus dem Archiv der Frauenkultur Leipzig, die aus der Fraueninitiative hervorgegangen ist, aus der feministischen Bibliothek MONAliesA in Connewitz und der Robert-Havemann-Gesellschaft, dem Archiv der DDR-Opposition in Berlin. Alle Texte haben wir nun in einem Katalog nach Rubriken sortiert – Interviews, Gespräche, Protokolle, Programmatiken. Man kann als Zuhörer/-in oder Besucher/-in vor Ort in diesen Katalog schauen, lesen und im besten Falle den Entschluss fassen, selbst vorzulesen.

Wie steht es mit eigenen Texten?

Elisa: Alle können auch ihre eigenen Gedanken und Forderungen mitbringen.

Tanja: Eigene Texte sind immer willkommen! Aber Texte sind nur ein Teil des Happenings, wir werden auch musikalisch arbeiten! Also Stimme ölen, bitte.

Das Happening trägt ja den Titel „30 Stunden Runder Tisch“. Werdet ihr beide durchgehend dort stehen? Und was hat es mit dem Runden Tisch auf sich?

Tanja: Auf jeden Fall, aber nicht nur stehen! Es soll ein Ort sein, an dem einfach jede/r SEIN kann und den wir gerne teilen. Wir haben ein Setting aus vielen Strohballen, die den Marktplatz „gemütlich“ machen sollen. 18 Uhr geht es am Freitag los und um Mitternacht von Samstag zu Sonntag endet das Happening.

Elisa: Der Runde Tisch ist ja ein Symbol für Demokratisierung. Viele Parteien, Initiativen und Organisationen saßen an diesen Tischen, keine/r hatte eine gesonderte Position, jede/r hatte den gleichen Abstand zur Mitte, alle waren gleichberechtigt. Den Gedanken wollen wir aufgreifen.

Am 7. Dezember 1989 trafen sich Abgeordnete der DDR-Regierung und der Oppositionsgruppen zu ihrem ersten „Runden Tisch“ in Berlin. Dabei sollte über eine Machtteilung und die Durchführung von Wahlen verhandelt werden. „Runde Tische“ etablierten sich danach als Verhandlungsräume für verschiedene Themen.

Das Happening soll ja nicht nur Erinnerung an die Frauenbewegung 1989/90 sein, sondern auch als feministischer Begegnungsraum dienen. Was hat sich seit den 90ern geändert? Wofür müssen Frauen auch heute noch kämpfen?

Elisa: Dieser Vergleich war auch der Ausgangspunkt für das Projekt. Neben ökologischen und anderen Themen wurden in den Texten häufig frauenpolitische Fragen gestellt. Wie kann das mit den Kita-Plätzen und Kinderbetreuung besser funktionieren? Da gab es damals das große Interesse, dass Kinderbetreuung so hochfrequentiert bleibt, wie es in der DDR war. Das ist nicht geschehen. Der Paragraf 218 (Schwangerschaftsabbruch) gehört auch zu einem der großen Themen.

Tanja: Auch Teilhabe ist ein wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang. Man macht ja als Frau doch immer wieder die Erfahrung, dass man gar nicht so teilhaben kann, wie gedacht. Es gibt noch immer ein Ungleichgewicht. Vor 500 Jahren vielleicht krasser als jetzt. In den letzten Jahren hat sich viel verändert. Es ist uns trotzdem wichtig, nochmal zu schauen, was sich seit 30 Jahren WIRKLICH verändert hat, welche Chancen vielleicht auch gar nicht genutzt wurden. Ich möchte das dabei nicht bewerten, sondern einfach nur auswerten. Die Frage beantworten: Hätten wir weiter sein können?

Von der Vergangenheit mal ein Blick in die Zukunft. Mit eurem Happening seid ihr ja auch Teil der feministischen Bewegung der Gegenwart. Worum kämpft ihr? Was ist eure Vision einer Gesellschaft in 30 oder 500 Jahren?

Tanja: Ich hoffe, dass wir immer weitermachen und nicht aufgeben, nicht lockerlassen. Dass wir auch schneller und entschlossener werden. Und dass wir uns verbinden. Ein ganz großes Ding bei diesem Happening ist die Vernetzung. Die findet zwar schon statt, aber Netzwerke müssen auch untereinander verbunden werden. Die Kraft, der Druck muss größer werden. Außerdem hoffe ich, dass bei unserem Happening Leute vorbeikommen, die nicht tief drinstecken in den feministischen Bewegungen und Gedanken mitnehmen, die sie vorher noch nicht hatten. Es wäre fatal zu glauben, dass schon alles da ist, alles erkämpft wurde.

Elisa: Impulse setzen. Es liegen noch so viele Texte in den Archiven. Vielleicht können wir Leute dazu inspirieren, sich nochmal damit auseinanderzusetzen.

Tanja: Die Wertschätzung der Frauenbewegung 1989/90 ist uns wichtig. Und wir hoffen, dass „30 Stunden Runder Tisch“ wie eine Handlungsanweisung wirken kann; dass es weltweit an verschiedenen Orten nachgeahmt wird.

Möchtet ihr den Leser/-innen noch irgendetwas sagen?

Tanja: Wir brauchen euch! Wir sind 30 Stunden auf dem Marktplatz. Da wird sich bestimmt bei jedem und jeder ein bisschen Zeit finden lassen… Und bringt Kaffee mit!

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