Ludwig Geyer ging als Stiefvater des Komponisten Richard Wagner in die Musikgeschichte ein. Er zeigte dem späteren Ausnahmemusiker die Welt des Schauspiels und der Harmonien. Weniger bekannt hingegen ist die Malerkarriere Geyers. 1816 brachte er das einflussreiche Leipziger Ehepaar Reichenbach auf Leinwand. Deren Nachfahren siedelten 1977 in die BRD über und mussten die zwei Gemälde des Ehepaares in der DDR zurücklassen – im Stadtgeschichtlichen Museum zu Leipzig. Eine Leihgabe, wie es in den Museumsunterlagen heißt.
Dieses Jahr, fast ein Vierteljahrhundert später, ergriff die Museumsleitung erneut die Initiative und suchte die Reichenbach-Erben auf. Schon in den 1990er Jahren sollten die Verhältnisse der Leihverträge aufgearbeitet werden, wozu es jedoch nie kam. Nun wurden die Portraits zurückgegeben und im April vom Museum regulär zurückerworben. „2018 entschlossen wir uns, der Provenienzforschung mehr Platz im Museumsalltag einzuräumen“, so die Museumsleitung. Ein Jahr später wurde dann ein zweijähriges Provenienzforschungsprojekt am Stadtgeschichtlichen Museum (SGM) eingeleitet, größtenteils finanziert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste. Dabei werden über 300 Objekte – Gemälde, Zeichnungen und Plastiken – auf ihre Herkunft untersucht und ob sie unrechtmäßig, als NS-Raubgut, im Museumsdepot gelandet sind.
„Wir sind bei unseren derzeitigen Recherchen auf eine Erwerbung mit sieben Objekten gestoßen, die als sehr bedenklich eingestuft wurde. 139 Provenienzen sind unbedenklich, weitere 43 sind als offen eingestuft worden. Weitere 165 Kunstwerke werden nun noch untersucht“, heißt es seitens des Museums.
Ein anderer wichtiger Aspekt bei der Provenienzforschung: die Digitalisierung der Bestände. Somit können alle Mitarbeiter/-innen des Museums, aber auch externe Forscher/-innen und sogar eventuelle Erben auf Informationen rund um die Sammlungen zugreifen. Solche Netzwerke können die Recherchen beschleunigen und mögliche Rückgaben überhaupt erst anstoßen.
Und bei dieser digitalen Erfassung erweist sich das Stadtgeschichtliche Museum als wahrer Vorreiter: Rund 70 Prozent der 600.000 Objekte sind bereits erfasst. Die restlichen 30 Prozent entfallen hauptsächlich auf schriftliche Nachlässe.
Doch ein genauerer Blick auf die digitalisierten Daten der Objekte zeigt: Die Herkünfte der Werke konnten zum großen Teil noch nicht erfasst werden. Das liegt zum einen daran, dass Provenienzrecherchen sehr umfangreich und zeitaufwendig sind – und oftmals der Weg eines Objektes aufgrund von Wissenslücken nicht komplett rekonstruiert werden kann. Zum anderen sind aber auch, wie bei den meisten Museen, die langen Pausen zwischen den Projekten verantwortlich für die schleppende Erschließung.
2001 hatte die Stadt Leipzig sich anlässlich der „Washingtoner Erklärung“ von 1998 und der „Gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ verpflichtet, die unterschiedlichen Museumssammlungen und Bibliotheken nach ebendiesem Sammlungsgut zu untersuchen.
Zu den über 3.000 Objekten im Bereich Kunst und Kunsthandwerk, die beim Stadtgeschichtlichen Museum in die Zeit von 1933 bis 1945 fallen, hieß es: „Aus dem Projekt von 2001 ergab sich für das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig kein unmittelbarer Handlungsbedarf, da auf Anhieb in dieser Stichprobe keine gravierenden Fälle gefunden wurden.“
Zwar beschäftigten sich die Kurator/-innen bei der umfassenden Charakterisierung ihrer Objekte auch mit deren Herkunft, aber gezielte Provenienzrecherchen wurden bis zum derzeitigen Projekt nicht ergriffen.
Wie auch die anderen städtischen Museen wünscht sich das Stadtgeschichtliche Museum eine institutionelle Verankerung für solche Recherchen: „Die Förderung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste ist eigentlich immer nur als ein Einstieg oder Anschub gedacht. Die Provenienzforschung muss in jedem Fall verstetigt werden. Eine dauerhafte Stelle, ob allein beim SGM oder für die städtischen Museen insgesamt, ist dringend und wünschenswert. Das Museum wird sich um die Einrichtung einer solchen Stelle bei der Stadt Leipzig auf jeden Fall weiter intensiv bemühen.“
Im April konnten sich das Museum und die verantwortliche Provenienzforscherin Lina Frubrich aber über eine positive Nachricht freuen: „Die Laufzeit des Projekts wurde um ein Jahr verlängert, bis Ende Mai 2022.“
Enttäuscht war man hingegen, als das Museumstelefon am 14. April, Tag der Provenienzforschung, kein einziges Mal klingelte. Eigentlich sollten an diesem Tag alle Interessierten ihre Fragen stellen und Anmerkungen machen können zur Provenienzforschung am SGM. Und dabei erfüllt Provenienzforschung zwei wichtige Aufgaben: Einerseits lernt das Museum seine eigenen Bestände besser kennen und kann diese dadurch umfassender vermitteln, andererseits spielt die Rückgabe von NS-Raubgut beispielsweise eine große Rolle bei der Wiedergutmachung.
„Man muss aber natürlich darauf hinweisen, dass es bei uns keinen Picasso oder Klimt zu finden gibt, der aufgrund seines Auktionswerts Aufsehen erregen würde“, so die Museumsleitung. „Dennoch werden wir an diesem Thema dranbleiben, auch durch neue Vermittlungsformate.“
„Kein Picasso oder Klimt“ erschien erstmals am 30. April 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG.
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