Brauerei, Kultur, Zwangsarbeit, Konservenproduktion, Genossenschaft – das Feinkostgelände an der Karl-Liebknecht-Straße hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Wer sich dazu informieren wollte, wurde bislang bei der Feinkost selbst nicht fündig. Das hat sich nun geändert: Sieben Infotafeln informieren ab sofort über die Geschichte im frühen 20. Jahrhundert, während Nationalsozialismus und DDR sowie nach 1990.
Die Feinkost Leipzig hat am Donnerstag, den 8. November, sieben große Infotafeln zur bewegten Geschichte der vergangenen 100 Jahre veröffentlicht. Darauf sind für Interessierte die wichtigsten Details bestimmter Zeiträume zusammengefasst. Die Infotafeln befinden sich an den Außenwänden der Gebäude und sind daher für Besucher leicht einsehbar. Die Präsentation fand in Anwesenheit zahlreicher Genossenschaftsmitglieder und eines für Industriekultur zuständigen Vertreters der Kulturstiftung Sachsen statt.
Liest man den Text auf jener Tafel, die den Zeitraum von 1921 bis 1933 umfasst, fühlt man sich fast in die Gegenwart versetzt. Darauf ist von Wohnungsnot, steigenden Mieten und einem vielfältigen Kulturangebot auf dem ehemaligen Brauereigelände zu lesen. Es folgte ein „dunkles Kapitel“ im Nationalsozialismus, in dem die Feinkost zur Unterbringung von Zwangsarbeitern genutzt wurde. In der DDR wurden anschließend mehrere Jahrzehnte lang Konserven hergestellt.
Die Grundlage für die heutige Nutzung wurde zu Beginn des neuen Jahrtausends gelegt, als den Gebäuden der Abriss drohte. 2004 entstand daraufhin eine Genossenschaft, die unter anderem Verwaltung und Parteien von ihrem Konzept überzeugen konnte. Seit elf Jahren ist diese Genossenschaft, die derzeit aus 20 Mitgliedern besteht, Eigentümerin der Feinkost.
Heute finden sich zahlreiche Geschäfte auf dem Areal, das zu bestimmten Jahreszeiten regelmäßig auch von Gästen genutzt wird, etwa für Theater und Kino. Am 8. Dezember soll es einen veganen Weihnachtsmarkt geben. In den Gebäuden gibt es Büros, die unter anderem von Architekten, Journalisten und Grafikern genutzt werden.
Im kommenden Jahr soll sich zu den nun vorhandenen analogen Informationen dann auch ein umfassendes Angebot auf der Homepage der Feinkost gesellen. Dort existieren derzeit keine nennenswerten Informationen zur Geschichte des Geländes. Im Gegensatz zu den Tafeln, die nur begrenzt Platz bieten, sollen dort noch mehr Details zu lesen sein.
Aber auch direkt vor Ort wird es keinen Stillstand geben: So sollen die unterirdischen Gewölbe saniert werden, um diese künftig als Veranstaltungsräume nutzen zu können.
Es gibt 3 Kommentare
Das Feinkostgelände hat eine bewegte Geschichte hinter sich und eine bewegende Zukunft ist ihm zu wünschen. Die architektonischen Weichenstellungen für eine denkmalgerechte Sanierung hat der Architekt Rüdiger Will gelegt. Seinem, über viele Jahre Aufrecht erhaltenen, selbstlosen Engagement, seiner Hartnäckigkeit und seinem architektonischen Geschick ist es zu verdanken, dass die Notwendigkeit der Umsetzung dieses Anliegens in seiner Dringlichkeit und Notwendigkeit im öffentlichen Raum wahrgenommen werden konnte. In einer unendlichen Vielzahl von Einzelinitiativen und in beinahe unermüdlichen Einsatz hat Rüdiger Will immer wieder aufs Neue mit konkreten Konzepten und Plänen die Bedeutung dieser Sanierung ins Spiel gebracht. Sein beispielloser und jahrelanger Einsatz bildete die Basis für aktuelle Entwicklungen. Auch ich begrüße eine solche Chronik, und gehe aus Gründen der Fairness, der Gerechtigkeit und der geschichtskorrekten Erinnerung davon aus, dass sein Name und seine Lebensdaten darin zu lesen sind.
Brigitta Keintzel
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Als Lehrling in der Metallverarbeitung hatte ich im Jahr der Gurkenschwemme an einem Samstag beim VEB Feinkost “sozialistische Hilfe” zu leisten. Jahrzehnte später hat mein Freund, der Architekt Rüdiger Will, sich für eine denkmalgerechte Sanierung eingesetzt und Pionierarbeit geleitstet, sich jedoch an den unterschiedlichen Interessengruppen aufgerieben. In diesem Sommer war sein 10. Todestag. Ich begrüße eine solche Chronik, von der ich eben erfahre, und hoffe, dass sein Namen darin zu lesen ist.