Einen Tag vor der geplanten Urteilsverkündung gegen Lina E. und drei Männer am Oberlandesgericht Dresden steigt die Anspannung im Hinblick auf die Frage, wie die linke Szene reagieren wird, beim „Tag X“ am kommenden Samstag, aber auch schon in den Tagen zuvor. Und: Im Cum-Ex-Steuerskandal wurde eine zentrale Figur am Dienstag zu mehr als acht Jahren Gefängnis verurteilt. Die LZ fasst zusammen, was am Dienstag, dem 30. Mai 2023, in Leipzig, Sachsen und darüber hinaus wichtig war.
Lina E. et al.: Urteil morgen in Dresden erwartet
Es ist einer der aufsehenerregendsten Prozesse der vergangenen Jahre. Die 28 Jahre alte Studentin Lina E. aus Leipzig und drei junge Männer, die vor dem Oberlandesgericht (OLG) Dresden angeklagt sind, sollen morgen Vormittag um zehn Uhr nach fast 100 Verhandlungstagen ihr Urteil des Staatsschutzsenats hören.
Lina E. wird von der Bundesanwaltschaft für die Führungsperson einer linksextremen Gruppe gehalten, die zwischen 2018 und 2020 mehrere brutale Überfälle auf Rechtsextremisten verübt bzw. geplant haben soll, in Leipzig und Umgebung sowie Thüringen. Die Vorwürfe lauten auf Bildung einer kriminellen Vereinigung, gefährliche Körperverletzung und Landfriedensbruch.
Längst ist die junge Frau seit ihrer Verhaftung Ende 2020 und dem Prozessbeginn im September 2021 zu einer Symbolfigur der linken Szene avanciert, und entsprechend schaut man bundesweit auf den Ausgang des spektakulären Verfahrens. Seit geraumer Zeit kursieren Aufrufe zu einer Großdemo für den „Tag X“, den ersten Samstag nach Urteilsverkündung. Dieser dürfte nun auf den 3. Juni fallen.
Der „Tag X“rückt näher
Demnach rechnen die Behörden für kommenden Samstag mit einer Großdemolage in Leipzig, wie es sie lange nicht mehr gegeben habe. Aus ihrer Sicht ein Grund zur Sorge: „Neben Aufrufen zu Versammlungen, die bei einem friedlichen Verlauf kaum behördlicher Regelungen und nur wenig polizeilichen Schutz bedürfen, waren und sind aber auch immer wieder Aufrufe zu Militanz und zum Teil massiven Gewaltankündigungen zu verzeichnen“, heißt es in einem Schreiben, das die Polizeidirektion (PD) Leipzig heute veröffentlichte.
In der Tat hatte es vorab Gewaltandrohungen und Aufrufe zur Sachbeschädigung gegeben, aber auch ausdrückliche Aufforderungen zum friedlichen Protest. Dem Protest gegen ein Urteil, das jedenfalls aus Sicht von Kritikern die Härte des Staats gegen Antifaschisten bei gleichzeitiger Nachgiebigkeit gegenüber Neonazis beweist.
Versammlungsrecht am Wochenende eingeschränkt
Parallel zu einer möglichen Großdemo im Fall Lina E. sind in Leipzig am Wochenende noch das Stadtfest, die Fußballpartie zwischen Lok Leipzig und dem Chemnitzer FC sowie ein Grönemeyer-Konzert geplant. Laut PD Leipzig werden für Samstag polizeiliche Unterstützungskräfte aus anderen Bundesländern angefordert, um die Situation überhaupt zu beherrschen, wobei nicht alle Veranstaltungen abgesichert werden könnten. Für das Sachsenpokal-Finale werde zudem eine Spielverlegung in Betracht gezogen.
Die Gemengelage ist und bleibt also brisant – auch im Hinblick auf die Frage, ob und wo es bereits am morgigen Tag des Urteils zu (spontanen) Versammlungen kommt. Im Netz kursierte vorab eine Allgemeinverfügung der Stadt, wonach Versammlungen mit Bezug zum Prozess gegen Lina E. et al. am Wochenende im Stadtgebiet untersagt seien, sofern man sie nicht bis 31. Mai, 24 Uhr angezeigt habe. Dies wurde nun offiziell bestätigt.
Die Bundesanwaltschaft hatte für Lina E. acht Jahre Gefängnis gefordert, die Verteidigung Freispruch. Die drei mutmaßlichen Mittäter sollen nach dem Willen der Anklage für bis zu drei Jahre und neun Monate in Haft. Lina E. hatte sich im Prozess nur zur eigenen Biografie und ihren Lebensverhältnissen äußern wollen, nicht zu den Tatvorwürfen selbst.
2022 hatte der Szene-Aussteiger und Kronzeuge Johannes D. die Gruppe um Lina E. vor Gericht belastet.
Cum-Ex-Geschäfte: Gericht verhängt erneut lange Haftstrafe gegen Steueranwalt Berger
Ein anderer hat sein Urteil schon heute bekommen: Hanno Berger soll für acht Jahre und drei Monate hinter Schloss und Riegel. Das Landgericht Wiesbaden sprach den 72-Jährigen der Steuerhinterziehung in drei Fällen schuldig und ordnete zudem die Einziehung von 1,1 Millionen Euro Taterträgen aus seinem Vermögen an.
Demnach soll Berger von 2006 bis 2008 sogenannte Cum-Ex-Deals eingefädelt und dafür eine vermögende Kundschaft angeworben haben – Banken, Investoren und Fonds. Dafür habe der ehemalige Beamte der hessischen Steuerverwaltung und spätere Steueranwalt Millionenprovisionen kassiert. Berger gilt nicht als Erfinder des Betrugsmodells, aber als einflussreiche Schlüsselfigur. Er war Jahre nach seiner Absetzung in die Schweiz dort festgenommen und 2022 nach Deutschland ausgeliefert worden.
Es war bereits sein zweiter Prozess, das Landgericht Bonn hatte den 72-Jährigen schon Ende letzten Jahres zu acht Jahren Haft verurteilt, was noch nicht rechtskräftig ist. Im aktuellen Prozess hatte die Staatsanwaltschaft auf zehneinhalb Jahre plädiert, die Verteidigung auf Freispruch. Berger kann gegen das neue Urteil in Revision gehen.
Video auf YouTube von explainity® Erklärvideo: Wie Cum-Ex funktioniert(e)
Das jahrelang praktizierte Cum-Ex-Modell basierte im Kern darauf, Aktienpakete hin- und herzuschieben und sich Kapitalertragssteuern widerrechtlich mehrfach vom Staat erstatten zu lassen (siehe das Video). Dieses Betrugssystem, das den Fiskus geschätzt einen zweistelligen Milliardenbetrag gekostet hatte und vor knapp zwei Jahren vom Bundesgerichtshof als strafbar eingestuft worden war, gilt als größter Steuerskandal deutscher Nachkriegsgeschichte.
Gestritten wird auch über die Rolle, die der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (64, SPD) im Zusammenhang mit der Warburg Bank Hamburg spielte, die ebenfalls in die Tricksereien verstrickt war.
Worüber die LZ heute berichtet hat:
Zu viele Überraschungen im Untergrund: Der Coffe Baum wird erst 2024 wieder eröffnet
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Die Mitte bin ich: Die skurrilen und deftigen Geschichten des Hauke von Grimm
Was sonst noch wichtig war:
An Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (48, CDU) hagelt es nach seinem jüngsten Vorstoß, wegen des hohen Zuzugs von Geflüchteten das Asylrecht ändern zu wollen, heftige Kritik.
Unterdessen kündigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (52, SPD) bei einem Besuch an der deutsch-polnischen Grenze eine verstärkte Kooperation an, um illegale Zuwanderung zu bekämpfen. An ihrer Ablehnung stationärer Grenzkontrollen, wie unter anderem von Sachsens Innenminister Armin Schuster (62, CDU) gefordert, hält sie weiter fest.
Bei einem Hochhausbrand infolge eines russischen Einschusses in Kiew sollen ein Mensch getötet und weitere verletzt worden sein, zudem wird ein Drohnenangriff in Moskau am frühen Morgen gemeldet. Die 2022 von Russland überfallene Ukraine bestreitet ihre Involvierung in den Moskauer Drohnenangriff.
Was morgen wichtig wird:Â
Natürlich das Urteil gegen Lina E. und die Mitangeklagten inklusive aller möglichen Folgen (siehe oben). Und: Einem Bericht der LVZ zufolge haben Klimaschutzaktivistinnen und -aktivisten der „Letzten Generation“ einen Marsch in Leipzig für den Nachmittag geplant.
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