Nach der Geiselnahme am Samstag in Dresden deuten die Zeichen darauf hin, dass der mutmaßliche Täter Verschwörungsmythen anhing. Außerdem gab es deutlichen Protest gegen den Rechtspopulisten und Islamkritiker Michael Stürzenberger und die Polizei meldet nach einem marokkanischen Jubel-Aufzug verletzte Beamte. Die LZ fasst zusammen, was am Wochenende, dem 10. und 11. Dezember 2022, in Leipzig, Sachsen und darüber hinaus wichtig war.
Staatsanwaltschaft ermittelt nach Geiselnahme in Dresden
Das Wochenende begann mit einer bedrohlichen Nachricht: Am Samstagvormittag kamen Meldungen aus Dresden, wonach ein bewaffneter Mann in der Innenstadt Geiseln genommen haben soll. Das öffentliche Leben in der Landeshauptstadt wurde daraufhin zeitweise lahmgelegt.
Die Polizei ordnete an, dass die Händler/-innen auf dem Striezelmarkt ihre Buden schließen, die Altmarktgalerie wurde evakuiert, der Bus- und Bahnverkehr kam fast vollständig zum Erliegen. Außerdem wurden angemeldete Demonstrationen abgesagt und der Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) brach seinen Wochenendurlaub ab, um sich ein Bild der Situation zu machen.
Inzwischen ist der mutmaßliche Geiselnehmer tot – beim Zugriff des Spezialeinsatzkommandos (SEK) in einer Drogeriefiliale in der Altmarktgalerie wurde der Mann so schwer verletzt, dass er kurz darauf starb. Laut Polizei kam es bei dem Zugriff zum Schusswaffeneinsatz des SEK, „in dessen Folge der 40-Jährige tödlich verletzt wurde.“ Die Staatsanwaltschaft hat nun die Ermittlungen übernommen.
Geisel im Ammonhof konnte fliehen
Nach Polizeiangaben verlief die Tat wie folgt: Am Samstagmorgen fanden die Einsatzkräfte nach einem Anruf von Anwohner/-innen eine 62-jährige Frau tot in ihrer Wohnung in Dresden-Prohlis auf. Bei der Verstorbenen soll es sich um die Mutter des 40-jährigen Täters handeln. Die Polizei geht davon aus, dass er seine Mutter getötet hat.
Anschließend fuhr er nach Dresden und versuchte, in die Redaktion von „Radio Dresden“ im Ammonhof, ein Bürokomplex, einzudringen – wohl, um die anwesenden Redakteur/-innen zu zwingen, von ihm geplante Äußerungen im Radioprogramm zu senden, so berichtet es der MDR.
Der Mann scheiterte beim Versuch, die Sicherheitsscheibe der Eingangstür zu den Redaktionsräumen zu zerstören. Als die Mitarbeiter/-innen von „Radio Dresden“ den Angriff bemerkten, flohen sie durch einen Hinterausgang. Sie blieben alle äußerlich unverletzt.
Vor Ort bedrohte der Mann Passant/-innen mit seiner Waffe und nahm einen Mann als Geisel, der glücklicherweise fliehen konnte, als der Täter abgelenkt war, schreibt der MDR. Währenddessen hatte der Täter ein neunjähriges Kind ebenfalls als Geisel bei sich. Bei dem Jungen handelt es sich nach Polizeiangaben um das Kind einer Bekannten.
Kurz darauf begab sich der Täter mit dem Kind in eine Drogeriefiliale in der Altmarktgalerie, wo er die Filialleiterin als Geisel nahm und sich mit ihr und dem Jungen in einem Büro einsperrte. Von dort auf rief er bei der Polizei an, die Beamt/-innen konnten daraufhin den Kontakt zum Täter halten. Das herbeigerufene SEK befreite die beiden Geiseln gegen Mittag. Sie blieben äußerlich unverletzt.
Äußerungen des Täters legen verschwörungsmythisches Weltbild nahe
Die Tat lässt die Sicherheitsbehörden und die Öffentlichkeit mit vielen Fragen zurück, die aufgrund der Tatsache, dass der Mann nun tot ist, vielleicht nie vollständig beantwortet werden können. Einerseits ist da die Frage, wie der Mann in den Besitz der scharfen Waffe kam und ob er die Pistole legal besaß. Andererseits stellt sich die Frage nach dem Tatmotiv.
Die Polizei schreibt, dass der Täter bisherigen Ermittlungen zufolge „psychisch erkrankt“ war. Laut MDR haben Zeug/-innen ausgesagt, dass der Täter verhindern wollte, „dass Satanisten die Weltherrschaft übernehmen.“ Diese Aussagen deuten auf ein Weltbild des Täters hin, das von Verschwörungsmythen gezeichnet wurde.
Der Soziologieprofessor Matthias Quent von der Hochschule Magdeburg-Stendal verweist auf die Parallelen zwischen den Äußerungen des Täters und rechten Ideologien. „Solche Narrative sind auch bekannt von Antisemiten, Rechtsextremen, Putin(isten), Verschwörungsideologen usw“, schrieb Quent heute auf Twitter.
Quent ist Gründungsdirektor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena und forscht unter anderem zu Rechtsterrorismus und Polarisierung.
Rechtspopulistische „Bürgerbewegung Pax Europa“ provoziert lauten Gegenprotest in Leipzig
Am Samstag stattete der frühere CSU-Politiker und verurteilte Volksverhetzer Michael Stürzenberger Leipzig erneut einen Besuch ab, nachdem er zuletzt im Oktober hier „gepredigt“ hatte. Er trat mit der rechtspopulistischen „Bürgerbewegung Pax Europa“ rund um den Willy-Brandt-Platz vor dem Hauptbahnhof unter starker Polizeipräsenz auf.
Die „Bürgerbewegung Pax Europa“ wird vom Verfassungsschutz Bayern als „islamfeindliche Bestrebung“ eingestuft und beobachtet. Stürzenberger und seine „Bürgerbewegung“ geben zwar an, Menschen muslimischen Glaubens nicht pauschal abzulehnen, sondern sich lediglich „gegen den Politischen Islam“ zu richten.
Die Gegenprotestierenden werfen ihm aber genau das Gegenteil vor: eine pauschale Ablehnung aller Menschen muslimischen Glaubens und somit das Schüren eines rassistischen, islamfeindlichen Klimas.
Meinungsfreiheit am Limit. Redner meint zu geflohenem Syrer, seit 6 Monaten in Deutschland, er solle Deutsch lernen und in Syrien gäbe es keinen Krieg. #le1012 pic.twitter.com/3fPvLD5iet
— Marco Brás dos Santos (@marcoIsantos) December 10, 2022
Das linke Leipziger Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ hatte zum Protest gegen Stürzenberger und Co. aufgerufen und konnte rund hundert Personen versammeln. Sie versuchten beispielsweise, mit lauten Rufen die von der „Bürgerbewegung Pax Europa“ abgespielte deutsche Nationalhymne zu übertönen. Die Polizei bemühte sich indes, die beiden Lager voneinander abzuschirmen.
Leipzigs Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek hielt eine Rede während der Gegendemonstration. „Er beruft sich auf die Meinungsfreiheit und hat genau das eben nicht verstanden“, so kommentierte Kasek am Samstag die Position Stürzenbergers.
„Zum demokratischen Rahmen gehört auch die Religionsfreiheit.“ Wenn jemand andere pauschal beschimpfe, weil sie beispielsweise Moslems seien, gehe es ihm nicht um Demokratie, sondern um die Verbreitung von Hass.
Vor Ort war auch der YouTube-Streamer „Weichreite“. Später gab Stadtrat Jürgen Kasek bekannt, dass er W. wegen Körperverletzung angezeigt hat.
Am Rande des Demonstrationsgeschehens schwenkte mindestens ein Mann eine Palästina-Flagge.
Polizei meldet verletzte Beamte nach Spontanaufzug der marokkanischen Community
Außerdem versammelten sich am Samstag spontan mehrere hundert Menschen der marokkanischen Community zum Feiern in der Innenstadt, nachdem Marokkos Mannschaft bei der Herren-Fußball-Weltmeisterschaft in Katar Portugal 1:0 besiegt hatte. Somit zieht Marokko als erstes afrikanisches Team in ein WM-Halbfinale ein.
Die freudentaumelnden Fußballfans liefen von der Eisenbahnstraße Richtung Innenstadt, schwenkten dabei Flaggen und zündeten Pyrotechnik. Dadurch erlitten laut Polizei sechs Beamte ein Knalltrauma, konnten aber weiterhin im Dienst bleiben. Die Polizei hat nach eigenen Angaben Ermittlungen eingeleitet, unter anderem aufgrund gefährlicher Körperverletzungen und versuchter Sachbeschädigungen.
Leipziger Evolutionsforscher Svante Pääbo nimmt Nobelpreis in Schweden entgegen
Worüber die LZ am Wochenende berichtet hat:
über den spontanen Aufzug marokkanischer Fans nach dem Fußball-Sieg Marokkos gegen Portugal am Samstag
über die historische Grotte in Böhlen-Großdeuben
und in drei Teilen hat Thomas Köhler mit André Hofmann über die Leipziger Biocity gesprochen
Was am Wochenende außerdem wichtig war: Svante Pääbo, der diesjährige Nobelpreisträger im Bereich Medizin, hat am Samstag in Stockholm seinen Preis entgegengenommen. Pääbo ist Direktor des Leipziger Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie und forscht zur menschlichen Evolution.
Was morgen wichtig wird: In der kommenden Woche wollen Klimaaktivist/-innen die Universität Leipzig besetzen. Sie gehören nach eigenen Angaben zu der Protestbewegung „End Fossil: Occupy!“, unter deren Namen in den vergangenen Wochen bereits mehrere Universitäten und Gymnasien besetzt wurden, beispielsweise in Regensburg und Göttingen.
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