Nach Hausdurchsuchungen bei Aktivist/-innen der „Letzten Generation“ stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Und in Grünau haben Unbekannte das Büro des Leipziger CDU-Chefs Andreas Nowak beschädigt. Außerdem wollen die „Freien Sachsen“ ab sofort nicht nur in Chemnitz, sondern auch in Dresden gegen die Unterbringung von Geflüchteten protestieren. Die LZ fasst zusammen, was am Donnerstag, dem 24. November 2022, in Leipzig, Sachsen und darüber hinaus wichtig war.
Bundesweit erste Hausdurchsuchungen bei der „Letzten Generation“ in Leipzig
In Leipzig durchsuchte die Polizei heute Wohnungen von Aktivist/-innen der „Letzten Generation“. Die Razzia steht im Zusammenhang mit einer Aktion der Gruppe im August in der Dresdner Gemäldegalerie. Damals hatten sich zwei Personen am Rahmen der Sixtinischen Madonna festgeklebt, eine dritte Person hatte die Aktion gefilmt und ins Netz gestellt.
Das Landeskriminalamt (LKA) ermittelt gegen die drei Personen wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung. Aktuell wird der entstandene Schaden durch die Protestaktion in der Galerie „Alte Meister“ auf 4.000 Euro beziffert.
Offenbar ist das Polizeiliche Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum (PTAZ) des LKA an den Ermittlungen beteiligt: Bei der Razzia war mindestens ein Beamter zugegen, auf dessen Uniform das Emblem des PTAZ prangte. Insgesamt waren 60 Beamt/-innen an dem Einsatz beteiligt.
Bei der Razzia nahm die Polizei nach eigener Aussage „Beweismittel in Form von Datenträgern und Kommunikationsmitteln“ mit. In Leipzig trugen die Beamt/-innen mehrere Kunststoffboxen mit sichergestelltem Material aus den Wohnungen. Auch in Greifswald und in Berlin wurden im Rahmen des Einsatzes Wohnungen der Beschuldigten durchsucht.
In keiner der Wohnungen jedoch konnte die Polizei die Beschuldigten selbst antreffen. Einer der Beschuldigten, ein 29-jähriger Mann, sitzt wegen anderer Protestaktionen der „Letzten Generation“ in München derzeit in einer Gewahrsamszelle der bayrischen Polizei.
Die heutigen Durchsuchungsmaßnahmen sind die ersten bundesweit, die bei Klimaaktivist/-innen der „Letzten Generation“ nach deren Protestaktionen stattfanden. Die „Letzte Generation“ erklärte heute, sich von Hausdurchsuchungen nicht aufhalten zu lassen.
Einschüchterungsversuch oder angemessene Maßnahme?
Nach Bekanntwerden der Razzia wurden in den Sozialen Medien heute mehrere Stimmen laut, die die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes infrage stellten. Selbstgestecktes Ziel der Polizei war es, bei den Durchsuchungen „Beweismittel im Tatzusammenhang“ zu finden. Es stellt sich die Frage, welche Sachverhalte des Vorfalls in der Gemäldegalerie die Polizei noch belegen möchte.
Denn die Aktivist/-innen der „Letzten Generation“ haben ihre Aktion selbst im Internet ausführlich dokumentiert, auf der Website der „Letzten Generation“ sind die vollständigen Klarnamen der beiden Personen nachzulesen, die sich an die Sixtinische Madonna geklebt hatten. Die Polizei führte die Aktivist/-innen am 23. August ab und nahm ihre Personalien auf. Und die Aktivist/-innen suchen selbst regelmäßig mit Klarnamen die Öffentlichkeit, die 22-jährige Aktivistin beispielsweise wurde bereits mehrfach in der Presse porträtiert.
Neben anderen Aspekten unterscheidet sich die „Letzte Generation“ durch diese Kommunikationsstrategie grundlegend von anderen klimaaktivistischen Gruppen in Deutschland. Gruppen wie „Ende Gelände“ oder „Greenpeace“ sind sehr darauf bedacht, die polizeilichen Repressionen für ihre Aktivist/-innen so gering wie möglich zu halten.
Die „Letzte Generation“ fährt die gegenteilige Strategie: Sie personalisiert ihren Protest bewusst, indem sie die Aktivist/-innen mit Name, Foto und Lebensgeschichte auf ihrer Website porträtieren lässt. So wird der Protest gegen die aktuelle Klimapolitik der Bundesregierung auf eine emotionale Ebene gehoben, die in der Geschichte von Klimabewegungen in Deutschland beispiellos ist. Auch darin liegt der Schlüssel des Erfolgs der „Letzten Generation“, was Medienpräsenz und öffentliche Polarisierung angeht.
LKA legitimiert Einsatz mit Strafprozessordnung und Gerichtsbeschluss
„Ich verstehe jeden, der da Einschüchterung vermutet“, kommentierte ein reichweitenstarker Twitter-Account die Razzia heute mit einem leicht sarkastischen Unterton. „Mir fehlt die Fantasie, was man da finden will. Ein Spezial-Labor, in dem noch besserer Kleber hergestellt wird? Beschlagnahmt man da nun auch Filzstifte und Wachsmalstifte?“
Das LKA bezeichnet sein Vorgehen derweil als verhältnismäßig. Ein Sprecher verwies heute auf die Strafprozessordnung und die entsprechende richterliche Durchsuchungsanordnung. Dass Durchsuchungsbeschlüsse nicht immer legal sind, beweist wiederum das Beispiel des sogenannten „Pimmelgate“ aus dem September vergangenen Jahres.
Damals hatte das Amtsgericht Hamburg die Durchsuchung der Wohnung eines Mannes angeordnet, der den Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD) auf Twitter mit den Worten „Du bist so 1 Pimmel“ beleidigt haben soll. Das Landgericht Hamburg urteilte später, dass die Durchsuchung aufgrund ihrer Unverhältnismäßigkeit rechtswidrig war.
Unbekannte werfen Steine auf CDU-Parteibüro in Grünau
In der Nacht von Dienstag zu Mittwoch haben Unbekannte das Wahlkreisbüro des Leipziger CDU-Chefs und Landtagsabgeordneten Andreas Nowak in Grünau beschädigt. Sie warfen mit Steinen auf das Büro, wodurch alle sechs Glasscheiben zu Bruch gingen. Im Büro befand sich zum Zeitpunkt des Angriffs niemand.
„Das ist bereits die zweite Attacke auf mein Wahlkreisbüro in dieser Legislaturperiode“, kommentierte Nowak den Vorfall in den Sozialen Medien. „Die Intensität der Attacke und die absolute Zerstörungswut der radikalen Straftäter ist aber neu.“ Er habe Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Die Höhe des entstandenen Sachschadens steht derzeit noch nicht fest. Die Polizei hat nach eigener Angabe Ermittlungen wegen Sachbeschädigung aufgenommen.
„Freie Sachsen“ demonstrieren gegen geplante Unterbringung von Geflüchteten in Dresden
Der Freistaat Sachsen sucht angesichts der gestiegenen Zahlen von Geflüchteten derzeit händeringend um Unterbringungsmöglichkeiten, doch die Bürger/-innen machen es ihm nicht leicht. Sie demonstrieren lautstark gegen geplante Unterkünfte, so etwa in Chemnitz-Einsiedel, oder versuchen gar mal wieder, sie anzuzünden. Auch in Dresden formiert sich gerade Protest gegen eine geplante Asylunterkunft.
Am Mittwochabend demonstrierten mehr als hundert Menschen gegen ein geplantes Containerdorf für Geflüchtete in Dresden-Sporbitz. In 13 mobilen Wohncontainern will der Freistaat dort 52 geflüchtete Menschen unterbringen. Ab dem kommenden Jahr sollen sie dort einziehen. Die „Freien Sachsen“, die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft werden, hatten die Demonstration angemeldet.
Auf einem Video, das die „Freien Sachsen“ online teilten, ist zu sehen, wie zahlreiche Personen mit Deutschland- und „Freie Sachsen“-Flaggen und Trillerpfeifen durch Sporbitz laufen. „Zeigt dieser Regierung, dass die rote Linie überschritten ist“, ruft ein Sprecher durchs Mikrofon.
Die „Freien Sachsen“ sprechen online von „mehreren hundert“ Teilnehmer/-innen, in der Vergangenheit haben sie es jedoch bei der Angabe ihrer Teilnehmer/-innenzahlen gern mal übertrieben. Die Polizei konnte auf LZ-Nachfrage keine Angabe zur Teilnehmer/-innenzahl machen.
Die ehemalige Bautzner Stadträtin und Dresdner Anwohnerin Annalena Schmidt, die die Demonstration beobachtete, spricht von 170 Menschen, die am Mittwochabend in Sporbitz demonstrierten. Darunter waren nach Schmidts Angaben der „Bürgerinitiative Sachsen“-Gründer Dirk Jährling, René Despang (NPD), Siegfried Däbritz (Pegida) und Sebastian P. Alber („Offline Vernetzung“).
Fortan wollen die „Freien Sachsen“ nach eigener Aussage jeden Mittwoch vor der Baustelle des geplanten Containerdorfes in Dresden demonstrieren.
Mann fährt Polizisten am Rande der Demo an
Am Rande der Demonstration fuhr ein 59-jähriger Mann mit seinem Auto einen Polizisten an. Der Beamte erlitt dabei laut der Polizei Dresden leichte Verletzungen. Vor dem Hintergrund der Demonstration hatte die Polizei mehrere Straßen in Dresden-Sporbitz abgesperrt. Der beschuldigte Autofahrer wollte eine der Absperrungen nicht akzeptieren und näherte sich mit seinem Pkw, immer langsamer werdend, einem Polizisten und fuhr diesen schließlich an.
Gegen den Mann wird nun unter anderem wegen Nötigung und gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Auf LZ-Nachfrage bekräftigte ein Polizeisprecher den Eindruck, dass der Fahrzeugführer den Beamten mit voller Absicht angefahren hatte. Ob der Mann auf dem Weg zur „Freien Sachsen“-Demo war, darüber konnte die Polizei keine eindeutige Aussage machen. Da die Versammlung zum Zeitpunkt des Vorfalls schon lief, vermute man aber, dass es sich nicht um einen Teilnehmer der Demonstration handelte.
Sachsen erweitert Therapieangebote für ukrainische Geflüchtete
Ein Grund für die gestiegenen Zahlen von Geflüchteten in Sachsen ist der russische Angriffskrieg in der Ukraine und die daraus resultierenden Fluchtbewegungen gen Westen. Der Freistaat will den hier ankommenden Menschen aus der Ukraine nun mit einem speziell auf Familien ausgerichteten Therapieangebot helfen. Dafür hat das Sozialministerium nun neue Räume in Dresden angemietet.
So soll der erhöhte Beratungsbedarf gedeckt werden, der im Zuge des Ukraine-Kriegs vom Dresdner Träger Das Boot gGmbH ans Ministerium gemeldet wurde.
Seit 2016 fördert der Freistaat mit der Einrichtung des Psychosozialen Zentrums Sachsen (PSZ) die psychosoziale Beratung für Menschen mit Flucht- bzw. Migrationserfahrung. An drei Stellen in Sachsen – Dresden, Leipzig und Chemnitz – werden soziale Träger gefördert, die den Geflüchteten helfen sollen, mit den psychologischen Folgen von Flucht besser umzugehen. Bei dem Leipziger Träger des Projekts handelt es sich um den Mosaik Leipzig e. V. in der Arthur-Hoffmann-Straße.
Deutlich mehr Geld für Sachsens Metaller/-innen
Worüber die LZ heute berichtet hat: über den für 2023 geplanten Deutschen Historikertag in Leipzig
über das erfolgreiche Pilotprojekt Reparaturbonus des sächsischen Umweltministeriums
über die Benennungsdebatte um den Leipziger Frachtflughafen
Was heute außerdem wichtig war: Die seit Wochen laufenden Tarifverhandlungen zwischen der IG Metall und dem sächsische Arbeitgeberverband VSME haben ein Ende gefunden. Sie unterzeichneten heute in Dresden den ausgehandelten Tarifvertrag für die rund 180.000 Beschäftigten der sächsischen Metall- und Elektroindustrie.
Demnach sollen die Arbeiter/-innen in der Metallindustrie insgesamt 8,5 Prozent mehr Lohn bekommen. Zudem wurden ihnen zwei steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen von je 1.500 Euro zugesagt. Die IG Metall bezeichnete den Abschluss heute als „spürbare Entlastung“ für die Arbeiter/-innen.
Keine Kommentare bisher