Nach dem rechtsextremen Fackelaufzug vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping am Freitagabend erhielt die SPD-Politikerin im Laufe des Wochenendes zahlreiche Solidaritätsbekundungen. In Berlin wurden mehrere Journalisten während einer illegalen Corona-Demo körperlich angegriffen, die Polizei verhinderte Schlimmeres. Die Polizeikräfte in Sachsen scheinen mittlerweile auch die Anweisung zu haben, die Corona-Regeln durchzusetzen, wie sich unter anderem in Borna, Pirna und Freiberg zeigte. Die LZ fasst zusammen, was am Wochenende, dem 4. und 5. Dezember, in Leipzig, Sachsen und darüber hinaus wichtig war.
Solidaritätsbekundungen nach Fackelaufzug vor Köppings Haus
Im Januar hatten etwa 30 Personen das Privathaus des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) im ostsächsischen Großschönau aufgesucht, um gegen dessen Corona-Politik zu „protestieren“. Der Vorfall sorgte bundesweit für Aufsehen, Kretschmer erfuhr von vielen Seiten Solidaritätsbekundungen.
Am Freitag (3. Dezember) traf es nun Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD). Eine ähnlich große Gruppe an Menschen versammelte sich vor ihrem Haus in Grimma. Sie waren mit Fackeln, Plakaten und Rasseln ausgestattet und riefen unter anderem „Friede, Freiheit, keine Diktatur“ im Sprechchor.
Laut Spiegel rief Köpping gegen 19:15 Uhr die Polizei, die später die Identitäten von 25 Menschen feststellen konnte. Es handelt sich dabei um Personen aus dem Dunstkreis der rechtsextremen „Freien Sachsen“.
„Sachliche Kritik an den Corona-Maßnahmen ist völlig legitim. Ich bin immer gesprächsbereit“, schrieb Köpping am Samstag auf Social Media. „Fackel-Aufmärsche vor meinem Haus aber sind widerwärtig und unanständig.“
Köpping: „Ich werde mich nicht einschüchtern lassen.“
Weiterhin schrieb die Staatsministerin: „Ich weiß, dass das keine Proteste sind, sondern organisierte Einschüchterungsversuche von Rechtsextremisten und Verschwörungsgläubigen.“ Solche Drohszenarien kämen derzeit leider viel zu oft vor, so zählte Köpping auf: vor Arztpraxen, an Impfzentren und Krankenhäusern, gegenüber Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und vielen anderen engagierten Menschen. „Und nicht selten enden sie gewalttätig.“
„Ich werde mich von den permanenten Pöbeleien und Attacken auch weiterhin nicht einschüchtern lassen“, unterstrich Köpping.
Nach dem Vorfall, der am Wochenende bundesweit für Schlagzeilen sorgte, erhielt Köpping Solidaritätsbekundungen aus verschiedensten Ecken. Unter anderem sprachen die sächsische SPD, der SPD-Bundesvorstand, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der designierte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) Köpping ihre Unterstützung aus.
Erneut versammelt sich eine Menschenmenge vor dem Privathaus eines Regierungsmitglieds, diesmal vor Petra #Köpping|s Haus.
Erneut ist das ein absoluter Tabubruch.
Polizei und Innenministerium müssen endlich alles daran setzen, diesen Entgrenzungen konsequent zu begegnen.— Katja Meier (@Ka_Meier) December 3, 2021
Sachsens Ministerpräsident Kretschmer (CDU) betonte am Tag nach dem Einschüchterungsversuch, dass solche Vorfälle „alle Sachsen angehe“. „Wir treten allen Kräften entgegen, die einschüchtern wollen. Petra Köpping hat meine volle Unterstützung und Solidarität.“
Leipzigs OB appelliert an Innenminister Wöller
Auch Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) meldete sich am Samstag erschüttert zu Wort. „Es ist unfassbar, was sich diese Rechtsradikalen erlauben“, schrieb Jung auf Facebook. „Offenbar fehlen denen nicht nur jeglicher Anstand und moralischer Kompass, hier werden bewusst Grenzen überschritten, um unser Land und die Demokratie infrage zu stellen.“
In seinem Beitrag forderte Jung mehr Staatsschutz für Politiker/-innen. „Ich erwarte vom Sächsischen Innenministerium Klarheit und Durchsetzungskraft.“ Es müsste eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, so Jung, dass geltende Regelungen durchgesetzt würden, egal ob bei nicht zulässigen Versammlungen oder bei „unsäglichen Einschüchterungen vor dem Privathaus einer Ministerin“.
Der SPD-Politiker spielte damit auf die „Corona-Spaziergänge“ in zahlreichen sächsischen Städten in den vergangenen Wochen an. Unter anderem in Bautzen, Freiberg und Plauen hatten sich zuletzt jeweils hunderte Menschen zu illegalen Protesten versammelt. In Sachsen dürfen derzeit nur maximal zehn Personen an einer Versammlung teilnehmen, außerdem müssen die Versammlungen ortsfest sein.
Bei den meist über Telegram organisierten „Spaziergängen“ wurden diese Regelungen konsequent und wiederholt gebrochen. Auch die Maskenpflicht und Abstandsregeln missachteten die freiheitsliebenden Sächsinnen und Sachsen. Die Polizei ließ die meisten Versammlungen dennoch laufen. Innenminister Roland Wöller (CDU) äußerte vergangene Woche Verständnis für die Proteste.
Eierwurf auf Leipziger Privatwohnung von Landtagsabgeordneter
Dass Einschüchterungsversuche gegenüber Politiker/-innen in Sachsen keine Ausnahmefälle sind, bestätigt ein Blick auf die Polizeimeldungen der vergangenen Tage. Am Freitag warfen Unbekannte ein Ei an die Fensterscheibe der Leipziger Privatwohnung einer Landtagsabgeordneten. Der Vorfall ereignete sich gegen 16:30 Uhr nachmittags.
Angriffe auf Journalist/-innen bei Querdenken-Demo in Berlin
Erheblich bedrohlicher ist seit Beginn der Corona-Pandemie auch die Lage von Journalist/-innen geworden, besonders solche, die von Querdenken-Demos berichten wollen. Am Samstag wurden mehrere Reporter/-innen von Teilnehmer/-innen einer verbotenen Querdenken-Demonstration verbal und körperlich angegriffen.
Unter anderem wurde Journalist Julius Geiler, der für den Tagesspiegel von der Demo berichtete, das Handy entrissen. Kurz darauf griff die Polizei ein und setzte den Mann, der das Smartphone gewaltsam entwendet hatte, fest.
Was es inzwischen bedeutet, als Journalist*in von einer verbotenen #Querdenken-Demo in #Berlin zu berichten:#b0412 pic.twitter.com/8DQnCfYfnj
— vue.critique (@vuecritique) December 5, 2021
Auf Videoaufnahmen aus Berlin ist zu sehen, wie ein Mann mehreren Journalisten mit der Faust ins Gesicht schlägt und versucht, sie umzustoßen. Trotz der vorab von der Polizei verbotenen Demo kamen mehrere hundert Personen aus dem esoterischen, rechtsextremen, verschwörungsideologischen und religiösen Milieu in der Hauptstadt zusammen. Die Polizei stoppte größere Aufzüge nach mehreren Berichten schnell und konsequent.
Polizei Sachsen fängt an, Corona-Regeln konsequent durchzusetzen…
Auch die sächsische Polizei scheint sich nach der lauten Kritik der vergangenen Wochen um mehr Konsequenz bei der Durchsetzung von coronabedingten Versammlungsauflagen zu bemühen. Zumindest legt das die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei nahe. Heute stoppten Einsatzkräfte laut dem Twitter-Account der Polizei Sachsen einen unzulässigen Aufzug in Plauen.
Laut Polizei wurden dabei die Personalien der mehr als 30 Teilnehmer/-innen festgestellt. Gegen sie laufen nun Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen des Verstoßes gegen die Corona-Notfallverordnung. Den Personen droht jeweils ein Bußgeld von 250 Euro.
Einen weiteren, größeren „Spaziergang“ in Plauen ließ die Polizei hingegen – offenbar überrascht davon – gewähren. Dazu teilte die Polizeidirektion Zwickau mit, dass „am späten Sonntagnachmittag (…) sich mehrere hundert Personen nahe des Neustadtplatzes in Plauen sammelten und (…) sich kurz danach in Bewegung setzten. Der Aufzug wuchs in der Spitze auf rund 830 Teilnehmer an und führte bis zum Wendedenkmal, bevor er sich auflöste.“
Am Samstag löste die Polizei nach eigenen Meldungen illegale Versammlungen in Freiberg, Pirna und Borna auf. In Freiberg sprachen die Beamt/-innen Platzverweise aus und stellten 15 Ordnungswidrigkeiten wegen Verstößen gegen die Corona-Notfallverordnung fest. In Pirna erhielten 16 Personen eine polizeiliche Anzeige, nachdem sie sich geweigert hatten, eine verbotene Ansammlung auf dem Markt zu verlassen.
Aus Borna im Landkreis Leipzig berichtet die Polizei ähnliches, dort endete der Samstag für zwölf Personen mit Anzeigen wegen des Verstoßes gegen die Corona-Notfallverordnung.
… allerdings nicht überall
Doch an anderer Stelle lief das Leben in Sachsen so, als gäbe es keine Pandemie und als gäbe es keine Infektionsschutzmaßnahmen. In Markneukirchen (Vogtland) kamen Bürger/-innen am Samstag auf einem wohl offiziell als „Baumarkt“ gemeldeten Event zusammen, das wohl als Ersatz-Weihnachtsmarkt dienen sollte.
Auf Bildern aus dem verschneiten Markneukirchen ist zu sehen, wie Eltern mit Kindern und Glühweinbecher in der Hand über den Markt laufen und mehrere Personen unter Vordächern zusammenstehen, um Pommes und Co. zu verspeisen. Von einem Einsatz von Polizei oder Ordnungsamt vor Ort ist nichts bekannt. Weihnachtsmärkte sind in Sachsen dieses Jahr untersagt.
Parteitage von SPD und FDP stimmen Koalitionsvertrag zu
Abseits von Corona-Nachrichten passierte am Wochenende auch noch Wichtiges. Delegierte von SPD und FDP haben auf außerordentlichen Parteitagen jeweils am Samstag und Sonntag dem Ampel-Koalitionsvertrag zugestimmt. In beiden Fällen gab die große Mehrheit der Delegierten dem Regierungsplan grünes Licht.
Somit steht nur noch die Legitimierung des Koalitionsvertrags durch die Grünen aus. Für Montag (6. Dezember) wird das Ergebnis der Mitgliederbefragung der Grünen erwartet. Seit dem 25. November haben die rund 125.000 Mitglieder der Grünen Zeit, im Rahmen einer Urabstimmung den Koalitionsvertrag anzunehmen oder abzulehnen.
Angekündigte rechtsextreme Proteste: Polizei riegelt Landtag ab
Worüber die LZ am Wochenende berichtet hat: über die Forderung des sächsischen Innenministers nach Zivilcourage, über die „Freien Sachsen“ und Wöllers Mitschuld an dem Fackelaufzug vor dem Privathaus der Gesundheitsministerin und über neue Erkenntnisse über die Auswirkungen der Klimakrise aus dem „Lancet Countdown Report“
Was am Wochenende außerdem wichtig war: Heute ist Tag des Ehrenamts. Aus diesem Anlass machten mehrere Initiativen und Einzelpersonen in den sozialen Netzwerken darauf aufmerksam, dass viele gesellschaftliche Bereiche ohne ehrenamtliche Stellen nicht funktionieren könnten, so zum Beispiel im Kinder- und Jugendsport und der Lokalpolitik.
Was morgen wichtig wird: Morgen wird der sächsische Landtag über die Feststellung der epidemischen Lage im Freistaat abstimmen, um die Infektionsschutzmaßnahmen auch über den 12. Dezember hinaus juristisch aufrechterhalten zu können. Am 12. Dezember läuft die Corona-Notfallverordnung aus.
Wie die Sächsische Zeitung berichtet, soll der Landtag in Dresden morgen von drei Polizei-Hundertschaften, unter anderem aus Rheinland-Pfalz und Berlin, abgesichert werden. Rechtsextreme Corona-Verharmloser/-innen und Verschwörungstheoretiker/-innen haben angekündigt, vor dem Landtag protestieren zu wollen.
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