Massive Polizeipräsenz und ein weitgehendes Versammlungsverbot haben in Leipzig am Wochenende tagsüber für gespannte Ruhe gesorgt, nachdem für Samstag eigentlich drei linke Demos angemeldet waren. Zu Auseinandersetzungen und Brandstiftungen kam es dann aber in der Nacht zum Sonntag. Leipzigs OBM und aktueller Städtetags-Präsident Burkhard Jung sprach sich mit Blick auf den Winter für eine Ausweitung der 2G-Regeln aus. An der deutschen Grenze zu Polen reißt der Zustrom Geflüchteter nicht ab – und nun scheinen Rechtsradikale durch eigene Patrouillen mitmischen zu wollen. Die LZ fasst zusammen, was am Wochenende, dem 23. und 24. Oktober 2021, in Leipzig, Sachsen und darüber hinaus wichtig war.
Kundgebungen in Leipzig blieben untersagt
Mit Anspannung blickte manch einer auf Samstag, den 23. Oktober in Leipzig. Fünf Wochen nach der „Wir sind alle LinX“-Demonstration im September, die nicht friedlich blieb, waren für Samstag gleich drei linke Demozüge angemeldet, die von verschiedenen Orten in der Stadt aus Richtung Connewitz aufbrechen wollten.
Basierend auf Gefahrenprognosen der Polizei und des Landesamts für Verfassungsschutz ging die Stadt Leipzig aufs Ganze und untersagte die Demonstrationen komplett, zum ersten Mal seit 2011 – damals ging es um einen Aufmarsch von Neonazis. Das Verbot hielt einer Klage der Anmelder vor dem Leipziger Verwaltungsgericht stand, auf eine Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht Bautzen wurde verzichtet.
Die Folge: Absperrgitter, Wasserwerfer, Räumpanzer, Polizeifahrzeuge – kurzum, eine gefühlte Präsenz von Ordnungshütern an jeder Ecke und anlasslose Personenkontrollen, die in einem großen Teil des Leipziger Stadtgebiets erlaubt waren. Der wohl „sicherste Spielplatz Deutschlands“, twitterte der Account „Streetphoto“ sarkastisch zu einem Bild.
In #Leipzig befindet sich gerade wohl der sicherste Spielplatz Deutschlands. Polizei beobachtet die Kinder beim klettern & Tischtennis spielen. #le2310 pic.twitter.com/ZZgCCeS9UL
— Streetphoto (@streetphotoSE) October 23, 2021
In der Nacht knallte und brannte es dann doch
So blieb es offiziell bei einer Kundgebung der Initiative „Rassismus tötet“ von etwa 150–200 Personen, die vor einem Geschäft in der Karl-Liebknecht-Straße des gewaltsamen Todes von Achmed B. gedachten. Ein Neonazi hatte den Gemüsehändler vor genau 25 Jahren dort erstochen.
Auf der Gorkistraße, die knapp außerhalb der Kontrollzone liegt, kam es am Samstagvormittag offenbar zu einer kurzen Spontandemo mit Pyrotechnik. Dabei sollen ein Immobilienbüro und eine Bankfiliale mit Steinen und Farbe beschädigt worden sein.
Mit Einbruch der Dunkelheit verlagerte sich das Geschehen vor allem in den Süden. Neben einer Durchsuchung des Fockebergs, die offenbar ohne Ergebnis blieb, versuchte die Polizei entlang der Bornaischen Straße in mindestens ein Haus einzudringen, es fanden Identitätsfeststellungen statt. In Connewitz brannte zudem eine kleinere Barrikade, aus der Eisenbahnstraße im Osten wurden Böllerschläge gemeldet.
Cops wollen Barrikaden löschen und werden angegriffen.#le2310 #leipzig pic.twitter.com/Rdyt7SNP0g
— vue.critique (@vuecritique) October 23, 2021
In der Zeitspanne von kurz nach 22 Uhr bis etwa 3 Uhr morgens hielten die Gesetzeshüter dann jedoch mehrere Straftaten auf Trab, darunter eine Brandstiftung an fünf Fahrzeugen auf dem Gelände eines Autohauses im Zentrum-Südost. Vier Tatverdächtige wurden durch Polizeikräfte gestellt.
Zuvor hatte Leipzigs Polizeipräsident René Demmler (49) am späten Samstagabend ein positives Gesamtfazit des Großeinsatzes gezogen: Das Demoverbot habe eine Demobilisierungswirkung gegenüber der Anreise „gewaltgeneigter Personen“ entfaltet.
Einen Rückblick auf die LZ-Liveticker gibt es hier: Teil 1 und Teil 2.
Ende der epidemischen Notlage in vier Wochen?
Vielen mag es gar nicht (mehr) bewusst sein – doch seitdem COVID-19 im Frühjahr 2020 auch Europa und Deutschland erreichte, befindet sich die Bundesrepublik in einem permanenten Zustand der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite.“ Eine solche muss durch den Bundestag für drei Monate festgestellt werden und bedarf einer regelmäßigen Verlängerung, was seit März 2020 immer wieder geschehen ist. Der Status ist Voraussetzung für Bund und Länder, um mit verschiedenen Maßnahmen auf die Pandemie zu reagieren.
Noch-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (41, CDU) drängt nun aber darauf, die am 25. November auslaufende Notlage nicht erneut zu verlängern. Dies sei keine Rückkehr in den Normalmodus, wohl aber wolle man der fortgeschrittenen Impfkampagne Rechnung tragen, so der Politiker. Sollte die epidemische Lage tatsächlich in vier Wochen auslaufen, wäre es zum Beispiel denkbar, dass die Bundesländer in Eigenregie die Corona-Regeln festlegen – rechtlich wäre das zulässig.
Jung äußert sich kritisch
Nachdem sich die Bundesländer schon kritisch positionierten, hat nun auch Städtetags-Präsident Burkhard Jung (63, SPD) den Vorstoß abgelehnt. Jung, seit 2006 OBM von Leipzig, sprach sich für die Beibehaltung des Ausnahmezustands oder zumindest eine Übergangsfrist aus.
Zugleich plädierte er mit Blick auf die Wintersaison für eine Einführung der 2G-Regel in sensiblen Bereichen wie Kliniken, Pflegeheimen, Kitas oder Schulen, auch für Fitnessstudios, Clubs, Bars, Kinos und Theater solle dies gelten. Man könne auf den letzten Kilometern der Pandemie keinen Flickenteppich gebrauchen, machte er seinen Standpunkt für einheitliche Regelungen klar.
Zahl der Flüchtlinge über Belarus-Route steigt
Seit Wochen steigt die Zahl der Aufgriffe illegal eingereister Menschen an der deutsch-polnischen Grenze. Viele von ihnen kommen aus Ländern wie dem Irak, dem Iran, Afghanistan oder Pakistan, oft ist Deutschland ihr erklärtes Ziel, Polen nur Durchgangsstation.
Mutmaßlich werden die Menschen über Belarus Richtung Polen geschleust. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko (67), der das Land seit 1994 diktatorisch regiert, hatte im Mai 2021 angekündigt, die Weiterreise Geflüchteter und Migranten Richtung Westen nicht mehr zu stoppen – offenbar eine Rache für die EU-Sanktionen gegen das Regime.
Grenzpatrouillen von Rechtsradikalen
Schon im Frühjahr 2020 hatte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan (67) Europa mit einer ähnlichen Strategie unter Druck gesetzt, als er die Grenze nach Griechenland für offen erklärte. Daraufhin kam es zu einem großen Andrang Geflüchteter am Grenzzaun – doch griechische Sicherheitskräfte unterbanden die meisten Übertritte, die Pandemie beendete das Geschehen dann endgültig.
Gegen 21:30 hat @PolizeiBB 30 Neonazis des III. Wegs in Groß Gastrose bei #Guben aufgebracht, die sich zu einem „Grenzgang“ an der Neiße verabredet hatten. Es wurden Platzverweise für den Umkreis von Guben erteilt. Keine Festnahmen @rbb24 pic.twitter.com/9qlhmCBdFA
— Olaf Sundermeyer (@O_Sundermeyer) October 23, 2021
Während die EU über weitere Sanktionen gegen Belarus berät und Forderungen nach mehr Grenzkontrollen laut werden, ging die Polizei im Raum Guben (Brandenburg) vergangene Nacht gegen mehrere Gruppen vor, die einem Aufruf der rechtsextremen Splitterpartei „Der III. Weg“ gefolgt waren, Grenzübertritte zu verhindern. Die Beamten stellten Schlagstöcke, Pfefferspray und weitere Waffen sicher, sprachen Platzverweise aus. Festnahmen gab es offenbar keine.
Viel Stadtrat, Leipzigs koloniale Vergangenheit, ein ökologisches Manifest
Worüber die LZ am Wochenende berichtet hat: Über wichtige Verhandlungen im Stadtrat zum städtischen Vorkaufsrecht und der Fußverkehrsstrategie, eine verlorene Kirche in Thüringen, einen aktuellen und gut lesbaren Band, der sich mit der nur zu gern verdrängten Kolonialvergangenheit befasst, die auch das vermeintlich weltoffene Leipzig nicht unberührt ließ.
Und nochmal Stadtrat: Ein Lehrstündchen zu den Haushaltsausgabenresten der Stadt, warum illegale Graffitis eben illegal sind und die nicht unwesentliche Zukunftsfrage der Strukturförderung für Leipzig. Zudem beleuchten wir, wie es mit Tagebauen südlich von Leipzig weitergehen soll und stellen ein ökologisches Manifest vor, das mit der westlichen Lebensweise gnadenlos abrechnet und doch mehr Hoffnung bereithält, als man meinen mag.
Und warum „Leipzig raus aus Sachsen“ eine unrealistische Option ist und man auch der Leipziger Stadtverwaltung Humor zugestehen darf, erfahren Sie hier.
Machtwechsel in NRW-CDU und wirtschaftliches Stimmungsbarometer
Was am Wochenende sonst noch wichtig war: Hendrik Wüst (46, CDU), bisheriger NRW-Verkehrsminister, löst den wohl gescheiterten Kanzlerkandidaten und Parteifreund Armin Laschet (60) als Landesvorsitzenden ab. Er soll auch neuer Regierungschef im bevölkerungsreichsten Bundesland werden.
Was morgen wichtig wird: Der neue ifo-Geschäftsklimaindex (ifo-Index) wird veröffentlicht. Der auf Umfragen basierende Wert gilt als wichtiger Früh-Indikator für die ökonomische Entwicklung in Deutschland, was angesichts des Einbruchs nach dem Corona-Schock und noch immer unterbrochener Lieferketten durchaus mit Spannung erwartet wird.
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