Kollektiv-Gerechtigkeit oder Freiheit des Einzelnen? Diese Grundsatzfrage, die hinter der Diskussion zu Lockerungen für COVID-19-Geimpfte sowie Genesene steht, könnte nun viel schneller beantwortet sein als gedacht. Indessen ist Sachsens Politik zurückgerudert und will die Impfzentren nun doch länger in Betrieb lassen. Und: Innenminister Roland Wöller stellte die ersten Ergebnisse zu extremistischen Vorfällen in den Sicherheitsbehörden des Landes vor. Die LZ fasst zusammen, was am Dienstag, dem 4. Mai 2021, in Leipzig, Sachsen und darüber hinaus wichtig war.
Geimpfte und Genesene: Lockerungen in Aussicht
Rund 430.000 Menschen in Sachsen haben nach offiziellen Angaben bisher eine Zweitimpfung gegen COVID-19 erhalten, in ganz Deutschland sind es rund 6,8 Millionen. Die nach holprigem Start inzwischen fortschreitende Impfkampagne gegen das Virus SARS-CoV-2 wirft neue Fragen auf: Sollen die vollständig Geimpften schneller in gewohnte Freiheiten zurückkehren dürfen? Und was ist mit den von einer Erkrankung Genesenen, deren Zahl in Sachsen abseits der Dunkelziffer auf 239.500 beziffert wird?
Die Bundesregierung gab am Dienstag grünes Licht, dass benannte Gruppen rasch wieder in den Genuss einer Lockerung kommen. Für Betroffene würde dann die Testpflicht beim Einkauf oder Friseurbesuch entfallen, sie dürften sich wieder ohne Einschränkungen mit anderen treffen und wären von Ausgangssperren befreit.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (55, SPD) erklärte, einem stark verminderten Infektionsrisiko bei komplett Geimpften und Genesenen müsse bei den Corona-Maßnahmen Rechnung getragen werden. Sofern Bundestag und Bundesrat ihre Zustimmung erteilen, könnte die entsprechende Verordnung schon kommendes Wochenende in Kraft treten.
"Wenn das Risiko einer Virusübertragung bei vollständig Geimpften und Genesenen stark vermindert ist, muss das bei den Maßnahmen berücksichtigt werden. Dies haben wir jetzt umgesetzt." Bundesjustizministerin Christine Lambrecht zur heute vom Kabinett beschlossenen Verordnung. pic.twitter.com/BfwbSatq3m
— Bundesministerium der Justiz (@bmj_bund) May 4, 2021
Die Reaktionen in der Berliner Politik fielen tendenziell zustimmend aus. Für den grünen Co-Bundesvorsitzenden Robert Habeck (51) gehen die Maßnahmen trotz Unklarheiten „in die richtige Richtung“, während Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (58, SPD) vor einer übereilten Öffnung von Gaststätten und Hotels warnt – davon wiederum hatte Alexander Dobrindt (50), Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, die Zustimmung seiner Partei zu dem Entwurf abhängig gemacht. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (65, Linke) übte Kritik an der Undurchsichtigkeit der Pläne.
Auch Sachsen plant Lockerungen und lässt Impfzentren länger offen
Auch der Freistaat Sachsen will schon ab kommendem Montag (10. Mai) Einschränkungen zurückfahren. Dies betrifft unter anderem erweiterte Kontaktmöglichkeiten, Öffnungen in der Gastronomie, von Museen, Ausstellungen, Galerien, Gedenkstätten, Gartencentern sowie Fitnessstudios. Grundvoraussetzung für diese vorsichtigen Schritte mit Auflagen ist jedoch eine COVID-19-Inzidenz unter 100 in einem Landkreis oder einer Kreisfreien Stadt. Bisher ist dies in Sachsen nirgendwo der Fall.
Das mag sich aber ändern: Während der Erzgebirgskreis und der Landkreis Mittelsachsen weiterhin Corona-Hotspots mit einer 7-Tage-Inzidenz von über 330 bilden, könnten die Städte Leipzig (111) und Dresden (116) die Hunderter-Marke demnächst unterschreiten. Der derzeitige Sachsen-Trend deutet auf einen langsamen Rückgang der Infektionszahlen. Ob es dabei bleibt?
Indessen ist eine weitgehende Schließung der 13 Impfzentren im Freistaat bis Ende Juni vom Tisch. Nach deutlicher Kritik aus der Dresdener Regierungskoalition, von Lokalpolitikern und dem Deutschen Roten Kreuz hat das von Petra Köpping (62, SPD) geführte Sozialministerium eingelenkt und will den Betrieb aller Einrichtungen zumindest einen Monat länger weiterführen.
Eigentlich war vorgesehen, die Aufgabe der Immunisierung bis Ende Juni auf mobile Impfteams und Hausärzte zu übertragen, sodass die Impfzentren (bis auf Leipzig, Dresden und Chemnitz) ihre Pforten schließen würden. Wie es ab August weitergeht, soll demnach noch einmal beraten werden.
Verfassungsfeinde im Staatsdienst
Beamtinnen und Beamte unterliegen einer besonderen Loyalitätspflicht zum demokratisch verfassten Staat – soweit die Theorie. Praktisch aber hat gerade Sachsen über die Jahre wiederholt für Schlagzeilen gesorgt, weil etwa Polizistinnen und Polizisten beste Kontakte ins Neonazi-Milieu, Sympathien für Pegida oder rechtsextreme Äußerungen im Chat angelastet wurden.
Beim sächsischen Personal im Sicherheitsbereich und weiterer Behörden wurden in den Jahren 2017, 2018, 2019 und 2020 genau 39 Sachverhalte mit extremistischem Bezug geprüft, 40 Personen sollen involviert gewesen sein – fast ausschließlich im Bereich der Polizei. Das ist die Quintessenz eines Lageberichts der Koordinierungsstelle für interne Extremismusprävention und Extremismusbekämpfung, den der sächsische Innenminister Roland Wöller (50, CDU) am Dienstag in Dresden vorstellte.
Die Stelle war erst zum 1. September 2020 eingerichtet worden und soll dem eigenen Anspruch nach als eine Art Frühwarnsystem für verfassungsfeindliche Bestrebungen unter Sachsens Landesbeschäftigten dienen.
Laut dem öffentlich zugänglichen Lagebild beziehen sich die gemeldeten Vorfälle neben einem islamistischen Verdacht (2x) und „Sonstigem“ (2x) faktisch nur auf rechtsradikales Gedankengut. Während die Mehrheit der eingeleiteten Verfahren noch offen ist, gab es dem Report nach auch einige Konsequenzen etwa in Form einer Entlassung, einer Nicht-Verlängerung befristeter Arbeitsverträge oder von Disziplinarmaßnahmen.
„Jeder Sachverhalt ist einer zu viel. Damit müssen wir uns aktiv auseinandersetzen“, so Wöller. Jedoch: „Auf der anderen Seite zeigt der Bericht, dass die überwältigende Mehrheit von über 99 Prozent unserer Bediensteten pflichtbewusste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind.“
Die vorhersehbare Reaktion eines glücklosen Ministers, der auch nach einer Reihe von Skandalen immer noch im Amt ist. Erinnert sei beispielhaft an das illegale Schießtraining von LKA-Beamten, das vor einigen Wochen aufflog, die Gewalt und das Kommunikationsdesaster der Leipziger Polizei nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht 2019/20 oder „Fahrradgate“, das längst nicht aufgearbeitete Unterschlagungssystem sichergestellter Zweiräder, ebenfalls in Leipzig. Stets waren danach zwar einige Köpfe gerollt, verschwanden Polizeipräsidenten, Pressesprecher oder Abteilungsleiter – doch einer blieb bis heute.
Für Valentin Lippmann (30), innenpolitischer Sprecher der Grünen im Sächsischen Landtag, ist klar: „Die dokumentierten Fälle zeigen deutlich, dass es ein Problem mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in den Sicherheitsbehörden gibt. Zumal dies nur die bekannt gewordenen Fälle sind.“ Es brauche einen Ausbau von Meldemöglichkeiten und eine anonyme Hinweisplattform.
Der heute vom @SMIsachsen vorgestellte Lagebericht zeigt: In den Sicherheitsbehörden gibt es ein Problem mit #Rechtsextremismus. Für @VaLippmann ist es deshalb richtig, die Meldemöglichkeiten auszubauen. Es braucht zügig eine anonyme Hinweisplattform. https://t.co/pK23n0ufWr
— GrüneFraktionSachsen (@SaxGruen) May 4, 2021
Das perfide Vorgehen von Rechtsradikalen zeigt sich aktuell im Fall des „Compact”-Magazins. Die als rechtspopulistisch bis rechtsextrem eingestufte Zeitschrift, die vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall geführt wird, thematisiert immer wieder eine vorgebliche Gefahr durch linke Gewalt, aktuell nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem laufenden Ermittlungsverfahren gegen die inhaftierte Studentin Lina E. aus Leipzig.
Die sächsische Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (42, Linke) wehrte sich nun juristisch gegen Behauptungen des Magazins, die ihr einen direkten Kontakt zu einem linksgerichteten Gewalttäter unterstellten. Per einstweiliger Verfügung gab das Leipziger Landgericht Nagel recht und untersagte diese Form der Berichterstattung – die Urheber hätten ihre Aussagen nicht belegen können, sondern diese vielmehr auf Gerüchte vom Hörensagen gestützt, heißt es in einer Pressemitteilung.
.@luna_le wehrt sich erfolgreich gegen Compact-Magazin und deren Diffamierungskampagne. Dazu unsere gemeinsame PM pic.twitter.com/GqCSaHKM8z
— Kanzlei Eisenbahnstraße (@KanzlEisi) May 4, 2021
Worüber die LZ heute berichtet hat: Die Würdigung einer langjährigen Direktorin des Musikinstrumentenmuseums, mögliche Freiluft-Spontanpartys im Sommer und ein Buch über stille Oasen inmitten der hektischen Großstadt am Beispiel Frankfurts. Zudem befasst sich ein Gastbeitrag von Gunter Winkler mit dem Frühling im Holzbergbiotop.
Was heute sonst noch wichtig war: Mit Einschränkungen und Auflagen wird der Leipziger Zoo am kommenden Montag nach monatelanger Schließung wieder öffnen, wie er heute ankündigte. Außerdem: Der mutmaßliche Urheber einer Serie von weit über 100 mit dem Namen „NSU 2.0“ gekennzeichneter Drohschreiben ist in Berlin gefasst worden. Der 53-Jährige steht im Verdacht, seine Botschaften seit August 2018 versendet zu haben, adressiert waren sie meist an Personen aus Politik und Medien.
Was morgen wichtig wird: Wegen eines bundesweiten Aktionstages für mehr Sicherheit im Straßenverkehr hat die Polizei zusätzliche Kontrollen angekündigt, auch in Sachsen. Außerdem: Morgen ist „Erdüberlastungstag“ – laut Berechnungen hat Deutschland seine natürlichen Ressourcen für das Jahr 2021 dann bereits aufgebraucht. Mit anderen Worten: Wir konsumieren schneller, als die Natur nachliefern kann.
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