Wieder mal liegt ein umfangreiches Demo-Wochenende hinter Leipzig. So teilten am Samstag unter anderem etwa 60 โQuerdenkerโ auf dem Simsonplatz ihre Visionen mit, wobei es fรผr einen der Redner ein strafrechtliches Nachspiel haben kรถnnte. Daneben gab es auch eine Mahnwache fรผr geflรผchtete Menschen auf dem Masurplatz und eine Kundgebung unter dem Motto โLeave No One behindโ in Connewitz. Auรerdem: Am spรคten Freitagabend war eine Corona-Kontrolle in der Sรผdvorstadt in Gewalt umgeschlagen und wegen sinkender Neuinfektionen mit dem Coronavirus steht Sachsen vor umfangreichen Erleichterungen der Schutzmaรnahmen. Die LZ fasst zusammen, was am Wochenende, 29. / 30 Mai 2021, in Leipzig, Sachsen und darรผber hinaus wichtig war.
Kapitalismuskritik, Verschwรถrungsdenken, NS-Vergleiche
Eine รผberschaubare Zahl von etwa 60 Teilnehmenden war am Samstag dem Aufruf der โQuerdenkerโ gefolgt und hatte sich auf dem Simsonplatz vor dem Bundesverwaltungsgericht versammelt. รhnlich wie zu Hochzeiten der Pegida-Bewegung spiegelten die Redebeitrรคge einmal mehr ein Potpourri aus Kapitalismuskritik, Verschwรถrungsmentalitรคt und historischen Vergleichen wider โ wobei fรผr letztere das Wort โschiefโ schon fast ein Euphemismus wรคre.
Die anwesende Polizei hat gegen einen Redner Ermittlungen wegen Verdachts auf Volksverhetzung eingeleitet, weil er die NS-Zeit in Deutschland als โgesundheitspolitische Groรveranstaltungโ tituliert haben soll.
Ein Video auf L-IZ.de zeigt die entsprechende Stelle und weitere Redebeitrรคge vom Samstag auf dem Simsonplatz.
Die Polizei sucht in diesem Zusammenhang nach Zeugen, die Angaben zum Inhalt der fraglichen Rede machen kรถnnen. Diese sollen sich bei der bei der Kriminalpolizeiinspektion, Dimitroffstraรe 1 in 04107 Leipzig, Tel. (0341) 966 4 6666 melden.Die Kundgebung blieb insgesamt ohne nennenswerten Gegenprotest, auch das Medieninteresse hielt sich in kleinem Rahmen. Das Aktionsnetzwerk โLeipzig nimmt Platzโ hatte seine Teilnahme von vornherein abgesagt, um angesichts der gerade zusammenbrechenden โQuerdenkerโ-Bewegung der Veranstaltung kein grรถรeres Podest zu bieten.
โLeave No One behindโ und Ende einer Connewitzer Legende
Zudem hatte sich am Samstag auch viel Protestpotenzial auf der Wolfgang-Heinze-Straรe in Connewitz gesammelt. Unter dem Motto โLeave No One behindโ (โLasst niemanden zurรผckโ) hatten sich seit dem Vormittag hunderte Menschen friedlich versammelt, um neben den Folgen der Pandemie auch auf die prekรคre Situation geflรผchteter Menschen an den Auรengrenzen der EU aufmerksam zu machen.
Eine รคhnliche Zielsetzung verfolgt auch eine Mahnwache, die jeden Samstag im 12-Stunden-Rhythmus auf dem Kurt-Masur-Platz im Zentrum demonstriert. Die Initiative kritisiert die โsystematische Abschreckung und Abschottungspolitik Deutschlands und der EUโ scharf und fordert unter anderem eine Evakuierung der Lager sowie ein allgemeines Bleiberecht.
Video-Impressionen vom 29. Mai 2021 aus der Wolfgang-Heinze-Straรe. Video: LZ
Es ist faktisch das Ende einer Legende: Der Netto-Markt mit Bรคckerei in Leipzig-Connewitz รถffnete am Samstag zum letzten Mal seine Tรผren fรผr die Kundschaft. Das Gebรคude soll schon in wenigen Wochen abgerissen werden, um einem Neubau mit Apartments fรผr Studierende zu weichen. Neben dem schon fast kultartigen Einkaufsmarkt nahe dem Kreuz bildete die Filiale des Discounters am Wiedebachplatz jahrelang einen Sammelpunkt von Leipzigs alternativem Szeneviertel.
Stets seien die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ladens ausgesprochen freundlich und tolerant gewesen, so eine Connewitzerin, die anonym bleiben will: โEinmal hatte ich beim Einkauf meine PIN vergessen. Da hat mich die nette Kassiererin einfach mal raus geschickt, die Nummer werde mir schon wieder einfallen! Und so war es auch.โ
Neben dem Neubau mit Studenten-Wohnungen soll dort im Erdgeschoss zukรผnftig auch wieder eine Netto-Filiale mit Bรคcker ihren Platz finden. Das Erรถffnungsdatum steht noch nicht fest, jedoch wird nicht mit einem Zeitpunkt vor 2023 gerechnet. Am Abend versammelte sich auf dem Platz vor dem Haus ein kleiner Spontan-Protest.

Auรerdem wurde per Fahrradkorso auch gegen das brutale Regime des Autokraten Alexander Lukaschenko in Belarus demonstriert.
Warnschuss im Leipziger Sรผden
Wรคhrenddessen kam es am spรคten Freitagabend zu einer Auseinandersetzung zwischen Gรคsten einer Shisha-Bar im Leipziger Sรผden und Mitarbeitern der Stadt sowie Polizeibeamten. Dem Ordnungsamt lagen Hinweise auf Verstรถรe gegen geltende Corona-Schutzmaรnahmen in der Bar vor.
Als Polizeikrรคfte gegen 22.35 Uhr zur Unterstรผtzung eintrafen, eskalierte die Situation. Bei der Personalien-Feststellung seien die Ordnungshรผter attackiert und weggedrรคngt worden, zudem versuchten einige Gรคste, รผber das Toilettenfenster zu fliehen. Auf einen Polizeibeamten sei sogar eingeprรผgelt worden, erst nach dem Warnschuss eines Kollegen mit seiner Dienstwaffe hรคtten die Angreifer von dem Mann abgelassen.
Das Resultat: Drei Polizisten zwischen 29 und 34 Jahren wurden verletzt, mehrere mutmaรlich beteiligte Tรคter nach Fahndungsmaรnahmen gefasst. Die Ermittlungen der Kripo wegen Landfriedensbruchs, gefรคhrlicher Kรถrperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte laufen.
Leipzig macht sich weiter locker
Die COVID-19-Situation in Sachsen entspannt sich unterdessen weiter. Sonntagmittag lag die gesamte 7-Tage-Inzidenz im Freistaat noch bei 39,3. Zum Vergleich: Ende Mรคrz hatte der gleiche Wert 156 betragen, fรผr die Stadt Leipzig 84 โ jetzt sind es gerade noch 22,3.
Da Leipzig nun mehr als fรผnf Werktage hintereinander unter der Marke 50 lag, darf sich die Messestadt ab morgen auf deutliche Lockerungen des รถffentlichen Lebens freuen. Dies betrifft private Kontaktbeschrรคnkungen, Schulen und Kitas, Hotels, Gastronomie, Sport, Freizeitparks / Bรคder und den Einzelhandel. Details hat unser Kollege Renรฉ Loch zusammengefasst.
Worรผber die LZ am Wochenende berichtet hat: Die mehrteilige Recherche unseres Kollegen Michael Freitag fรถrdert Schockierendes zutage โ offenbar steht ein junger Mann seit Jahren unschuldig im Fokus des LKA Sachsen, und vieles deutet darauf hin, dass brisantes Ermittlungswissen durch Polizeikreise gezielt nach auรen getragen wurde (Teil 1, Teil 2, Teil 3). Bahnt sich der nรคchste Polizei-Skandal an?
Unser Redakteur Ralf Julke schreibt รผber den Neustart der Solarindustrie in Freiberg, den Fluglรคrmschutzbeauftragten fรผr Sachsen und Kunst auf Leipzigs Straรenbahnen.
Er erklรคrt auch, warum der verrufene Stadtteil Connewitz viel besser ist, als manche glauben.
Und er prรคsentiert die Jahresstatistik des Verbands sรคchsischer Wohnungsgenossenschaften e.V., die Ende der Woche vorgestellt worden war. Die Verbรคnde haben viel mit dem Thema Klimaschutz zu tun.
Auรerdem ging es um alte Handschwengelpumpen, den Freispruch eines รถsterreichischen Pestizidkritikers vor Gericht und die zunehmende Angst Leipziger Jรผdinnen und Juden vor Antisemitismus.
Fรผr das Sportressort berichtet Kollege Marko Hofmann vom denkwรผrdigen Finale des Sachsenpokals.
Was am Wochenende sonst noch wichtig war: Die Leipziger Grรผnen haben ihre beiden Direktkandidatinnen fรผr die Bundestagswahl 2021 aufgestellt. Auch die SPD Sachsen kรผrte ihren Spitzenkandidaten.
Und Vietnam, bislang glimpflich durch die Pandemie gekommen, hat die Entdeckung einer neuen Virus-Mutation gemeldet.
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