Wer heutige autoritäre Regime wie das in Russland verstehen will, sollte sich auch ein bisscen mit der Geschichte beschäftigen. Auch der ostdeutsche Geschichte und des DDR-Geheimdienstapparates, dem die Ausstelung in der „Runden Ecke“ gewidmet ist. Aber auch digital kann man in die Welt der Stasi blicken. Ende des Jahres 2019 hat die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ am Sitz der früheren Stasi-Bezirksverwaltung Leipzig mit finanzieller Unterstützung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur einen digitalen Stadtplan mit den geheimen Stasi-Objekten in der Stadt Leipzig freigeschaltet.
Das Ergebnis des 18-monatigen Forschungsprojektes zeigte gut 1.000 geheime Objekte, die die Staatssicherheit noch im Jahr 1989 betrieben hat. Mithilfe einer digitalen Karte konnten Interessierte die einzelnen Adressen recherchieren und sich über Nutzungsdauer, Abdecklegende, Art des Objektes oder in Form einer inhaltlichen Beschreibung informieren.
In den letzten Jahren fanden nun tiefgreifendere Recherchen im Stasi-Unterlagen-Archiv statt. Auf diese Weise konnten nicht nur weitere konspirative Wohnungen und Objekte ausfindig gemacht, sondern die Karte auch um einige offizielle und halboffizielle Dienststellen und -gebäude ergänzt werden. Mit dem jetzigen Forschungsstand beläuft sich die Zahl aller im Jahr 1989 in der Stadt Leipzig noch betriebenen Stützpunkte auf fast 1.200 Objekte, teilt das Bürgerkomitee Leipzig e.V. als Träger der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke” mit.
Das Projekt bietet einen exemplarischen und bisher einmaligen Einblick in die flächendeckende Präsenz der Staatssicherheit zum Ende der SED-Diktatur am Beispiel der Stadt Leipzig und einen modernen Zugang zur Thematik der Durchherrschung der DDR-Gesellschaft.
Außerdem wurde der digitale Stadtplan technisch neu programmiert und überarbeitet: Sie ist er jetzt übersichtlicher und bietet zusätzliche Filter- und Suchfunktionen für eine gezielte und strukturierte Auswertung des umfangreichen Datenbestandes.

Vor 75 Jahren, am 8. Februar 1950 wurde das Ministerium für Staatssicherheit als „Schild und Schwert“ der SED-Diktatur gegründet. In den 40 Jahren seines Bestehens wuchs es ständig und breitete sich krakenartig über das gesamte Land aus und durchdrang die Gesellschaft.
Neben der ständig wachsenden Zahl an hauptamtlichen und Inoffiziellen Mitarbeitern zeigt sich diese flächendeckende Überwachung und Präsenz auch in der immer größer werdenden Zahl an Objekten, die die Staatssicherheit nutzte.
Neben den offiziellen und der Bevölkerung bekannten Dienststellen der hiesigen Stasi existierten jedoch auch sogenannte Konspirative Wohnungen (KW) und Konspirativen Objekte (KO). Die Begriffe bezeichnen Zimmer in Privatwohnungen, Dienstzimmer staatlicher und gesellschaftlicher Einrichtungen, aber auch ganze Einfamilienhäuser.
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) nutzte diese als Trefforte mit Inoffiziellen Mitarbeitern (IM), aber auch als Beobachtungsposten, Arbeitsräume oder Maskierungsstützpunkte. All diese Objekte wurden konspirativ und mithilfe einer Abdecklegende genutzt, um vor der DDR-Bevölkerung geheim zu bleiben.
Das Interesse an den geheimen Objekten war schon während der Friedlichen Revolution groß
Schon unmittelbar nach der Besetzung der offiziellen Dienstobjekte der Staatssicherheit am 4. Dezember 1989 und der nachfolgenden Auflösung interessierte sich die Öffentlichkeit für die KW und KO. Beim damaligen Bürgerkomitee gingen immer wieder telefonische Hinweise auf suspekte Wohnungen ein, von denen die Nachbarn glaubten, es würde sich um geheime Stützpunkte der Staatssicherheit handeln.
Um diesen Hinweisen nachzugehen und um vor allem zu verhindern, dass die Stasi in dieses geheimen Strukturen unentdeckt weiterarbeiten konnte, wurde eine Gruppe, bestehend aus Bürgerkomitee-Mitgliedern, einem Staatsanwalt und einem Volkspolizisten gebildet, die alle genannten Adressen aufsuchten und kontrollierten.
Diese Vorgänge wurden im Dezember 1989 und Frühjahr 1990 genau protokolliert und abgelegt. Später wurden Listen von den ehemaligen MfS-Offizieren sowie dem staatlichen Auflösungskomitee mit den Adressen der konspirativen Objekte abgefordert und ebenfalls in die Kontrolle einbezogen. Dabei handelte es sich um all jene Objekte, bei denen die Staatssicherheit Eigentümer war oder die sie unter einer Legende gemietet hatte.
Alle derartigen Gebäude, Wohnungen, Zimmer oder Garagen wurden am Ende über den Runden Tisch der Stadt Leipzig an neue Mieter bzw. Nutzer vergeben. Das Interesse an dem Thema war in der Öffentlichkeit so groß, dass die Tageszeitung „taz“ im Juni 1990 eine Liste der Adressen aller damals DDR-weit bekannten konspirativen Wohnungen und Objekte veröffentlichte.
Auch in der ersten Ausstellung des Leipziger Bürgerkomitees „Stasi – Macht und Banalität“ wurde im Juni 1990 ein Stadtplan von Leipzig mit den damals bekannten ca. 350 Stasi-Objekten gezeigt.
Hintergrund und Ziel des Forschungsprojektes der Gedenkstätte
Das seit 2018 laufende Forschungsprojekt dient einer Überprüfung und Ergänzung des damaligen Datenbestandes und soll mit modernen Mitteln auf dem aktuellen Stand der Forschung auf der topografischen Ebene aufzeigen, wie die Staatssicherheit über ihre offiziellen Dienststellen hinaus die Gesellschaft durchdrungen hat.
In der Vergangenheit gab es bereits ähnliche Projekte in Berlin und Erfurt, die sich aber meist nur einem Teilaspekt oder einzelnen Stadtteilen gewidmet haben. Das Projekt der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ hingegen zeigt exemplarisch und in bisher einmaliger Weise das ganze Ausmaß der Ausbreitung der Staatssicherheit zum Zeitpunkt ihrer Auflösung am Beispiel der zweitgrößten Stadt der DDR und internationalem Messestandort auf.
Der interaktive digitale Stadtplan ist eine moderne Ergänzung der historischen Ausstellung „Stasi – Macht und Banalität“ der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, die auch aktuellste Forschungsergebnisse berücksichtigt.
In ersten Schritten in verschiedenen bereits veröffentlichten Quellen sowie den Protokollen des Bürgerkomitees aus dem Frühjahr 1990 Hinweise auf 450 konspirative Wohnungen und Objekte in eine Datenbank erfasst wurden, begannen die umfangreichen Akteneinsichten im Stasi-Unterlagen-Archiv.
Archivrecherche zeigt Ausmaß der tatsächlichen Überwachung in Leipzig
Die Staatssicherheit hatte zu jeder konspirativen Wohnung oder konspirativen Objekt eine Akte mit Decknamen und Registriernummer angelegt. Diese Akten sind über verschiedene Karteikartensysteme wie der Personenkartei (F16), Vorgangskartei (F22), Decknamenkartei (F77) oder Kartei der Objekte und Liegenschaften (F80) zugänglich. Besonders relevant für das Projekt war die operative Straßenkartei (F78), die unter anderen die Adressen der KW und KO enthält.
Über diese genannten Findmittel konnten die Angestellten des Stasi-Unterlagen-Archivs die benötigten Akten und Informationen recherchieren und dem Projektbearbeiter vorlegen. Glücklicherweise zeigte sich, dass nur ein geringer Anteil von Aktenmaterial durch die Staatssicherheit im Herbst 1989 komplett vernichtet war.
Schnell wurde klar, dass es nicht bei den 450 Objekten bleiben würde, die Zahl bisher unbekannt gewesener konspirativer Wohnungen stieg stetig. Der Grund lag in den Quellen, die bisher als Basis für die Anzahl der Objekte gedient hatten: Darin waren nur die unpersönlichen KW und KO aufgelistet, also jene Objekte, deren Eigentümer oder Mieter das MfS war. Die sogenannten IMK/KW, also in der Regel Treffzimmer, die sich in Privatwohnungen befanden, waren bisher unbekannt.
Erster digitaler Stadtplan mit 1.062 Konspirativen Stasi-Wohnungen und -Objekten in Leipzig
Nach anderthalb Jahren Bearbeitungszeit zeigte sich mit Stand 3. Dezember 2019, dass allein in der Stadt Leipzig zum Zeitpunkt der Auflösung des MfS im Dezember 1989 insgesamt 1.062 aktive KW und KO anhand überlieferter Akten des MfS nachgewiesen waren.
Davon handelte es sich bei 698 um private Wohnungen von Leipziger Bürgern, die als Inoffizielle Mitarbeiter zur Sicherung der Konspiration (IMK) ein Zimmer ihrer Wohnung an den zuständigen Stasi-Offizier „untervermieteten“.
Die quantitative und qualitative Beschreibung der Konspirativen Wohnungen verdeutlicht im besonderen Maße die Durchdringung der Gesellschaft durch die Staatssicherheit, sie versinnbildlicht die flächendeckende Überwachungs- und Unterdrückungstätigkeit. In den KW findet sich der Berührungspunkt zwischen den offiziellen hauptamtlichen Stasi-Offizieren (Führungsoffiziere) auf der einen, und den Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) auf der anderen Seite. Mithilfe der grafischen Darstellung in einer Karte wurde dieses engmaschige Netz aus Stützpunkten des MfS für jedermann visualisiert und nachvollziehbar.
Forschungsstand fünf Jahre später: Weitere Objekte sind dazugekommen
Schon zur Veröffentlichung der Projektergebnisse am 3. Dezember 2019 stand fest, dass noch nicht alle Objekte erfasst waren. Diese These bestätigte sich im Laufe der letzten Jahre: Trotz Schwierigkeiten im Zuge der Corona-Pandemie war es möglich, in Zusammenarbeit mit dem Stasi-Unterlagen-Archiv, das seit 2021 Teil des Bundesarchivs ist, das Projekt weiterzuführen.
Dabei konnten zahlreiche, bisher unbekannte Adressen konspirativer Wohnungen und Objekte ermittelt werden: Diese gehörten beispielsweise zur Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) und der unterstellten Abteilung XV der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit hier in Leipzig, zuständig für die Auslandsspionage.
Deren Zahl genutzter KW und KO stieg auf 73. Da das Aktenmaterial im Frühjahr 1990 zu einem großen Teil der Vernichtung zum Opfer gefallen ist, finden sich hierzu größtenteils nur noch Karteikarten sowie Ausdrucke der Datenbank SIRA der HVA bzw. Abteilung XV.
Gänzlich neu hinzu kamen die Objekte der Hauptabteilung I (HA I), zuständig für die Überwachung der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen. Diese verfügte über eine separate Archiv- und Auskunftsabteilung, was die Recherche verkomplizierte. Hier konnten 34 Adressen ausfindig gemacht werden, knapp ein Drittel der KW befanden sich auf dem damaligen Kasernengelände an der Olbrichtstraße und dem Viertelsweg in Leipzig-Gohlis.
Doch nicht nur die Leipziger Dienststellen der Staatssicherheit betrieben Objekte in der Stadt: Auch auswärtige Bezirksverwaltungen oder Kreisdienststellen anderer Bezirke sowie die Hauptabteilungen des Berliner Ministeriums waren hier präsent.
So fanden sich 47 zusätzliche konspirative Wohnungen und Objekte operativer Abteilungen aus nahezu allen Bezirken der damaligen DDR sowie von Hauptabteilungen des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin. Besonders die alljährlichen Frühjahres- und Herbstmessen stellten für alle Dienststellen und Abteilungen der Staatssicherheit einen Schwerpunkt in ihrer Spionagearbeit dar.
Zuletzt konnte die Karte um einige offizielle oder halboffizielle Dienstgebäude erweitert werden. Insgesamt zählt die aktuelle Karte zwölf Dienstobjekte, zu denen neben der Bezirksverwaltung am Dittrichring, der Kreisdienststelle Leipzig-Stadt in der Friedrich-Ebert-Straße oder dem weitläufigen Gelände in Leipzig-Leutsch auch das Gästehaus der Bezirksverwaltung in der Primavesistraße oder die Unterkunft der Wach- und Sicherungseinheit (WSE) in der Rathenaustraße zählen. Dazukommen Wohnobjekte (WO) wie dem Wohnblock für Stasi-Offiziere in der Otto-Schmiedt-Straße oder Sportobjekte (SPO) wie die Sporthalle des SV Dynamo in der Raschwitzer Straße.
Technische Überarbeitung der Karte
Um eine bessere Übersicht und eine möglichst intuitive Bedienbarkeit der digitalen Karte zu gewährleisten, wurde diese im Jahr 2024 überarbeitet und neu Programmiert. Dazu zählen neben optischen Verbesserungen auch eine verbesserte Datenablage oder ein vereinfachter Datenimport, um die Aktualität der Karte jederzeit zu gewährleisten.
Außerdem beschränkt sich die Suchfunktion nun nicht mehr um eine einfache Volltextsuche, sondern ist um weitere Filtermöglichkeiten ergänzt worden. So kann der inzwischen sehr umfangreiche Datenbestand nicht nur der Adresse, sondern bspw. auch nach Kategorien, den Gründen für die Ablage der Objekte die Nutzungsart und ähnlichem durchsucht und ausgewertet werden.
Nicht zuletzt sind die Projektbeschreibung, aber auch die Bedienerklärungen sowie das besondere Beispielobjekt KO „Juwel“ überarbeitet worden.
Weiterer Forschungsbedarf und zukünftige Ergänzungen
Noch immer bildet die Karte nicht die vollständige Topografie der Macht ab. Insbesondere im Bereich der Dienstobjekte laufen aktuell noch weitere Recherchen, so dass es auch in Zukunft Erweiterungen des Datenbestandes geben wird. So fehlen bspw. noch die Objekte der Telefonkontrolle oder die Postkontrollstellen in der Rohrteichstraße oder Brandenburger Straße aber auch verschiedene Unterkunftsobjekte während der Zeit der Leipziger Messe oder das Dienstobjekt in der Messehalle 7.11 und der Schießplatz auf dem Bienitz.
Auch temporäre Beobachtungsstützpunkte konnten noch nicht explizit ermittelt werden, dabei stellten auch diese einen wichtigen Teil der Überwachungstätigkeit der Staatssicherheit dar.
Zudem beschränkt sich die Karte bisher auf die Stadt Leipzig in den Grenzen von 1989, seither eingemeindete Stadtbezirke, die zu DDR-Zeiten im Kreis Leipzig-Land lagen sind noch nicht erfasst. In Zukunft sollen auch diese Objekte in die Karte aufgenommen werden, um so ein möglichst vollständiges Bild der Durchdringung der DDR-Gesellschaft durch das Ministerium für Staatssicherheit zu visualisieren.
Langfristig wäre auch die Ergänzung um die Objekte in allen Kreisen des damaligen Bezirkes Leipzig denkbar und wünschenswert, um so die Arbeitsweise einer kompletten Bezirksverwaltung am Beispiel des Bezirkes Leipzig zu präsentieren.
Die interaktive digitale Karte mit den geheimen Objekten in der Stadt Leipzig findet sich auf der Internetseite der Gedenkstätte unter www.runde-ecke-leipzig.de oder auch direkt unter www.konspirative-wohnungen-leipzig.de
So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:
Keine Kommentare bisher