Heute allgemein vergessen, starb der einst so beliebte und stadtbekannte Leipziger Dichter und Enzyklopädist am 10. Dezember vor 175 Jahren in Leipzig. Hier hatte der am 1. September 1804 in Prag als Carl Herloß Geborene ab November 1825 gelebt. Auf dem Neuen Johannisfriedhof, unter einem imposanten Grab, fand er nach langem Leiden seine letzte Ruhe.
Eine lapidare Auskunft über ihn steht im Leipziger Adressbuch von 1910: „Obwohl das geistige und künstlerische Leben Leipzigs in den ersten 30 Jahren des vorigen Jahrhunderts ein ziemlich flaches und bedeutungsloses war – ganz im Gegensatz zur Mitte des 18. Jahrhunderts, zu welcher Zeit Leipzig als Hauptstadt des guten Tons und der feinen Sitte (siehe Goethes ‚Klein-Paris‘) galt – ragen doch einige Männer hervor, die als Hauptvertreter der damaligen Richtung Beachtung verdienen. So Karl Herloßsohn, der Verfasser zahlreicher, heute vergessener Novellen, Romane und politischer Satiren, gestorben 1849 im Hospital.“
Einblicke in die Zeiten damals
Ein Blick in die Frühausgabe des Tageblatts vom 9. Dezember 1899 hilft uns zu verstehen, warum dieser Mann damals so bekannt und erfolgreich war (originale Schreibweise beibehalten):
„Damals interessierte man sich für Alles, nicht nur was groß, sondern auch was klein war. Gab es doch auch Großes so wenig, die Eisenbahnen waren kaum erfunden, das bischen Revolution in Paris, der hellenische Freiheitskampf … in deutschen Fragen hatte der Michel ja überhaupt den Mund zu halten, für sein Wohl sorgte Metternich.
Was Wunder, wenn man das Kleine beobachtete, wenn man aus der sich immer mehr verbreitenden Schulbildung, aus Schreiben und Lesen, Nutzen zog und sich zur Litteratur flüchtete. Hier ging Niemand achtlos an dem anderen vorüber, hier nahm er Theil an dem Schaffen des anderen, theilnehmend oder boshaft kritisch, gleichgiltig, er nahm daran Theil. So ziemlich für jeden Schriftsteller fand sich ein Publicum, das seine Werke ankaufte und ihn vor dem Verhungern schützte.
Man kann nicht sagen, daß es heute noch so sei. Der Verleger kaufte noch Manuscripte und der Büchermarkt war noch nicht so überfüllt, die Zeitung mit bald einen Band füllender Politik, Feuilleton, Localen hatte noch nicht die Gewalt an sich gerissen. Das Geschlecht der Almanache, Blumensträuße, Damenkalender blühte und brachte goldene Früchte.
Bei einer solchen Lage der Dinge mußte ein geistvoller Mann vorwärts kommen und wenn er auch nicht einer der ersten in der deutschen Literatur war, so fand sich doch für ihn ein zahlreiches Publicum, das seine Werke las, und sich für ihn und sein Leben interessirte.
Carl Herloßsohn war so ein Schriftsteller, voller Poesie und voll reichen Gemüths, unendlich productiv und doch selten nachlassend, sich immer gleichbleibend. Vor der kritischen Sonde der heutigen Zeit bestehen seine Werke kaum, aber daß sie unsere Väter und Großväter, unsere Mütter und Großmütter durch ihren Zauber gefangen nahmen, ist kein kleineres Verdienst, als wenn sie uns für eine kurze Spanne Zeit in romantischere Gefilde versetzten.“
Eine treffliche Herloßsohn-Anekdote
In seinen gesunden Tagen war Herloßsohn ein beliebter Gesellschafter und besuchte oft Weinstuben und andere Lokale, um die Einsamkeit seines Junggesellenlebens zu lindern. Nur an einem Abend, einem Weihnachtsabend, fühlte sich der Verfasser der „Weihnachtsbilder“ so recht einsam. Was aber dann geschah, wird in folgender Anekdote (sie steht in den „Leipziger Neuesten Nachrichten“ vom 27. 12.1898) erzählt:
An einem Weihnachtsabend fand er „da nirgends eine Unterhaltung und gerieth einmal endlich in ein Local, dessen Gäste nicht gerade auf sehr hoher gesellschaftlicher Stufe standen. Sie waren eben im Begriff, einen mißliebig gewordenen Biertrinker durchzuprügeln und hinauszuwerfen.
Als sie den in ganz Leipzig bekannten und beliebten Herloßsohn erblickten, hielten sie ein und riefen: ‚Der Doctor hoch! Vivat Herloßsohn! Herloßsohn – Rede halten!‘ Schnell sprang Herloßsohn auf einen Tisch und gebot durch eine Handbewegung Ruhe. ‚Meine Herren‘, sprach er dann, ‚heute ist ein Freudentag für Alle, heute beschenkt sich alle Welt und läßt sich etwas schenken.
Auch Sie, meine Herren, haben gewiß heute Geschenke erhalten und ausgetheilt, nur an mich vereinsamten Junggesellen hat Niemand gedacht, ich allein blieb unbeschenkt. Nun bitte ich Sie, meine Herren, mir etwas zu schenken.‘ Hier unterbrach den Redner ein lärmendes Durcheinander: ‚Der Doctor will uns anpumpen! – Collecte sammeln! – Was wollen Sie, Herloßsohn? – Kellner ein paar Glas Bier für den Doctor!‘
Nachdem sich Herloßsohn mit Mühe wieder Ruhe verschafft hatte, fuhr er fort: ‚Nein, meine Herren, ich will weder Geld noch Bier. Aber doch könnten Sie mir etwas schenken, nämlich – den armen Kerl, den Sie vorhin im Begriff waren, hinauszuwerfen. Schenken Sie mir ihn und verschonen Sie ihn mit weiteren Prügeln!‘ Ein ungeheures Gelächter erhob sich; allgemein ertönte der Ruf: ‚Vivat Herloßsohn!‘ und bald saß Alles, der Dichter und sein ‚Geschenk‘, mitten drin, gemüthlich und ruhig wieder beim Biere.“
Doch nicht ganz vergessen – ein Lexikon mit Auskunft
Was Carl Herloßsohn noch so in Leipzig tat, steht in einem „Damen-Conversations-Lexikon“, 1834 von Carl Herloßsohn „im Verein mit Gelehrten und Schriftstellerinnen“ herausgegeben und 1987 vom Union Verlag Berlin noch einmal neu vorgestellt und mit einem Nachwort von Peter Kaeding versehen. Auch die redaktionelle Vorrede vom August 1834 fehlt nicht. Das Werk scheint mir keineswegs antiquiert – eine Lektüre ist auf jeden Fall zu empfehlen. Bemerkenswert der Eintrag z.B. unter dem Stichwort „Ideologie, Ideenlehre, das systematische Ausspinnen philosophischer Lehren, die im Leben nie angewendet werden können.“
Was trieb er also in Leipzig? „Hier wurde er mit dem serbischen Dichter Sima Milutinović bekannt und übersetzte dessen Heldengedicht ‚Serbianka‘ ins Deutsche. Ein Aufsatz über Zacharias Werner ließ den Verleger Brockhaus auf ihn aufmerksam werden. Herloßsohn wurde Mitarbeiter am Brockhausschen ‚Litterarischen Conversationsblatt‘. In dieser Zeit erschien sein erster Roman ‚Die Fünfhundert von Blanik‘.
Mit ‚Emmy‘ und ‚Vielliebchen‘, zwei literarischen Parodien auf Erzählungen von Heinrich Clauren, wurde Herloßsohns Name in breiten Kreisen bekannt. Abgeregt durch die Julirevolution in Frankreich und den polnischen Revolutionskrieg, gründete Herloßsohn 1830 die belletristische Zeitschrift ‚Der Komet‘. Programmatisch verkündete er, ‚daß die Kunst nur dann schlafen gehe, wenn die Preßfreiheit eingeführt und der letzte Esel gestorben‘ sei.
Herloßsohn schrieb in dieser Zeit politische Satiren und eine Anzahl historischer Romane. 1834 bis 1838 gab er gemeinsam mit dem Verleger von der Lühe das ‚Damen-Conversations-Lexikon‘ heraus. Für die Bearbeitung der musikalischen Artikel gewann er Robert Schumann. Ein Jahr später besorgte er zusammen mit Robert Blum und dem Schriftsteller Herrmann Marggraf die Herausgabe des ‚Theaterlexikons‘ (Leipzig 1839 bis 1842). Ihm folgten das Unterhaltungsblatt ‚Der Morgenstern‘ (Leipzig 1843 bis 1844) und das Taschenbuch ‚Vergiß mein nicht‘ (Leipzig 1848).
Eine Krankheit zwang Herloßsohn, jede literarische Tätigkeit einzustellen. Er starb am 10. Dezember 1849 im Jacobshospital zu Leipzig.“
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