Wer im Ratsinformationssystem sucht, findet mittlerweile ein Dutzend VorstรถรŸe, die Erinnerung an den ehemaligen Leipziger Oberbรผrgermeister Carl Friedrich Goerdeler (1884โ€“1945) aus dem Stadtbild zu tilgen. Mal wird die Umbenennung des Goerdelerrings gefordert, mal der Abbau des Goerdelerdenkmals am Neuen Rathaus. Selbst das Leipziger Jugendparlament saรŸ diesem Ansinnen auf und beantragte den Abbau des Denkmals. Obwohl die Jugendparlamentarier im Begrรผndungstext ihre Unkenntnis deutlich machten.

Das las sich im Antrag des Jugendparlaments, dessen Vorlage (Stand 12. Dezember 2024) allerdings ruht und derzeit nicht weiter beraten wird, folgendermaรŸen: โ€žDie folgende Begrรผndung erhebt an sich keinen Anspruch einer Wissenschaftlichkeit oder รคhnlicher Gรผtesiegel, sie zรคhlt lediglich Handlungen, Gedanken und Taten Goerdelers auf. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Wirken Goerdelers in Leipzig von 1930 bis 1936/37 sowie seiner antisemitischen Grundeinstellung und daraus erfolgten Handlungen.โ€œ

Es ist aber in gewisser Weise verstรคndlich, wenn selbst in offiziellen Publikationen immer nur ein veralteter Wissensstand wiedergegeben wird, ohne Goerdelers Wirken im Widerstand รผberhaupt auszuleuchten. Das tat eigentlich erstmals ausfรผhrlich Peter Theiner in der in diesem Jahr erschienenen Biografie โ€žCarl Goerdelerโ€œ.

Im Grunde ein klassischer Fall, wie sich aus der hochmรผtigen Sicht der Nachgeborenen, die nie unter einem mรถrderischen Regime leben mussten, auf Menschen herabblicken lรคsst, die unter eben solchen Bedingungen versuchen, in irgendeine Weise Widerstand zu organisieren. Und genau das tat Goerdeler. Und zwar รผber Jahre.

Eine namenlose Petition

Peinlich ist, dass die nun auf dem Tisch liegende Petition โ€žKeine รผberzogene Ehrung fรผr Carl Friedrich Goerdelerโ€œ namenlos eingereicht wurde. Sie wiederholt die alten Argumente aus dem Antrag des Jugendparlaments. Und zieht daraus den Schluss, dass dem Antrag des Jugendparlaments vollumfรคnglich zugestimmt werden mรผsste.

Petition-VIII-P-00380

Das Kulturdezernat hat jetzt ausfรผhrlich dazu Stellung genommen und betont, dass genau das, was das Jugendparlament so nebenbei forderte โ€“ eine โ€žkritische Auseinandersetzung mit der Figur Carl-Friedrich Goerdelers von Seiten der Stadt und der Zivilgesellschaftโ€œ โ€“ lรคngst stattfand und stattfindet.

โ€žDie kritische Auseinandersetzung mit dem historischen Erbe der Stadt und insbesondere der Epoche des Nationalsozialismus ist eine selbstverstรคndliche und mit groรŸem Engagement wahrgenommene Aufgabe der Stadtverwaltung und ihrer im Bereich Erinnerungskultur tรคtigen Institutionen. Insofern widersprรคchen โ€šรผberzogene Ehrungenโ€˜ jedweder Art der Intention des Konzeptes Erinnerungskultur und der gelebten Geschichtspolitik der Leipziger stรคdtischen Akteureโ€œ, betont das Kulturdezernat.

โ€žDies gilt auch fรผr die Person und das Wirken Carl Friedrich Goerdelers, dessen mutiges Eingebundensein in die Opposition ab etwa 1937 und dann im Umfeld des 20. Juli 1944 ebenso gewertschรคtzt wird, wie seine Tรคtigkeit als Oberbรผrgermeister und Reichspreiskommissar von 1930 bis 1936 eine differenzierte Wahrnehmung verdient und erfordert.

Wie bereits im Verwaltungsstandpunkt zum in der Petition dezidiert genannten entsprechenden Antrag des Jugendparlamentes VII-A-09544 niedergelegt wurde, kann die hier erneut geforderte Entfernung des Goerdeler-Denkmals unter keinen Umstรคnden in Betracht kommen, da Goerdeler an dieser Stelle als vom NS-Regime verfolgter und ermordeter Oppositioneller geehrt wird, dessen schwer errungene Gewissensentscheidung ausdrรผcklich als MaรŸstab fรผr heute nicht nur im Neuen Rathaus Tรคtige dienen soll.

Das Denkmal ist also in seiner Aussage und Platzierung als so gelungen anzusehen, dass eine Entfernung oder selbst Verรคnderung keineswegs angezeigt erscheint, zumal ein in dieser Weise demonstratives Vorgehen gegen einen in Opposition zum Faschismus ermordeten Kommunalpolitiker in der gegenwรคrtigen Situation vรถllig kontraproduktiv und fahrlรคssig wรคre.โ€œ

Falsche Einordnung, falsche Begrifflichkeiten

Was schon deutlich genug ist. Dass Petent und Jugendparlament Goerdeler geradezu zum Unterstรผtzer der Nazis machen, hat mit den historischen Fakten nichts zu tun.

โ€žZudem ist die von der Petition vorgenommene Einordnung Goerdelers als eines โ€šfaschistoiden Politikersโ€˜ fachlich unzutreffend, und in der Begrifflichkeit ebenso unhistorisch wie ehrverletzend. Auch konnte die Forschung gerade hinsichtlich der aufgerufenen vermeintlich โ€šantisemitischen und antijรผdischen Gedankenโ€˜ zeigen, daรŸ Goerdeler hier nicht einschlรคgig schuldhaft agierte und sich seine aus Denkschriften und belegten Handlungen (etwa im Umfeld der wilden SA-Exzesse 1933) rekonstruierbare Position sehr deutlich vom nationalsozialistischen Entrechtungs- und Vernichtungsfuror der Nationalsozialisten absetzteโ€œ, betont das Kulturdezernat.

Dass man sich mit Goerdelers Lebensweg kritisch auseinandersetzen mรผsse, gesteht das Kulturdezernat in seiner Stellungnahme zu. Aber gerade Goerdelers Weg in den Widerstand ist ja das, was sein Leben so auรŸergewรถhnlich macht.

โ€žDavon und damit vom Anliegen des Goerdeler-Denkmals zu trennen ist die nachtrรคgliche Bewertung von Goerdelers Agieren als Leipziger Oberbรผrgermeister in der Zeit des Demokratieabbaus in den letzten Jahren der Weimarer Republik und der frรผhen Phase der NS-Diktatur zwischen 1930 und seinem Rรผcktritt 1936.

Hierzu dรผrfen und mรผssen bei allem Respekt fรผr Goerdelers spรคteres Opfer durchaus kritische Fragen gestellt werden, die ja nicht zuletzt seinen langen Weg hin zu einer aktiven Oppositionsrolle รผberhaupt erst verstรคndlich, plausibel und somit auch respektabel machenโ€œ, betont das Kulturdezernat.

Und genau da wird ja die Dramatik der spรคten Weimarer Republik erst sichtbar.

โ€žDass es Goerdeler eben nicht gelang, das Abgleiten der von ihm vertretenen konservativ-autoritรคren Gesellschaftsvorstellung und Austeritรคtspolitik in eine nach innen und auรŸen entgrenzte Diktatur zu verhindern, hat ihn selbst spรคter erkennbar belastet und sollte bei einer Betrachtung seines โ€šAusharrensโ€˜ nach dem 30. Januar 1933 kรผnftig intensiver mit betrachtet werdenโ€œ, stellt das Kulturdezernat fest.

โ€žEine stรคrker auch nach anderen Positionen und Protagonisten fragende Erinnerungskultur kรถnnte zudem dabei helfen, die zumindest in der AuรŸenwahrnehmung womรถglich allzu stark auf Goerdeler konzentrierte Leipziger Widerstandserzรคhlung ein Stรผck weit zu รถffnen und zu verbreitern. Die im Zuge eines Rechercheauftrages momentan in Vorbereitung befindliche Konkretisierung der Erinnerung an ab 1933 entrechtete und verfolgte Stadtrรคte kรถnnte dazu ein erster Schritt sein.

Nicht Denkmalsstรผrze, sondern weitrรคumigere Forschungen und pluralere Erinnerungsnarrative sind der angemessene Weg, alle am so vielgestaltigen Widerstand gegen das Hitlerregime Beteiligten angemessen zu ehren.โ€œ

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Es gibt 2 Kommentare

Biographien, lieber User โ€œRudiโ€, haben im Grunde allesamt Kehrseiten (so vermutlich auch die meines GroรŸvaters, der wie Goerdeler 1884 geboren worden war). Was wollen wir von unseren Vorfahren verlangen? Dabei ist tatsรคchlich zu fragen, wieso man sich in den Neunzigern so betont Goerdeler zuwandte?

Und um noch ein anderes prominentes Beispiel zu bringen: https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Niem%C3%B6ller

DaรŸ der anonyme Petent (m/w/d) anfรผhrt, es gรคbe schlieรŸlich keine Erich-Honecker-StraรŸe, ist eigentlich ein origineller Gedanke. Anderswo gibt es schlieรŸlich StraรŸen und dergleichen, die an Paul von Hindenburg gemahnen.

Friedrich Ebert (SPD) lieรŸ 1923 Reichswehr gegen Erich Zeigner (SPD) aufmarschieren. Karl Liebknecht stimmte 1914 zunรคchst nicht gegen die Kriegskredite, umso vehementer aber spรคter. Der Stรถrmthaler Pfarrerssohn Friedrich Naumann hatte 1933 dem Ermรคchtigungsgesetz zugestimmt. Max Planck und Engelbert Humperdinck wollten 1914 unbedingt, daรŸ es gegen Frankreich geht. Uswusf.

Jedenfalls ist es abzulehnen, nun das Monument fรผr Goerdeler abzureiรŸen, dessen โ€œPerson durchaus auch kritisch zu sehen istโ€, aber das war, ist und bleibt keine Neuigkeit, muรŸ man โ€œder Jugendโ€ tatsรคchlich einfach mal zumuten.

โ€œIm Grunde ein klassischer Fall, wie sich aus der hochmรผtigen Sicht der Nachgeborenen, die nie unter einem mรถrderischen Regime leben mussten, auf Menschen herabblicken lรคsst, die unter eben solchen Bedingungen versuchen, in irgendeine Weise Widerstand zu organisieren. Und genau das tat Goerdeler. Und zwar รผber Jahre.โ€
Das blendet Goerdelers Wirken und Taten vor 1933 einfach aus โ€“ und damit einen GroรŸteil der politischen Karriere Goerdelers. In die Zeit vor 1933 gehรถrt auch, das Goerdeler als Nationalkonservativer mit der NSDAP paktierte. Goerdeler hatte wahrscheinlich auch deshalb bis ca. 1935 nicht mit Repressionen durch das NS-Regime zu kรคmpfen. Er sollte โ€“ je nach Quelle โ€“ sogar einen MInisterposten in Berlin bekommen, zum Reichskommissar fรผr Preisรผberwachung hat er es auch in der NS-Zeit erneut geschafft.
Wenn man ihn ehrt/feiert, muss man sich doch auch รผberlegen, wofรผr. Feiert man ihn dafรผr, dass er so lange durchgehalten hat und/oder weil er den lange geplanten Rรผckzug aus der Politik clever auf den Abbau des Mendelssohn-Denkmals gelegt hat?
Wenn man Goerdeler feiert, dann doch vor allem dafรผr, dass er im Laufe der Zeit zu einem entschiedenen Gegner des NS-Regimes wurde. Die Zeit bis 1935 sollte man dann aber auch nicht einfach ausblenden und so tun als hรคtte es sie nie gegeben. Wir sollten der Jugend dankbar dafรผr sein, dass sie uns daran erinnert, dass es auch einen Carl Friedrich Goerdeler vor dem III. Reich gab und diese Person durchaus auch kritisch zu sehen ist.

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