Kirchenbauwerke gehören zu vielen Ortschaften. Sie sind bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke. Die Gotteshäuser haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Heute geht es um ein lange und hitzig diskutiertes Gotteshaus am Augustusplatz in Leipzig. Das Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli ist das Gebäude der Universität Leipzig am Augustusplatz.

Es entstand zwischen 2007 und 2017 nach Plänen des niederländischen Architekten Erick van Egeraat. Standort ist die Stelle, wo jahrhundertelang die Paulinerkirche stand, die zur DDR-Zeit am 30. Mai 1968 aus politischen Gründen gesprengt wurde.

Das Paulinum vereinigt als Universitäts-Gebäude unter seinem Dach sowohl wissenschaftliche Institute als auch die Universitätskirche. Von der kann die Aula mit einem transparenten Raumteiler – einer Glaswand – abgetrennt werden.

Die Fertigstellung des Gebäudes war ursprünglich zum Jubiläumsjahr der Universität 2009 geplant, jedoch bis dahin nur zum Teil realisiert: Zur 600-Jahr-Feier im Dezember 2009 war nur der Rohbau fertig.

Bis zum Bauabschluss im Jahr 2017 stiegen die Kosten für den Neubau auf insgesamt 117 Millionen Euro – sie haben sich damit im Vergleich zur ursprünglichen Planung verdoppelt. Das angrenzende Augusteum wird seit dem Sommersemester 2012 genutzt.

Offizielle Einweihung des Paulinums war mit dem dreitägigen Festakt vom 1. bis 3. Dezember 2017 anlässlich des 608. Jubiläums der Universität Leipzig.

Vorgeschichte

Die im Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschädigt gebliebene Universitätskirche wurde aus politischen Gründen am 30. Mai 1968 gesprengt – kurz danach auch die verbliebenen weiteren Bauten.

An der Stelle der Kirche und auf der Fläche des Augusteums entstand das Hauptgebäude des sozialistischen Baus der Karl-Marx-Universität Leipzig. Das wuchtige Bronzerelief „Aufbruch“ stand genau an der Stelle des Giebels der gesprengten Paulinerkirche.

Der Künstler Axel Guhlmann errichtete 1998 zur Erinnerung an die Zerstörung der Paulinerkirche vor der Fassade des Universitäts-Hauptgebäudes die „Installation Paulinerkirche“ – eine 34 Meter hohe Stahlkonstruktion, die die Silhouette des historischen Kirchengiebels in Originalgröße nachzeichnete.

Die Jehmlich-Orgel im festlichen Licht (Stb-le, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=66793360)
Die Jehmlich-Orgel im festlichen Licht (Stb-le, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=66793360)

Planung und Neubau

Im Februar 2000 beschloss nach entsprechender Diskussion das Konzil der Universität Thesen zur „zukünftigen Funktion und baulichen Gestaltung des Universitätshauptgebäudes am Leipziger Augustusplatz“: Das bisherige sollte bis zum 600-jährigen Jubiläum der Universität im Jahr 2009 einem modernen Hauptgebäude der Universität Leipzig weichen.

Im August 2001 schrieb der Freistaat Sachsen einen EU-weiten Architekturwettbewerb in zwei Phasen zur Neu- und Umgestaltung des Universitätskomplexes aus – unter Ausschluss des Wiederaufbaus der Universitätskirche. Sieger wurde im Mai 2002 mit dem zweiten Platz das Münsteraner Architekturbüro behet + bondzio; der erste Platz wurde nicht vergeben.

Unzufriedenheit mit dem behet + bondzio-Entwurf und die Forderung nach dem Wiederaufbau der Universitätskirche, die vor allem der 1992 mit dieser Forderung gegründete Paulinerverein e. V. vertrat, führten zur öffentlichen Diskussion. Im Ergebnis beschloss die Sächsische Staatsregierung im Januar 2003, den Wiederaufbau zu fördern. Das anschließende Qualifizierungsverfahren des Architektenwettbewerbs gewann am 24. März 2004 das Architektenbüro Erick van Egeraat associated architects (EEA) aus Rotterdam.

2007 begann der Abriss des alten Universitätskomplexes, am 21. Oktober 2008 wurde Richtfest für das Paulinum gefeiert.

Blick zum Andachtsraum mit Altar und einigen Epitaphien (Stb-le, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=64857751)
Blick zum Andachtsraum mit Altar und einigen Epitaphien (Stb-le, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=64857751)

Am 6. Dezember 2009 gab es den ersten Gottesdienst im überfüllten Rohbau. Am Reformationstag 2010 und am 5. Dezember 2010 folgten weitere Gottesdienste.

Gestaltung und Nutzung

Der Egeraatsche Entwurf umfasst neben Fakultätsarbeitsräumen einen in gotisch anmutendem Stil gestalteten, hallenartigen Raum, dessen größerer Teil (550 Sitzplätze) als Universitäts-Aula für weltliche Veranstaltungen genutzt werden kann, und einen kleineren kirchlichen Andachtsraum (130 Sitzplätze). Die gemeinsame Nutzung beider Säle sollte möglich sein, etwa bei Universitätsgottesdiensten.

Auf Betreiben der Universität sollte – aus offiziell klimatechnischen Gründen – zwischen beiden Sälen eine zu öffnende Glaswand entstehen; diese war im ursprünglichen Konzept nicht vorgesehen.

An dieser Glaswand und an der Frage nach der Priorität – ob nun primär Aula oder Kirche und der damit verbundenen Problematik der Namensgebung und der Nutzungshoheit – entzündete sich heftiger öffentlicher Streit.

Auf Vermittlung der damaligen Generalbundesanwältin Monika Harms (1942–2012) beschlossen im Dezember 2008 Vertreter der Universität Leipzig, des Freistaates Sachsen, der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens sowie der Stadt Leipzig den sogenannten „Harms-Kompromiss“: Das Gebäude sollte den Namen „Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli“ bekommen.

Der Altar in Festtags-Ansicht (Stb-le, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=64857750)
Der Altar in Festtags-Ansicht (Stb-le, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=64857750)

Der Kompromiss bestätigt die in der Bauplanung vorgesehene multifunktionale Nutzung von Aula, Andachtsraum und fakultären Arbeitsräumen. Er bekräftigt die Entscheidungs-Kompetenz, die rechtlich dem Bauherrn im Einvernehmen mit der Universität zukommt. Offen ist immer noch der Verbleib der restaurierten barocken Kanzel der alten Universitätskirche, die im Musikinstrumenten-Museum der Universität steht.

Fachleute sind aus klimatechnischen Gründen gegen die Anbringung im Aulabereich, wofür kirchliche Kreise stimmen, und pochen auf weitere Untersuchungen. Weltlich Eingestellte wollen die Aula von christlichen Symbolen frei halten. Dazu gehört neben der Universitätsleitung auch die 2008 gegründete Bürgerinitiative „Für eine weltoffene, weltliche und autonome Universität Leipzig“.

Aufgrund der zwischenzeitlichen Insolvenz des Architekturbüros, verschiedener Abstimmungsschwierigkeiten und insbesondere Probleme bei der Herstellung der Glassäulen verschob sich die anfangs für 2009 vorgesehene Fertigstellung Jahr um Jahr.

Mit einer Reihe von Veranstaltungen wurde das Paulinum am ersten Dezemberwochenende 2017 eingeweiht – mit dem  Akademischen Festakt am 1. Dezember, dem „Bürgertag“ am 2. Dezember und dem Einweihungs-Gottesdienst am 3. Dezember (1. Advent).

Architektur

Das Gebäude des Paulinums erhebt sich in etwa an der Stelle der 1968 gesprengten Paulinerkirche auf einer Grundfläche vom 63 Meter mal 21 Meter. Es grenzt am Augustusplatz direkt an das links benachbarte Augusteum, während nach rechts zum Nachfolgebau des Café Felsche – im Gegensatz zu früher – ein Durchgang offen ist, der von einem Verbindungsgang überspannt wird.

Die Giebelfassade des Paulinums passt sich zunächst den Nachbarbauten mit ihren vertikalen Fensterbändern und deren Farbgebung an und ist damit deutlich Teil der Gesamtfassade.

Zugleich hebt sie sich deutlich sichtbar von den Nachbarbauten ab: Das Paulinum ist höher als diese, und mit dem steil zulaufenden Spitzdach (63 Grad Neigung) entsteht ein Giebel, der an den neugotischen Roßbach-Giebel der gesprengten Kirche erinnert.

Der in den Steinpartien verwendete hellere Kalkstein ist eine weitere Unterscheidung zum Nachbarbau. Auch gibt es kirchenspezifische Elemente in Form eines gotischen Spitzbogenfensters und einer Fensterrosette, beide von sehr hellem Stein eingefasst. Diese sind nicht genau übereinander und zudem außermittig angeordnet. Damit soll eine Kippung nach links angedeutet werden – in die Richtung, in die die Paulinerkirche bei ihrer Sprengung 1968 gefallen war.

Die Seitenwände und die hintere Giebelwand weisen in ihren Steinteilen eine horizontale Streifenmusterung auf, unterbrochen von senkrechten Glasstreifen. Das Dach des Paulinums ist eine Konstruktion aus Stahl und Glas, es vermittelt einen sehr technischen Eindruck.

Auf dem Augusteum aufsitzend, erhebt sich der spitze Glockenturm. Er ist mit senkrechten Metallbekleidungen versehen und passt sich so der übrigen Fassade an. Er kann, obwohl an anderer Stelle positioniert, als Reminiszenz an den Pauliner-Kirchturm von Roßbach angesehen werden. Im unteren Teil gibt es Fahrstühle, oben hat die Glocke der gesprengten Kirche ihren Platz.

Hinter der gotischen Rosette: Hörsaal des Mathematischen Instituts (Martin Geisler, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=66296713)
Hinter der gotischen Rosette: Hörsaal des Mathematischen Instituts (Martin Geisler, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=66296713)

In diese äußere Hülle sind Funktionseinheiten eingebaut. Im Dachgeschoss gibt es auf sechs Etagen Arbeitsräume der Fakultät für Mathematik und Informatik – so etwa hinter der zum Augustusplatz gerichteten, gotischen Rosette einen Hörsaal mit 72 Plätzen.

Im Tiefgeschoss etwa der Höhe der früheren Kirchengruft entstand eine große Fahrradgarage für nahezu 1.100 Fahrräder.

Im Erdgeschossbereich eingefügt sind die Aula und der Andachtsraum mit eigenen Begrenzungswänden innerhalb der Außenwände. Beide Säle sind in Weiß gehalten.

Den Eindruck eines gotischen Raumes vermitteln dort ein imitiertes Kreuzrippengewölbe, gotische Scheinfenster in den Begrenzungswänden und hinter dem Altar sowie 16 beleuchtete Glassäulen (sechs davon im Aulabereich hängend) und erinnern auf diese Weise an die historisch bedeutende, gesprengte Kirche.

Aus klimatechnischen Gründen – die Aula ist nur zu Veranstaltungen beheizt und belüftet – sind Aula und Andachtsraum von einer 16 Meter hohen, beweglichen Glaswand getrennt, die zu Gottesdiensten geöffnet wird.

Aufgrund eingehängter Längswände im Andachtsraum zur Anbringung der Epitaphien entsteht um den Altar der Eindruck eines Chores. Auf der hinteren, westlichen Seite der Aula befindet sich die
Orgelempore.

Ausstattung

Der Pauliner-Altar ist ein zweifach wandelbarer, spätgotischer Flügelaltar. Wahrscheinlich ist er ein Werk eines südthüringischen oder nordfränkischen Meisters um 1500. Er wurde kurz vor der Sprengung der Paulinerkirche gerettet und war nach der Restaurierung von 1993 bis 2014 Hauptaltar in der Thomaskirche zu Leipzig.

Am 2. Dezember 2014 fand in der Universitätskirche St. Pauli im Paulinum die Grundsteinlegung für den Pauliner-Altar statt. Darüber befindet sich heute der Altartisch.

Der geschlossene Schrein zeigt zwei Gemälde aus der Pauluslegende: rechts den lehrenden Apostel Paulus und links dessen Martyrium. In der ersten Wandlung (Passionsseite) stellen acht Tafelbilder die Leidensgeschichte Christi dar. Die zweite Wandlung (Festtagsseite) zeigt in der Mitte den Apostel Paulus mit seinen Attributen Schwert und Buch. Er wird flankiert von acht Reliefs eines Jesus-Maria-Zyklus.

Prinzipalien und Epitaphien

Zu den Prinzipalien zählen der Altartisch, der Volksaltar, der Ambo und der Tauftisch. Diese schufen Studierende der Bauhaus-Universität Weimar unter Leitung von Bernd Rudolf und Helmut Hengst.

Im Altarraum haben etwa 30 aus der alten Paulinerkirche vor der Sprengung gerettete Epitaphien ihren Platz gefunden.

Orgeln und Positiv

In den Jahren 2008–2009 baute der Orgelbauer Wegscheider aus Dresden ein Orgelpositiv für den Andachtsraum. Das rein mechanische Instrument hat sieben Register auf einem Manual.

2015 wurde im Andachtsraum eine Metzler-Schwalbennestorgel in einer für das 16. Jahrhundert typischen Bauform und Disposition eingebaut. Ein erster Bauabschnitt mit sieben Registern fand mit der Orgelabnahme am 27. März 2015 seinen Abschluss. Weitere Register sind vorgesehen, Ziel sind 18 Register.

2015 wurde auf der Westempore eine dreimanualige Jehmlich-Orgel eingebaut. Ihre Disposition ist an die Orgel angelehnt, die Johann Scheibe 1711–1716 für die Paulinerkirche schuf. Das Gehäuse aus weiß lackiertem Nadelholz ist etwa 10 Meter hoch und fast 7 Meter breit. Die Orgel hat 46 klingende Register mit 2.951 Pfeifen.

Gegenwart

Die Universität Leipzig beschreibt das Gebäude auf ihrer Internetseite so: „Das Paulinum ist als Ort für akademische Veranstaltungen, Universitätsgottesdienste, Konzerte der Universitätsmusik und Veranstaltungen mit Kooperationspartnern eine lebendige Begegnungsstätte für Universitätsangehörige, Einwohner:innen Leipzigs und Gäste aus aller Welt.“ Gleich darunter steht: „Gottesdienste an jedem Sonn- und Feiertag um 11 Uhr“.

Beim genauen Blick vom Augustusplatz auf das Universitätsgebäude ist die Sprengung der historischen Paulinerkirche dauerhaft in der Fassade erkennbar – und zwar direkt am Tatort:

In der Kirchen-Silhouette gibt es eine gewisse architektonische Symmetrie-Störung: Damit kippt die Fassade des Gotteshauses optisch nach links – so wie die Paulinerkirche bei ihrer Sprengung am 30. Mai 1968 um 09:58 Uhr.

Koordinaten: 51° 20′ 21″ N, 12° 22′ 46″ O

Das Paulinum auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Paulinum_(Universit%C3%A4t_Leipzig)

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