Der folgende Bericht führt in die Verhältnisse reisefreudiger Alpenbesucher zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein und erläutert Fragen die „Wie reiste der Adel früher“, „Wie waren die Verkehrs- und Straßenverhältnisse“, „Wie war die touristische Infrastruktur in den Alpen abseits der Metropolen und Kurbäder“, „Wie die Benutzung der Verkehrsmittel“, „Wie die Kommunikationsstruktur ohne Handy, ohne Telefon, ohne Internet und nur mit spärlichen Telegraphenverbindungen“?

Man stellt aber auch fest, dass es viele Parallelen zu heute gab, natürlich mit historisch bedingt anderer Ausstattung. Mittelpunkt ist der äußerst tragisch endende tödliche Unfall des Sächsischen Königs Friedrich August II. in Tirol im Jahre 1854 und die damit zusammenhängenden Abläufe, die wesentlich detaillierter gegenüber bisherigen Berichten recherchiert wurden und auch neue Erkenntnisse in einem spannenden Bericht bringen.

Dazu spiegeln bisher gänzlich unveröffentlichte Zeitungsmeldungen aus Österreich und Sachsen ein authentisches Bild der tatsächlichen Abläufe wider. Und es ist erstaunlich, welche großen Folgen dieser Todesfall für die Menschen in Tirol und in Sachsen mit sich brachte …

Die letze Reise des Sächsischen Königs

Es hätte eine große Reise für den Sächsischen König werden sollen. Keiner ahnte, dass das Gegenteil eintraf. König Friedrich August II. (geb. 1797) , Regent eines der vier Königreiche in Deutschland, hatte bereits fast ein Dutzend Mal die Österreichischen Zentralalpen erwandert und freute sich im August des Jahres 1854 auf neue Touren. Die Zuneigung zu den Landschaften Österreichs stammte auch von seiner ersten Frau Maria von Österreich, einer Tochter von Kaiser Franz II.

Nachdem er nach dem Tode von Maria mit seiner zweiten Frau Maria Anna zu Urlaubsbeginn durch Sachsen gereist war, ließ er diese – Tochter des bayerischen Königs – bei der bayerischen Verwandtschaft in Possenhofen am Starnberger See, dem Stammsitz der Wittelsbacher, zurück. Am Anfang sah für den Sächsischen König Friedrich August II. alles hoffnungsvoll aus, es sollte eine große Reise abseits der belastenden Staatsgeschäfte in Dresden werden. Keine privaten Geldprobleme quälten den Monarchen bei seinen Reiseplanungen. Lediglich war er häufiger von Depressionen betroffen, die Natur der Alpen und sein wissenschaftliches Interesse an Geologie und Botanik lenkten von seiner Krankheit ab.

Wer heute durch den inneren Ortsbereich von Seefeld, dem großen Fremdenverkehrsort in Tirol geht, stößt hinter der Fassade des früheren Hotels Post auf eine Tafel, die die kommenden, dramatischen Geschehnisse schon vorwegnimmt. Am 7. August 1854 ahnte jedoch noch keiner, mit welchen schrecklichen Folgen die Reise zwei Tage später enden sollte. In einer Katastrophe, die das Leben des Sächsischen König Friedrich August II. schlagartig beenden sollte.

Tafel am Hotel Post in Seefeld / Tirol. Foto: Martin Schmiedeberg
Tafel am Hotel Post in Seefeld / Tirol. Foto: Martin Schmiedeberg

Auf der Zirler Bergstrecke

Nach dem Frühstück ging die Fahrt mit der Kutsche Richtung Inntal über die damals berüchtigte Gefällstrecke der Zirler Bergstrecke, einer historischen Salzstraße. Im Baedeker-Reiseführer von 1855 wird diese damals schwierige Salzstraße oberhalb Zirls noch als „besonders steil“ beschrieben. Aber hier bewältigt die königliche Kutsche alles zur Zufriedenheit, das Schicksal schlägt erst später zu. In Zirl angekommen, verweilt König Friedrich August II. auf einer der wenigen Brücken im Oberinntal und beginnt, da er zwei Jahre zuvor bereits den mächtigen Solstein im Karwendel bestiegen hatte, als routinierter Landschaftszeichner diesen mit der markanten Martinswand zu zeichnen.

Auf seine bergsteigerischen Ambitionen gefragt, soll er einmal gesagt haben, diese habe er bei gemeinsamen Bergtouren mit Erzherzog Johann, dem Bruder von Kaiser Franz I., kennengelernt. Gegen 11 Uhr geht die Reise dann weiter über Oberperfuss nach Süden ins Sellraintal. Dort aß man zu Mittag und ist anschließend weiter zur Gemeinde Gries gefahren. Wegen extremer Niederschläge konnte die Fahrt erst gegen 5 Uhr nachmittags fortgesetzt werden. Beim Weiler Praxmar wird der Regen so stark, dass die Kutschfahrt auf den schlechten Wegen gefährlich wird.

Erst gegen 8 Uhr abends wird die Almhütte Lüsens am Ende des Sellraintals erreicht, wo die Reisegruppe übernachten will. Zu dieser zählt neben dem Sächsischen König Friedrich August II. sein Flügeladjutant Eduard von Zezschwitz – modern gesprochen ein „Persönlicher Referent einer hochgestellten Persönlichkeit“ -, ein erfahrener Reise- und Militärfachmann von etwa 50 Lebensjahren. Weiter dabei waren sein Kammerdiener Kleeberg, zuständig für Verpflegung, Garderobe und Ausrüstung, sowie drei Gepäckträger zum Auf- und Abladen der schweren Koffer.

Dazu kam ein guter Freund, der Zirler Priester Alois Moriggl, der bereits seit Jahren mit dem König durch die Zentralalpen gereist war.

„Am Ende der Welt“

Die Übernachtung auf einer einfachen, zur damaligen Zeit nahezu primitiven Almhütte „am Ende der Welt“ war aber für Friedrich August II. ein beabsichtigtes Erlebnis. Nach nicht leichter Quellensuche – von mehr als zwei Jahren – unter anderem in Archiven und Bibliotheken Tirols über möglichst authentische Berichte der Königsreise, gab es einen ergiebigen Fund. In der Zeitung „Bothe für Tirol und Vorarlberg“ aus Innsbruck berichtet der begleitende Priester Alois Moriggl im August 1854 in verschiedenen Aufsätzen über die gemeinsame Tage von der später folgenreichen Unternehmung mit dem König.

Wegen der nassen Kleidung und der kalten Temperaturen – es hatte bis nach Gries herunter geschneit – setzte sich Friedrich August II. in der Hütte auf eine Bank in Nähe des Herdes. Nachdem er sich auf der Alpe in das Fremdenbuch eingetragen hatte, wurde er vom Senner in einer ungezwungenen Unterhaltung gefragt, ob „er denn auch Kühe in Sachsen habe?“.

Ein ausgeschlagener Ratschlag

In aller Frühe des nächsten Tages begann die Rückfahrt aus dem Sellraintal; der König wurde nachdenklich und äußerte sich: „Vor 8 Tagen war ich noch auf der Jagd an der preußischen Grenze und heute stehe ich mitten in den Hochalpen Tirols, weit entfernt von meinen Verwandten“. Für die damalige Zeit sicherlich eine beachtliche Mobilität. Vor der Gemeinde Gries stand der Ortspfarrer Sigmund Perthaler und gab den Rat, die Kutsche des Königs sollte den Weg auf die andere Bachseite nach Westen wählen, um größere Steinlawinen und Abrutschgefahren nach den kräftigen Niederschlägen zu vermeiden.

Der König schlug aber diesen Ratschlag aus. Kaum waren die gefährlichen Stellen überwunden, folgte hinterrücks eine gewaltige Stein- und Erdmure. Vielleicht schon ein Omen für den übernächsten Tag. Nach einer Mittagseinkehr im Pfarrhaus in Gries ging es weiter nach Kühtai.

In St. Sigmund begrüßten Böllerschüsse die königlich Reisegruppe. Dem König rutschen „sichtbar gerührt“, so Pfarrer Alois Moriggl, die Worte heraus „Gute Leute, gute Leute!“. Weiter folgt man einem als einfach bezeichneten Weg mit geringen, allerdings stetigem Anstieg und erreicht in gut zwei Stunden die Passhöhe von Kühtai. Das dortige mächtige, geschichtsträchtige Jagdschloss wurde nicht länger aufgesucht; man staunte nur über die Meereshöhe von 6.300 Fuß (Höhe 2.017 m), heute wegen der schneesicheren Lage ein namhafter Wintersportort.

Die Fitness des Königs

Ab St. Sigmund gibt der authentische Bericht vom Zirler Pfarrer Moriggl keine genauen Angaben, wo die königliche Kutsche verblieben ist und welchen Weg diese zum beabsichtigten Nachtquartier in Silz fährt. Es kann aber aus der topographischen Situation der Mitte des 19. Jahrhunderts im Oberinntales nur gefolgert werden, dass die Kutsche mit den königlichen Dienern das Sellrain Richtung Zirl gefahren ist und von dort immer, dem Handelsstraßenverlauf folgend, auf der rechten, also Südseite des Inns, bis Silz zum verabredeten Nachtquartier geblieben ist.

König Friedrich August II. Foto: gemeinfrei, Copyright: Martin Schmiedeberg
König Friedrich August II. Foto: gemeinfrei, Copyright: Martin Schmiedeberg

Für die Annahme eines königlichen Fußmarsches von St. Sigmund über Kühtai, Sattele nach Silz spricht die spätere Wegführung, die wegen des großen Gefälles ins Inntal und des rutschigen Untergrunds nur eine Fußwanderung zulässt – heute führt hier eine kleine Serpentinenstraße lang. Von der Höhe beschreibt Alois Moriggl die Ausblicke ins Ötz- und Pitztal, keiner von ihnen ahnt, dass der Eingang zum Pitztal zum großen Verhängnis und ein tödlicher Ort für den König wird.

Verwundert zeigt sich die Umgebung des Königs über seine Fitness; mit 57 Jahren – ein für damalige Zeiten schon als höher geltendes Alter – erscheint er äußerst drahtig. Verblüfft ist man, dass er wenig Nahrung über Tage aufnimmt, in Küthai reicht ihm bei einer kurzen Wanderpause nur ein Glas Milch. Der Bergbegleiter Alois Moriggl hat den Sächsischen König schon bei vielen Alpentouren geführt und ein mehr als vertrauensvolles Verhältnis entwickelt, sodass auch über vieles Persönliche gesprochen werden konnte.

„Furchtbare Wege, die unwegsamsten Thäler …“

In Silz nahe des Inns kommt man zur späten Stunde an und logiert im Gasthof Post an der Durchgangsstraße. Heute heißt dieses Hotel nach einem Umbau an gleicher Stelle „Restaurant zur Poscht“. Im Folgenden gehen die nun weniger werdenden Berichte der Bergtour des Sächsischen Königs auseinander. Berichte geben an, dass König Friedrich Alexander II. bereits im Gasthof Neuner in Brennbichl am Ortseingang von Imst genächtigt haben soll. Der Autor dieses Berichts favorisiert jedoch mehr die Version, dass die Übernachtung in Silz stattgefunden hat, wie vereinzelte Quellen und vertiefte Überlegungen darlegen.

Im Quartier in Silz werden die Zimmer bezogen, sie werden als prachtvoll beschrieben. Sogleich wird der Priester Alois Moriggl vom König Friedrich August II. in das königliche Zimmer gerufen. Er zeigt ihm eine Alpenkarte – so der Bericht in der Zeitung „Bothe für Tirol und Vorarlberg“ vom 14. August 1854 –  die auf dem Tisch ausgebreitet liegt. Mit roten Strichen sind dort verschiedene Wandertouren versehen, die der Monarch in Österreich und dem heutigen Norditalien bereits abgewandert ist, die Linien gingen auf der Karte kreuz und quer.

Der König ergänzt wörtlich: „Furchtbare Wege, die unwegsamsten Thäler, und es gibt in Tirol kein unwegsames Thal von Bedeutung mehr, das ich nicht kenne, nur das Pitzthal fehlt mir noch!“ – Er konnte hierbei noch nicht vorhersehen, dass bald das Schicksal am Eingang dieses Tales zuschlagen sollte.

Gut gelaunt nahmen sie am Abend des 8. August 1854 das Nachtmahl ein, das ganz vortrefflich gewesen sein soll. Dieses soll sich bis halb zwölf hingezogen haben.

König Friedrich August II. ahnte in keiner Weise, dass dies sein letztes größeres Essen gewesen sein sollte. Der König bedanke sich bei seinem Weggefährten Alois Moriggl, der am nächsten Tag nach Zirl zurücklaufen wollte, und entschuldigte sich sogar, dass er ihn tagelang bei den Touren in Beschlag genommen habe.

Wie es dann zum Unfall kam, lesen Sie im zweiten Teil : Das Unglück.

Hier geht es zum dritten Teil: Das Nachspiel.

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