Im 6. Band der „Bibliothek der redenden und bildenden Künste“, erschienen in der Dyck’schen Buchhandlung in Leipzig 1809, werden zwei „Faust“-Tragödien gegen einander gestellt. Die eine von Goethe, erschienen in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung, Tübingen 1808; die andere von Dr. Karl Schöne, erschienen in Sanders Buchhandlung in Berlin 1809.
Der nicht genannte Autor einer 24-seitigen Abhandlung stimmt gleich einleitend sein Lesepublikum auf die Vorstellung beider Werke ein: „Wer sich einen klaren Begriff von dem machen will, was ein Dichter sey, der darf nur diese beyden Produkte hinter einander lesen.“
Sein positives Urteil über Goethe schenken wir uns; über Herrn Dr. Karl Schöne sind keine biografischen Daten zu finden und dank Internet ist seiner romantischen „Faust“-Tragödie wenigstens noch ein Platz erhalten geblieben.
Ganz im Gegensatz zu Friedrich Maximilian Klinger, dessen Roman „Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt“ aus dem Jahre 1791 dem Herrn Schöne zuerst die Idee gab, „den Faust tragisch für die Bühne zu bearbeiten“.
Über Klinger selbst und seinen Roman im Volltext kann man sich ausführlich informieren. Unser Autor beemerkt dazu: „Der Faust des Herrn Dr. Schöne ist aus einem bekannten dramatischen Roman von Klinger entlehnt. Klinger hat den Stoff im Geist der alten Haupt- und Staatsaction ins Auge gefaßt: aber er verfehlte den schicklichen Ton; statt eines komischen Romans in der Manier von Scarron, schrieb er einen philosophischen, und also langweiligen. Wie höchst langweilig mußte nun nicht vollends die daraus entlehnte Tragödie werden!“
(Von dem französischen Schriftsteller Paul Scarron (1610–1660) liegen drei Romane in deutscher Übersetzung vor: „Des Herrn Scarron Comischer Roman, Dritter Druck. Hamburg 1764“, „Des Herrn Scarron Fortgesetzter Comischer Roman, Dritter Teil. Hamburg und Leipzig 1753“ und „Der Komödiantenroman. Ins Deutsche übertragen von Franz Blei, München und Leipzig, 1908.“)
Eine Kritik mit Folgen
Wenn auch die „romantische Tragödie“ des unbekannten Herrn Dr. Schöne in keiner Kulturgeschichte oder keinem Lexikon mehr aufgetaucht ist, so scheint es doch reizvoll, dem Grund dieser ignoranten Haltung der Kulturwelt nachzugehen. Immerhin steht ja die Faust-Tragödie von Schöne als Volltext im Internet zur Verfügung.
Da steht in der „Vorrede“: „Die Aufnahme meines Faust’s wird mich bestimmen, mehrere schon vollendete Arbeiten der Welt zu übergeben und meine Kräfte ferner im tragischen Fache zu versuchen. Den scharfsinnigen, gerechten Kunstrichter werde ich ehren, den unbilligen – verachten.“
Diese Äußerung provozierte dann doch einen „H.K.“-Kritiker in der (in Leipzig erscheinenden) „Zeitung für die elegante Welt“ Nr. 134 v. 7. Juli 1809, mit einem Blick auf die „Schöne Literatur“ besonders auch auf diese Äußerung entsprechend zu reagieren. Die folgenden Worte am Schluss seiner Polemik sagen wohl alles: „Wir würden das Produkt mit Stillschweigen übergangen haben, hätte der Verfasser nicht in der Vorrede gedroht, mehrere schon vollendete Arbeiten der Welt zu übergeben und seine Kräfte ferner im tragischen Fach zu versuchen.
Wir haben in diesem Fache so viel schlechte Sachen, die größtentheils mit Anmaßung der Welt übergeben wurden, daß es nöthig war, solche Anmaßungen in ihrer Blöße darzustellen.“
(Das Digitalisat dieser Kritik findet man hier.)
Und diese Bemerkung scheint mir keineswegs unaktuell.
Die Handlung, vom Kritiker als das „wohl unter allen das schwächste Produkt“ bezeichnet, wird so beschrieben: „Hunger und Elend treibt den Doktor Faust dem Teufel in die Hände, dieser führt ihn an den Hof des Kaisers Friedrich III., Faust will den Reformator spielen, ein schwacher Fürst, ein Pfaffe und eine Liebesintriege stiften schreckliches Unheil an und bringen ihn selbst in den Kerker, der Teufel befreit ihn wieder, um ihn – zu holen. Gewiß kein Faust ist einfältiger und unschuldiger in die Hölle gefahren.“
Ob das folgende Urteil zutrifft, mag jeder Leser des Originaltextes für sich entscheiden: „In dem Ganzen ist kein Funke von Phantasie, keine Ahnung von dramatischem Talent.“ Ein hartes Urteil.
Bei guter Literatur lassen wir uns von originellen Wort- und Satzschöpfungen überraschen. Im Faust-Tragödientext des Karl Schöne gibt es aber einiges, was auch die damaligen Sprachregeln verletzt. Der Kritiker führt mehrere Beispiele an, z.B. im 2. Aufzug, 6. Auftritt, Seite 47, deklamiert Kaiser Friedrich: „Ich laß’ ihn bitten Herzog Sigismund / Des raschen Schritt’s zu zeihn, …“, also beschuldigen? Schöne meinte aber verzeihen, hat sich aber im Wort vergriffen.
All’ die Mühe des Karl Schöne, sein 133-seitiges Werk der Welt zu eigener bleibender Erinnerung zu übergeben, hat eine Kritik auf zwei engen Zeitungsspalten zunichtegemacht – denn der Verriss fand durch die renommierte „Zeitung für die elegante Welt“ eine schnelle Verbreitung mit nachhaltiger Wirkung.
20 Jahre nach dem Erscheinen der „Romantischen Tragödie“ des Herrn Schöne in Berlin fand am 28. August 1829 zur Geburtstagsfeier Goethes die erste Leipziger Aufführung seiner Faust-Tragödie in 5 Akten statt – für die Bühne eingerichtet von dem Dichter-Kollegen Ludwig Tieck (1773–1853), von dem auch der vorangestellte Prolog stammte. Leider habe ich darüber keinen zeitgenössischen Bericht gefunden.
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Ein interessanter Beitrag, danke schon mal dafür. Wir dürfen nicht vergessen, dass um 1800 kaum jemand die Klassiker las, die meisten Menschen – wenn sie überhaupt lesen konnten – lasen populäre Druckblätter und Zeitungen, dazu Gesundheitstraktate (nach religiösen die am zweithäufigsten gedruckten) und auch Romane, die wiederum mit den gefahren der Lesesucht assoziiert wurden, besonders wenn Frauen sie lasen. Auch der private Bücherbesitz war eher unüblich, zumindest für 90% der Bevölkerung, man nutzte die Leihbibliotheken. Aber das nur am Rande.
Karl Schönes Werk wurde im 19. jahrhundert fast immer verrissen. Am deutlichsten wohl von Roderich Warkentin in seinem Buch “Nachklänge der Sturm- und Drangperiode in Faustdichtungen des 18. und 19. Jahrhunderts”, erschienen 1896, wo sich seitenweise über Schöne ausgelassen wird. Warkentin nennt Schönes “Faust” ein “erbärmliches Machwerk” (S. 32)
Ebenso urteilt John William Smeed: Faust in Literature, erschienen 1975 in der Oxford University Press. Auf S. 105 fällt Smeed ein vernichtendes Urteil und nennt Schönes Stück “an unskilful combination of ideas lifted from Klinger and original (but very confused) material.”
Schöne hatte sein Werk übrigens schon 1807 an Goethe geschickt, wie aus dem Tagebucheintrag Goethes vom 17.11.1807 hervorgeht: “An Dr. Hofrath Schöne in Hildesheim das Trauerspiel Faust.”
Die Herausgeber des Bandes (Otto Pniower: Goethes Faust. Zeugnisse und Excurse zu seiner Entstehungsgeschichte, Berlin 1899), schreibt dazu: “Dieses Drama erschien 1809 (Berlin). Schoene wird also dem Dichter das Manuscript zugeschickt haben, der es ihm an diesem Tage zurücksendet (Werke IV, 19, S. 547). Über den Brief, mit dem der Dichterling vermutlich seine Sendung begleitete, ist nichts bekannt geworden, auch nichts von einem Schreiben Goethes an den unerwünschten Spender.” (Siehe dort auch den Brief vom 14. Dezember 1822) Goethe spottete über Schönes Einflasslosigkeit.
Karl Schönes Geburtsdaten seien auch noch nachgetragen. Er wurde 1779 in Hildesheim geboren und starb nach 1852. Er war Arzt und Hofrat in Stralsund. Er hatte in Göttingen Medizin studiert und ab 1813 eine Zeit lang ein Militär-Lazarett geleitet.