Zu Ehren von Carl Heinrich Carsten Reinecke (* 23.06.1824 Altona; †10.03.1910 Leipzig), Komponist, Pianist, Musikschriftsteller, Lehrer am Leipziger Konservatorium und Kapellmeister des Gewandhausorchesters von 1860 bis 1895, werden in den Monaten Mai bis September 2024 allein in Leipzig in über 30 Konzerten und im benachbarten Markkleeberg in 9 Konzerten neben anderen auch Kompositionen von ihm gespielt.
Ein besonderes Ereignis ist die Kranzniederlegung am 23. Juni, einem Sonntag, auf dem Südfriedhof, Abteilung V, um 11 Uhr am Grab von Carl Reinecke und anschließend dann um 15 Uhr im Großen Saal der Hochschule für Musik und Theater Leipzig ein Festkonzert.
Bisher ist viel über Carl Reinecke geschrieben worden. Auch vor 100 Jahren – und das fehlt wohl noch in der Sammlung der Artikel im Internet – hat ein gewisser B. Licht in der LVZ damals (28. Juni 1924) über seine „Erinnerungen an meine Studienzeit bei Meister Reinecke“ geschrieben. Seine Zeilen bringen uns Reinecke vor allem auch menschlich näher:
„Mein Studium bei Karl Reinecke und Salomon Jadassohn am hiesigen Konservatorium ist mir bis auf den heutigen Tag in schönster Erinnerung geblieben. Als im Jahre 1902 Jadassohn starb und der greise Reinecke sich zur Ruhe zurückzog, war nach dreijährigem Studium am Konservatorium mein Geldbeutel leer. Da ich jedoch in der Kompositionslehre noch weiter studieren wollte, ging ich zu meinem Meister in Privatunterricht, erkundigte mich aber vorher nach der Höhe des Honorars, da ich doch keinen hohen Preis zahlen konnte.
Mit einem zarten Lächeln sagte er in väterlichem Ton zu mir: ‚Mein Lieber, s’ist nicht so schlimm mit dem Honorar, vorderhand zahlen Sie nichts, und wenn es Ihnen gelingt, eine große Stellung zu kriegen, dann ist es mit dem Honorar immer noch Zeit.‘
Ich ging drei Jahre lang in die Querstraße 14 (Reineckes Wohnung), ich habe keine Stellung bekommen, und der gute Meister auch nicht sein Geld. Ich besuchte auch später noch öfters den Meister, um ihn verschiedenes zu fragen und mich mit ihm zu unterhalten. Eines Tages sagte ich ihm, ich kann mir in Deutschland keine Existenz schaffen und möchte wieder nach den Vereinigten Staaten zurückkehren. Darauf sagte er: ‚Amerika ist nur für Virtuosen aussichtsreich, nicht für einen stillen Musiker, bleiben Sie recht hübsch hier in Deutschland und trösten Sie sich damit, daß ich in meinen jungen Jahren in Altona und Hamburg für fünf Silbergroschen unterrichtete.‘
So habe ich denn mein Hierbleiben dem alten Meister zu verdanken. Eines Tages kam die Rede darauf, wie man die Jugend am besten zur Musik erziehe. Reinecke war der Ansicht, daß man vor allem die Vorklassik, Klassik und Romantik studieren und erst dann zur Moderne übergehen solle; denn – so schloß er drastisch – ‚man erzieht doch das Kind nicht mit Schnaps, sondern mit Milch.‘
Bei einer anderen Gelegenheit, als ich ihm in einer Unterrichtsstunde ein Andante für Streichquartett brachte, geriet der Meister in Feuer. Er fand in dem Andante eine große Aehnlichkeit mit der A-Moll-Sinfonie von Mendelssohn, die er mir am Flügel gleich vorspielte. Mit Begeisterung sprach er von Mendelssohn und setzte hinzu: ‚Schade, daß Mendelssohn so sehr vergöttert wurde, es wäre besser gewesen, er hätte wie ein Mozart, Beethoven, Wagner kämpfen müssen, dann würden wir jetzt wohl viel größere Werke von Mendelssohn besitzen, Fähigkeiten hat er im reichsten Maße gehabt.‘
Nach der ersten Aufführung (1904) der Sinfonischen Dichtung ‚Domestica‘ von Richard Strauß im Gewandhause unter Nikisch (es war damals für Leipzig eine große Sensation), kam der Meister ganz erregt von der Direktionsloge herunter. Ich fragte, wie ihm das Werk gefallen habe, darauf ein langes Stillschweigen, dann plötzlich: ‚Wissen Sie, wieviel Herr Strauß von seinem Verleger für dieses Werk bekommen hat? 40 000 Mk., soviel hat Beethoven für alle seine Werke nicht bekommen.‘
Die ganze Strecke, die ich ihn bis zur Querstraße begleitete, war die Rede von diesen 40 000 Mk. Und von Beethoven; dieser Idealist konnte sich eine solche Summe für ein Werk gar nicht vorstellen.
Sehr humorvoll erzählte Reinecke mir über Joh. Brahms’ Klavierspiel: ‚Bei einem Kammermusikabend im Gewandhause meldete Brahms sich an, er wolle in seinem Klavierquartett c-Moll op. 60 die Klavierpartie selbst spielen. Da diese ziemlich schwer zu spielen ist, war ich gespannt, wie Brahms sie beherrschen würde. Ich wendete am Konzertabend die Noten, aber mein Lieber, was dort geschrieben stand, spielte Brahms nicht, er schlug bei den schweren Stellen nur Akkorde an.‘
Ueber Nikischs Dirigentenkunst äußerte sich Reinecke: ‚Der Unterschied zwischen Slawen, Romanen und uns Norddeutschen ist, daß jene gleich mit Feuer auf die Bühne kommen, während wir uns nach und nach einwärmen müssen.‘
Eine wunderschöne Stunde verlebte ich bei ihm, als er mir seine Klaviersonatinen vorspielte und mit verschmitztem Lächeln sagte: ‚Ich kann mich gar nicht besinnen, wann ich Klavier zu spielen angefangen habe; ich weiß nur, daß ich mit fünf Jahren gut Sonatinen spielen und mit sechs Jahren komponierte, was aber mein Vater in den Ofen steckte.‘
Für unsre Arbeiterschaft wird es interessant sein, zu erfahren, daß auch ein Arbeiterchor sich an einem Ständchen für Meister Reinecke beteiligt hat. Als Verehrer meines Lehrers brachte ich ihm zweimal zum Geburtstag ein Ständchen in der Querstraße 14 mit vier Chören, darunter auch der Arbeiterchor ‚Rütli‘. Der greise Meister kam selbst die vier Etagen herunter und dankte mit herzlichen Worten.
Meine letzte Unterhaltung mit dem Meister war einige Wochen vor seinem Tode. Er sollte mit den Brüdern Wille aus Dresden ein Trio seiner eigenen Kompositionen spielen, und ich sagte ihm: ‚Wir freuen uns, den Meister zu hören!’ Da sagte er in aufgeregtem Tone: ‚Daß man mich spielen hören möchte, glaube ich, aber daß man meine Kompositionen hören will, das bezweifle ich.‘
Diese wenigen Worte werde ich nie vergessen, es lag sehr viel Bitterkeit darin, und ich glaube, mit einigem Mißtrauen gegen die Menschheit nahm er Abschied von dieser Erde.“
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Sehr interessant, lieber Autor, und der genannte ehemalige Schüler Reineckes, dessen Erinnerungen vor 100 Jahren in der LVZ standen, Sie werden es gewußt haben, war https://de.m.wikipedia.org/wiki/Barnet_Licht