Personen und Ereignisse, Traditionen, Bauwerke und anderes Erinnerungswรผrdiges, mehr oder minder in Vergessenheit geraten oder unterhalb der รถffentlichen Wahrnehmung โ€“ sie stehen im Mittelpunkt dieser Serie. Diesmal in โ€žMemoriaโ€œ: Leipzig und das Militรคr. Garnison Leipzig (aus altfranzรถsisch garnison fรผr Besatzung, Ausrรผstung) ist die Bezeichnung fรผr die Stadt Leipzig als stรคndiger Standort fรผr militรคrische Verbรคnde, Truppenteile, Einheiten, Teileinheiten, militรคrische Dienststellen und fรผr das Militรคr geschaffene Einrichtungen.

Auch werden die dortigen militรคrischen Formationen als Garnison Leipzig bezeichnet. Kasernen in Leipzig sowie weitere fรผr Militรคrzwecke errichtete Funktionsgebรคude wurden ab 1875 gebaut und ab 1877 genutzt. Nach der Niederlage der Sรคchsischen Armee im Krieg von 1866 wurde Leipzig nach Dresden zweitwichtigster Garnison-Standort im Kรถnigreich Sachsen.

Die Stationierung von Streitkrรคften bestimmte das Leben in der Stadt seitdem ohne Unterbrechung mit. In Leipzig entstand bis 1914 ein groรŸrรคumiges Kasernengelรคnde. Zeitweise waren in Leipzig rund 8.000 Militรคrangehรถrige untergebracht.

Vorgeschichte

Leipzig war aufgrund eines kurfรผrstlichen Privilegs von der Stationierung von Truppen befreit. Nur in der PleiรŸenburg gab es eine kleine Schlosswache und ab 1830 eine kleine kรถnigliche Garnison. Leipzig wollte die PleiรŸenburg, die nicht Eigentum der Stadt war, aus verkehrstechnischen und hygienischen Grรผnden abreiรŸen. Daher gab es ab Mitte der 1860er Jahre immer wieder Streit wegen der PleiรŸenburg zwischen der Stadt und dem sรคchsischen Kriegsminister Alfred von Fabrice.

PleiรŸenburg um 1780 (H.-P. Haack, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5078918)
Die PleiรŸenburg um 1780 (H.-P. Haack, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5078918)

Nach Einweihung der Kaserne Mรถckern ging allmรคhlich die jahrhundertelange militรคrische Nutzung der PleiรŸenburg zu Ende. Die Stadt Leipzig erwarb sie 1895 vom Kรถnigreich Sachsen, riss sie ab 1897 ab und errichtete auf dem Grundstรผck zwischen 1899 und 1905 ihr neues Rathaus unter Leitung von Hugo Licht.

Voraussetzung fรผr den Kauf war der Bau einer Kaserne fรผr das Infanterieregiment 107. Das Kรถniglich-Sรคchsische Kriegsministerium entschied sich in den frรผhen 1870er Jahren fรผr den ersten Kasernenbau einen sanft abfallenden Hรถhenrรผcken an der StraรŸe nach Halle (Saale) zwischen Mรถckern und Gohlis.

Diese Entscheidung wurde Ausgangspunkt fรผr weitere Kasernenansiedlungen in Gohlis. Gohlis wurde 1890 und Mรถckern 1910 nach Leipzig eingemeindet.

Geschichte

In Leipzig stand ab 1869 das Kommando der 24. (2. Kรถniglich Sรคchsischen) Division des deutschen Heeres. In Mรถckern (ab 1875) und Gohlis (ab 1883) wurde bis 1914 der damals zweitgrรถรŸte Kasernenkomplex Sachsens errichtet.

Als 1875 eine Kaserne fรผr das Infanterieregiment 106 gebaut werden sollte, bestimmte Fabrice gegen alle Vorschlรคge der Stadtverwaltung Leipzig das Dorf Mรถckern zum Standort โ€“ fernab jeglicher Infrastruktur. Dieser Bau wurde Grundlage dafรผr, dass alle weiteren militรคrischen Bauten im Norden von Leipzig entstanden.

1880 wurde eine Barackenkaserne fรผr das Infanterieregiment 134 auf dem Exerzierplatz Gohlis errichtet. Dieser โ€žExerโ€œ lag auf Leipziger Gebiet etwa zwischen dem Chausseehaus, dem Nordplatz, dem Kickerlingsberg und der EhrensteinstraรŸe.

Ab 1895 begann der Bau eines Kasernenkomplexes entlang der heutigen OlbrichtstraรŸe. Diese im Verlaufe des Kasernenbaus angelegte StraรŸe gehรถrt zu Gohlis, die westlich angrenzenden Kasernen zu Mรถckern. Da der Ortskern Mรถckern nicht allzu nah an den Kasernen lag und der Weg รผber die Landsberger StraรŸe fรผhrte, wurden die Kasernen fรคlschlicherweise als Gohliser Kasernen bezeichnet.

Von 1895 bis 1897 entstanden auf Kosten der Stadt (teilweise verrechnet mit der Summe von 2,5 Millionen Mark, die Leipzig mit dem Kรถnigreich Sachsen als Kaufpreis fรผr die PleiรŸenburg ausgehandelt hatte):
โ€ข die Kaserne des Infanterieregiments 107 (Prinz Johann Georg Kaserne, OlbrichtstraรŸe/Ecke LiebermannstraรŸe),
โ€ข die Kaserne des Ulanenregiments 18 (Kรถnig-Albert-Kaserne, OlbrichtstraรŸe/Landsberger StraรŸe),
โ€ข das Divisionsgericht mit Militรคrgefรคngnis (sรผdliche OlbrichtstraรŸe/Ecke LiebermannstraรŸe),
โ€ข die Garnisonsverwaltung und
โ€ข das Proviantamt.
โ€ข Die Kaserne des Trainbataillons 19 (Werk Motor) folgte um die Jahrhundertwende.

Auch entstanden die ersten Militรคrbauten auf Gohliser Flur:
โ€ข die Kaserne fรผr das Artillerieregiment 77 am Viertelsweg,
โ€ข das Bekleidungsamt an der HeerstraรŸe (OlbrichtstraรŸe) und
โ€ข das Artilleriedepot an der HeerstraรŸe (OlbrichtstraรŸe).

Einstiges Bekleidungsamt Heer- /Planitz-StraรŸe, jetzt Wohnungen (Appaloosa, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8586708)
Einstiges Bekleidungsamt Heer- /Planitz-StraรŸe, jetzt Wohnungen (Appaloosa, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8586708)

Die Stadt war fรผr die Unterbringung eingezogener Reservisten und durchziehender Truppen verantwortlich, was jรคhrlich groรŸe Summen kostete. Daher wurden Einquartierungshรคuser an der Landsberger StraรŸe (Endstelle der StraรŸenbahnlinie 6) errichtet.

Standorte

Die wichtigsten Garnisons-Standorte in Leipzig waren die Kaserne Mรถckern, die Theodor-Kรถrner-Kaserne und General-Olbricht-Kaserne

Die Kaserne am Viertelsweg hieรŸ zeitweise Viertelsweg-Kaserne, Planitz-Kaserne und Adolf-Hitler-Kaserne. In den 1920er Jahren wurde sie von der Reichswehr zur Unterbringung untergeordneter Behรถrden genutzt und auch zum Teil verpachtet. Wรคhrend der Aufrรผstung der Wehrmacht zogen dort 1935 Teile eines Artillerieregiments ein. Die Kaserne beherbergte im Zweiten Weltkrieg die Standortkommandantur.

Zwischen Kroch-Siedlung und heutigem Stadion des Friedens wurde 1934/35 eine Kaserne errichtet und Mitte Oktober 1935 als Hindenburgkaserne รผbergeben. Ab 1937 als Nachrichtenkaserne genutzt, wurde sie nach dem Zweiten Weltkrieg von der Sowjetarmee รผbernommen und bis 1992 genutzt. Ab 2017 wurde das Areal saniert und zum Wohngebiet umgestaltet.

Weitere Bauwerke

Als erster militรคrischer Bau entstand in Gohlis die Militรคrwรคscherei in der heutigen StallbaumstraรŸe. Nรถrdlich des Viertelswegs gab es auf der รถstlichen Seite der OlbrichtstraรŸe ab 1901 das Bekleidungsamt des Heeres mit sechs Klinkergebรคuden. Ab 1945 wurde das Gelรคnde grรถรŸtenteils von der Sowjetarmee genutzt, die dort mutmaรŸlich ein Feldpostamt betrieb. An seinem รถstlichen Rand nutzten das Leipziger Arzneimittelwerk und die Stadtwerke Leipzig Teile des Areals. Ab 2008 wurde es zum Wohngebiet โ€žKaisergรคrtenโ€œ.

Von 1908 bis 1914 gab es an der heutigen Hans-Oster-StraรŸe ein Soldatenheim mit preisgรผnstigen Mahlzeiten und Freizeit-Angeboten. Ab 1920 รผbernahm die evangelische Kirche das Haus und nutzte es anderweitig.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Von 1945 bis Beginn der 1990er Jahre nutzte die Rote Armee (ab 1946 Sowjetarmee) den westlich der OlbrichtstraรŸe gelegenen Kasernenbereich. Der รถstliche Bereich beherbergte ab 1945 eine Volkspolizeibereitschaft, dann Kompanien der Kasernierten Volkspolizei (KVP) und ab 1956 Einheiten der Nationalen Volksarmee (NVA).

Ab 1957 hatte dort der Militรคrbezirk III (MB III) der NVA seinen Sitz, dessen Kommando Befehlshoheit รผber militรคrische Einrichtungen der Landstreitkrรคfte der DDR in den acht sรผdlichen Bezirken der DDR (heute: Thรผringen und Sachsen sowie sรผdliche Bereiche Sachsen-Anhalts und Brandenburgs) hatte.

1990 รผbernahm die Bundeswehr das Areal bis 2007 und gab der Kaserne 1993 den Namen โ€žTheodor-Kรถrner-Kaserneโ€œ. Ursprรผnglich sollte sie nach Leipzigs einstigem Oberbรผrgermeister Carl Goerdeler benannt werden, der zu den Mรคnnern und Frauen des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944 gehรถrte.

1992 hatte die Sowjetarmee das Areal an der OlbrichtstraรŸe gerรคumt, die Gebรคude wurden zu Wohnhรคusern und Seniorenresidenzen umgestaltet.

Misshandlung und Selbstmord im Militรคrdienst

Neben Militรคrdrill erlebten viele Soldaten Drangsalierungen, ihre Behandlung war in Leipzigs Kasernen oft erniedrigend und menschenverachtend. So wurden von 1873 bis 1898 in Leipzigs Truppenteilen 260 Vorgesetzte wegen grober Soldatenmisshandlungen bestraft. Von 1889 bis 1900 begingen 60 junge Mรคnner Suizid. Aus spรคteren Zeiten liegen keine derartigen Zahlenangaben vor.

StraรŸenbau und mehr

Eine der Hauptaufgaben wรคhrend und kurz nach der Errichtung der Kasernen war der StraรŸenbau. Es entstanden auf Drรคngen des Militรคrs und zum Teil mit dessen finanzieller Hilfe die HeerstraรŸe (OlbrichtstraรŸe), die TrainstraรŸe (Fr.-Reuter-Str.) und die TreitschkestraรŸe (J.- Schehr-Str.). Der Tauchaer Weg und die PlanitzstraรŸe (Viertelsweg-Teilabschnitt vor der Kaserne) wurden ausgebaut. Fรผr die Soldaten war die wohl wichtigste Verbesserung der Bau der StraรŸenbahn bis zur heutigen Endstelle der Linie 6.

Das Hauptportal der Kaserne Mรถckern, heute Zentrale der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland (Freddo213, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=118328655)
Hauptportal der Kaserne Mรถckern, heute Zentrale der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland (Freddo213, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=118328655)

Am 1. Januar 1921 wurden im Norden Leipzigs der Stab, das 11. und 111. Bataillon sowie die Minenwerferkompanie des Infanterieregiments 11 aufgestellt. Gleichzeitig formierte sich in der ehemaligen Trainkaserne (spรคter bekannt als โ€žWerk Motorโ€œ) die 3. Kompanie der Kraftfahrabteilung 4.

Die Kaserne an der heutigen Georg-Schumann-StraรŸe stand รถfter im Blickpunkt der ร–ffentlichkeit. Dort waren zeitweise sechs bis neun Polizeibereitschaften untergebracht, die die Leipziger wegen ihrer Uniformen โ€žGrรผneโ€œ nannten. Das war die kasernierte Polizei mit Beamtenstatus, die neben Wachaufgaben in รถffentlichen Gebรคuden auch fรผr รถffentliche Veranstaltungen, Demonstrationen und Kundgebungen eingesetzt wurde. Sie war wegen ihres rigorosen Vorgehens berรผchtigt.

Einst war der Bau einer evangelischen Garnisonskirche und einer katholischen Kapelle geplant. Beide sollten auf dem freien Platz vor der Kaserne der 107er entstehen (Armeestadion). Sie wurden jedoch wegen Geldmangels in Vorbereitung des Ersten Weltkrieges nie gebaut.

Nach dem Ende der Theodor-Kรถrner-Kaserne am 30. September 2007 wurde das Areal von einem Immobilienentwickler zum Wohnquartier โ€žSiebengrรผnโ€œ umgestaltet. Ab 2017 wurde dort das 1980 errichtete, siebengeschossige einstige Stabsgebรคude des MB III zum Wohn- und Geschรคftshaus umgestaltet.

Alle sechs einst militรคrisch genutzten Areale in Gohlis werden nicht mehr von der Bundeswehr genutzt; von den Kasernen in Mรถckern lediglich die General-Olbricht-Kaserne.

Bundeswehr-Nutzung

In Leipzig gab es darรผber hinaus folgende militรคrische Einrichtungen der Bundeswehr: Liegenschaft BahnhofstraรŸe 86 (aufgegeben 2015), Fachsanitรคtszentrum Leipzig โ€“ Teileinheiten BahnhofstraรŸe (Zsan), Bundeswehrkrankenhaus Leipzig (Zsan), Theodor-Kรถrner-Kaserne (aufgegeben 2007), 13. Panzergrenadierdivision (H), 9./Feldjรคgerregiment 1 (SKB), Kaserne Mรถckern/Georg-Schumann-Kaserne (aufgegeben 1991) sowie die Kaserne Schรถnau (aufgegeben 1991).

Mit den SchlieรŸungen der anderen โ€“ auch sowjetischen โ€“ Kasernen ist die General-Olbricht-Kaserne der einzig verbliebene Militรคrstandort in Leipzig.

Alle vorherigen Kasernen wurden entweder gleich nach Nutzungs-Ende der Gelรคnde umgewandelt (Georg-Schumann-Kaserne, jetzt Sitz der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland und der Agentur fรผr Arbeit Leipzig) oder befanden sich nach langer Zeit des Verfalls im Umbau zur Nachnutzung (u. a. Kaisergรคrten, Parc du Soleil, Quartier Siebengrรผn, Werk Motor).

Leipzigs Militรคrgeschichte als Garnison ist ein vielschichtiger Bestandteil der stรคdtischen Wirtschafts-, Sozial- und Alltagsgeschichte.

Literatur-Tipp: Dieter Kรผrschner: Leipzig als Garnisonsstadt 1866โ€“1945/49. Aus dem Nachlass herausgegeben von Ulrich von Hehl und Sebastian Schaar, Universitรคts-Verlag, Leipzig 2015, ISBN 978-3-86583-907-7

Leipziger Garnison auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Garnison_Leipzig
Die Kaserne Mรถckern auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Kaserne_M%C3%B6ckern
Die Theodor-Kรถrner-Kaserne auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Theodor-K%C3%B6rner-Kaserne_(Leipzig)
Die General-Olbricht-Kaserne auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/General-Olbricht-Kaserne

Empfohlen auf LZ

So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:

Keine Kommentare bisher

Erstmal ein groรŸes Dankeschรถn an Herrn Zรผrch fรผr diesen Text und fรผr Reihe, fรผr ich โ€“ genau wie seine Serie รผber die Kirchen โ€“ immer wieder gern lese, weil sie fundierte und angenehm ideologiefreie Texte liefert.
Was mich รผberrascht, um nicht zu sagen geschockt hat, ist die hohe Zahl an Disziplinarvergehen durch Vorgesetzte und die vielen Selbstmorde. Gibt es da deutschlandweite Statistiken aus der Zeit, um das einzuordnen? Wenn anderswo auch nur annรคhernd so viele Vorgesetzte bestraft wurden bzw. Soldaten Suizid begingen wรคren das enorme Zahlen. WeiรŸ da jemand mehr?

Schreiben Sie einen Kommentar