Am 22. April wurde er vor 300 Jahren – 1724 – in Königsberg geboren. Die Zeitung „Leipzig“ vom 1. August 1809 brachte über Kant bereits einen längeren Gedenkartikel „Etwas über Immanuel Kant“. Daraus erfährt man unter anderem Folgendes: „Das Collegium Fridricianum stand damals in dem Ruf einer allgemeinen Sittlichkeit, und deswegen trug der Vater kein Bedenken, seinen Sohn Immanuel in diese Anstalt zu bringen.
Aber nach Kants eigener nachheriger Meinung mögen auf diesem Institut Despotismus, strenger Zwang, steife Pedanterey sehr geherrscht haben, denn Furcht und Bangigkeit wandle ihn an, sagt er selbst, wenn er an dieß Leben zurückdächte. Doch diese Erziehungsart hatte auf unseren Kant weiter keinen nachtheiligen Einfluß. Er zeichnete sich vielmehr vor Allem durch ein eisernes Gedächtniß, anhaltenden Fleiß und hellen Verstand aus. … Schon in seiner frühen Jugend leuchtete aus seinen Arbeiten männlicher Ernst, Kraft des reiferen Alters, Tiefsinn und Lebhaftigkeit hervor.“
1924 gab es dann, jedenfalls auch in Leipzig, ein erstes fulminantes Gedenken an den Philosophen.
Da brachte die LVZ am 22. April auf einer ganzen Feuilleton-Seite einen ausführlichen Aufsatz des Sozialphilosophen Max Adler (1873–1937) mit der einleitenden Bemerkung: „An jenem Tage begann in diesem äußersten Winkel der damaligen europäischen Kultur und in einem zeitlebens schwach und ärmlich bleibenden Körper jenes wunderbar reiche Leben, dessen gewaltigen Gedankenstrom schon die Zeitgenossen staunend als eine Weltwende des Geistes empfanden und dessen ganzer Inhalt auch heute noch … nicht ausgeschöpft ist“.
Ein lesenswerter Text, der das Verständnis für Leben und Werk des Immanuel Kant in verständlicher Weise einem breiten Leserkreis näherbringen sollte. Damals.
Ein Geburtstag in Königsberg nach 200 Jahren
In Königsberg selbst begann das Gedenken am „Karsamstag“ (19. April 1924) mit einer Festsitzung der 1904 auf Betreiben von Hans Vaihinger (1852–1933) aus Halle/Saale gegründeten deutschen Kantgesellschaft mit drei Vorträgen im Friedrichskollegium.
Am Ostermontag ernannte diese auf einer geschäftlichen Sitzung vier Persönlichkeiten zu Ehrenmitgliedern, darunter aus Halle/Saale den Dr. med. h.c. Gottfried Meyer, der sich als Kurator und 1. Vorsitzender (bis 1928) besonders um das Archiv der Kantgesellschaft verdient gemacht hatte. In der anschließenden öffentlichen Festsitzung kam auch Prof. Hans Driesch zu Wort. Er zeigte, dass Kant den Geist der Ganzheit wohl schon vorausahnte, der nun jetzt im philosophischen Verständnis des Vortragenden „eine zentrale Rolle spielt“.
Der fachwissenschaftlichen Arbeit des Sonntags folgte am Ostermontag gegen 12 Uhr im Königsberger Dom eine Festversammlung mit viel Prominenz aus nah und fern und einer Festrede des Berliner Professors von Harnack.
Aus dem Dom zog dann die Festversammlung auf den Domhof, wo sich in einer Ecke das neugeschaffene Grabmal Immanuel Kants, ein Säulentempel erhebt, das nach einem Entwurf von Prof. Larsch aus Königsberg errichtet worden war. Der Oberbürgermeister Dr. Lohmeyer wies bei der Übernahme der Kapelle auf das wechselvolle Schicksal des Kant-Grabes hin und bezeichnete dieses nun als Denkmal sittlicher Freiheit, dem Toten zum ehrenden Gedächtnis, den Lebenden zur Mahnung, sich in das Wesen und Wirken Kants hineinzudenken.
Auf der Gedenkfeier der Albertus-Universität im Königsberger Stadttheater am Dienstag versprach der preußische Kultusminister Dr. Otto Boelitz, Kant werde in der neuen preußischen Schule neben den anderen großen Erziehern des Volkes und der Menschheit leben und wirken.
Denn der Philosophie sei endlich in der höheren Schule eine Stätte bereitet. Die momentane Realität allerdings vermittelte der sich anschließende und letzte Vortrag der Veranstaltung, gehalten von Staatssekretär Prof. Dr. Becker über „Kant und die Bildungskrise der Gegenwart“.
Es gab „nur“ geistige Beziehungen mit Leipzig
Immanuel Kant hat nie sächsischen Boden betreten und die Beziehungen zwischen ihm und Leipzig waren rein geistige. Da wäre zunächst der in Leipzig wirkende Philosoph und Theologe Christian August Crusius (1715–1775) zu nennen, der starken Einfluss auf Kant ausgeübt haben soll, und Kant selbst hatte dessen Schriften in seiner Bibliothek aufbewahrt.
Im Jahre 1896 erschien in der „Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane“ des Leipziger Verlages der Gebr. Gerhardt von Dr. phil. Max Brahn: „Die Entwickelung des Seelenbegriffes bei Kant“. Brahn, der 1895 an der Universität Heidelberg mit dieser Arbeit seinen akademischen Titel erworben hatte, arbeitete nun am Leipziger Institut für experimentelle Psychologie unter Leitung von Prof. Dr. Wilhelm Wundt, der ihn auf das neue Forschungsfeld „Affekte und Gefühle“ orientierte.
Das 1781 erschienene Hauptwerk von Kant, die „Kritik der reinen Vernunft“ gab manche Anregungen auch für zwei weitere Leipziger Geistesgrößen: Johannes Volkelt und Hans Driesch.
Der Geh. Hofrat Prof. Dr. phil. et theol. Johannes Volkelt (1848–1930) hatte bezüglich Kant schon zwei Arbeiten veröffentlicht: „Kants kategorischer Imperativ und die Gegenwart“, Wien, 1875, und „Kants Erkenntnistheorie“, Leipzig 1879, sowie seine im Mai 1924 gehaltene Rede „Kants Philosophie des Unbedingten“ – sie stand im Mittelpunkt der Kant-Feier der Universität Leipzig.
Werfen wir einen Blick in die Rede des Seniors der Leipziger Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig, Prof. Dr. em. Johannes Volkelt, die seinerzeit gleich von zwei Leipziger Blättern, der „Neuen Leipziger Zeitung“ und dem „Leipziger Tageblatt“, in ihren Ausgaben am 12. Mai 1924 als ein Höhepunkt der Feier bezeichnet wurde. Volkelt begann mit dem Jahr 1781 als Erscheinungsjahr zweier „revolutionierender und doch ihrem Wesen und ihrer Wirkung nach so grundverschiedene Werke“, Schillers Drama „Die Räuber“ und Kants „Kritik der reinen Vernunft“.
Diese Wirkung des Werkes von Kant läge darin, „daß mit dem Erscheinen seines Hauptwerkes die von ihm selbst so genannte ‚Kopernikanische Wendung‘ im philosophischen Denken eintrat: wie seit Kopernikus für uns nicht mehr die Erde im Mittelpunkt unseres Planetensystems steht, sondern die Sonne, so hängt für uns seit Kant unser Wissen nicht mehr davon ab, wie die Dinge sich uns zu erkennen geben, sondern davon, wie wir sie in unserem denkenden Erkennen aktiv formen.“
Die Vernunft gebe ihr „Verlangen nach Erkenntnis des Wirklichen, des Unbedingten, niemals auf – trotz aller kritischen Einschränkung ihrer Möglichkeiten. Um diesen Gedanken kreist Kants Denken, … unermüdlich; er ist stetiger Absporn seines Denkens, aber auch der Ursprung schwerer denkerischer Konflikte. Kant ist eben keineswegs eine unkomplizierte philosophische Natur.
In der ‚Kritik der praktischen Vernunft‘ zeigt Kant, wie uns im Pflichterlebnis das Sittengesetz offenbar wird, das uns als kategorischer Imperativ mahnt. In dieser moralischen Gewißheit aber werden wir uns zugleich unserer Zugehörigkeit zum Unbedingten, zum Reiche der Freiheit bewußt. Über dem Tor zu diesem Reich stehen die drei großen Worte: Gott, Freiheit, Unsterblichkeit. Wissenschaft ist dies nicht mehr.
‚Ich mußte das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen‛, sagt Kant selbst. So mündet seine Philosophie zuletzt im Unbegreiflichen, in der Metaphysik, in religiöser Haltung.
Der Redner wies auf die ungeheure Bedeutung hin, die Kants Ethik vor 100 Jahren besaß, und gab dem Wunsche Ausdruck, sie möge auch zu dem geistigen und moralischen Wiederaufbau beitragen, der jetzt so sehr nottut.“
Der zweite hier zu nennende Gelehrte war Prof. Hans Driesch (1867–1941), bis Juni 1921 Ordinarius der Philosophie an der Kölner Hochschule, dann Nachfolger von Johannes Volkelt (der weiter Vorlesungen hielt) als Direktor des Philosophischen Seminars an der Universität Leipzig.
Driesch schrieb in den „Kantstudien“ Bd. 16, 1911, 22 ff. über „Die Kategorie der ‚Individualität‛ im Rahmen der Kategorienlehre Kants“. Offenbar angeregt vom Alterswerk Kants, von seiner Überzeugung von der Gleichheit aller Menschen (1793, „Kritik der Urteilskraft“, 1795, „Zum ewigen Frieden“) sei noch erwähnt der Vortrag von Driesch am 26. März 1925 im Kammermusiksaale des Leipziger Zentraltheaters über das Thema: „Rasse und Menschheit. Können Juden und Nichtjuden in einem Staate nebeneinander leben, oder ist dies ohne Schaden für einen der beiden Teile nicht möglich?“
Sein Standpunkt: „Wenn die ganze Menschheit durchaus in kultureller und ethischer Hinsicht gleichgeartet ist, kann es nur lächerlich sein, wenn dem Juden diese Gleichwertigkeit abgesprochen werden soll. Alle Vorwürfe, die in dieser Hinsicht dem semitischen Menschenschlag gemacht worden sind oder noch gemacht werden, können leicht aus der Geschichte widerlegt werden.
Die Einheit in der Mannigfaltigkeit der Menschheit läßt sich nicht verleugnen. Sie sollte anstatt gehindert, eher gepflegt werden. Das Zusammenleben von Juden und Nichtjuden ist für die Unvoreingenommenen ein ethisches Postulat, da beide Teile gleichen Wesens sind“, nachlesbar im Leipziger Stadtarchiv in der „Neuen Leipziger Zeitung“ v. 28.03.1925, S. 6.
Und nicht zu vergessen ist der Leipziger Buchhandel! Hier hat besonders der Reclam-Verlag dazu beigetragen, die Werke des Immanuel Kant unter seiner zahlreichen Leserschaft zu verbreiten.
Die Kantfeier in Leipzig
Abschließend sei noch die Kantfeier im großen Saale des Stadtgeschichtlichen Museums in Leipzig erwähnt, wo zu Ehren dieses 200. Geburtstages eine Sonderausstellung „Kant und Leipzig“ zu sehen war, die neben den Schriften Kants und ihren Ausstrahlungen nach Leipzig eine Reihe interessanter Dokumente, Briefe des Königsberger Philosophen, Niederschriften seiner Universitätsvorlesungen und die Werke und Gaben seiner Gedankenwelt enthielt.
Die Feier selbst leitete Museumsdirektor Dr. Friedrich Schulze mit einem Vortrag über die Beziehungen Leipzigs und der Leipziger Universität zu Kant und seinen Lehren ein und erinnerte daran, wie gerade die führenden Geister des wissenschaftlichen und literarischen Lebens in Leipzig im 18. Jahrhundert aufs innigste mit dem Geiste Kants in Berührung gestanden haben. Anwesend waren auch der Oberbürgermeister Dr. Karl Rothe und Prof. Johannes Volkelt.
Kant-Ehrungen 1974
Der 4. Internationale Kant-Kongress, veranstaltet anlässlich des 250. Kant-Geburtstages von der Kantgesellschaft unter Leitung seines Präsidenten Gerhard Funke, fand in Mainz vom 6. bis 10. April 1974 in den Räumen des Kurfürstlichen Schlosses ohne Beteiligung von Vertretern aus der DDR statt.
Wie es in einem Kongress-Bericht von Hans Tietze, Wettingen, heißt, „wurde eine große Anzahl von Beiträgen geboten. Dies bedingte eine Begrenzung der jeweiligen Vortragszeit in den Sektionssitzungen. Die Klarheit der Ausführungen mußte dadurch leiden und sie führte zu manchen Mißverständnissen. Diesem Überstand hat die Kongreßleitung dadurch abhelfen wollen, daß die Beiträge (für die Symposien und Sektionssitzungen) ungekürzt vorher veröffentlicht und den angemeldeten Teilnehmern zugesandt worden waren.
Es ergab sich dadurch ein dreibändiges Werk (ohne Hauptvorträge) von etwa 1300 Seiten (!), die in den zur Verfügung stehenden drei bis vier Wochen unmöglich durchgearbeitet werden konnten, selbst wenn man sich darauf beschränkte, die Beiträge nur derjenigen Sektionen zu lesen, die man besuchen wollte. Die Tagung war international, was eine Mehrsprachigkeit der Beiträge bedingte, die nicht durch eine Simultananlage verdolmetscht wurden. Die Internationalität des Kongresses war dabei leider nur unvollkommen.“
Auf Vorschlag der DDR erklärte die Spezialorganisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kunst den 250. Geburtstag Immanuel Kants zum UNESCO-Gedenktag.
Anlässlich des 250. Kant-Geburtstages gab die DDR am 8. März 1974 eine von Wilfried Fitzenreiter und Axel Bertram geschaffene 20-Mark Gedenkmünze heraus.
P.S.: Seit 1884 trägt auch eine Straße in der Leipziger Südvorstadt den Namen des Königsberger Philosophen. Und seit 1995 trägt auch das Gymnasium in der Scharnhorstraße 15 den Namen Immanuel-Kant-Schule. Dort wird der 300. Geburtstag des Namensgebers natürlich auch auf vielerlei Weise gefeiert.
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