Aktuell wird ja gern alles Mögliche über die Aufklärung behauptet. Was sie bewirkt und wo sie scheinbar Schaden angerichtet hat. Doch ein zentrales Kennzeichen der Aufklärung war immer auch der öffentliche Streit. Das gemeinsame Suchen nach einer besseren Erkenntnis der Welt. Dass es unter den Leuten, die sich seinerzeit in den Streit warfen, auch bereits Dogmatiker gab, die ihre Position für nicht hinterfragbar hielten, das thematisierte damals schon ein Mann namens Friedrich Heinrich Jacobi.

Die Sächsische Akademie der Wissenschaften (SAW) zu Leipzig hat nun ein Online-Wörterbuch veröffentlicht, welches Begriffe aus dem Denken und Schaffen des bedeutenden Philosophen, Dichters, Schriftstellers und Wirtschaftsreformers Friedrich Heinrich Jacobi (1743–1819) im Kontext seiner Zeit erläutert. Das Wörterbuch ist als Arbeitsinstrument für Forscherinnen und Forscher verschiedener Disziplinen gedacht, die sich Fragestellungen jener Epoche widmen.

Aber man kann es auch einfach als neugieriger Mensch lesen, denn die einzelnen Aufsätze führen einen direkt hinein in durchaus spannende Diskussionen, die tiefer und gründlicher sind als das, was heutige Talkshow-Philosophen gern so von sich geben.

Die Beiträge berühren nicht nur die Philosophie, sondern auch andere Geisteswissenschaften sowie die politische Ökonomie. Derzeit sind über 100 Begriffe aufrufbar, bis 2027 sind 400 geplant. Das Wörterbuch ist ein Modul des Akademienvorhabens „Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel. Text – Kommentar – Wörterbuch Online“.

Friedrich Heinrich Jacobi

Friedrich Heinrich Jacobi (1743–1819), Philosoph, Romanautor und erster Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, gehört zu den bedeutendsten Gestalten der klassischen deutschen Philosophie.

Umfassend belesen und mit der intellektuellen Prominenz der Zeit bekannt und befreundet, war Jacobi kein Philosoph einer Schule, sondern „Philosoph von Profession“, der als weltgewandter Homme de lettres sein Haus in Pempelfort zu einem geistigen Zentrum seiner Zeit entwickelte und neben seinem Werk das reichste Korrespondenzcorpus der Epoche hinterlassen hat.

„Mit seinen grundlegenden Problemanalysen, die zunächst der Metaphysik Spinozas und der Transzendentalphilosophie Kants gewidmet waren, wurde Jacobi zum ‘mit Kant gleichzeitigen Reformator in der Philosophie’ (Fichte) und zum ‚Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit‘ (Hegel), der der Ausbildung der Philosophie um 1800 in allen ihren Strömungen einen neuen Denk- und Sprachraum eröffnet hat“, beschreibt die SAW die streitbare Rolle, die Jacobi in seiner Zeit einnahm.

„Als ‚privilegierter Ketzer‘ (JWA 2,1: 198) hat er die zeitgenössische Diskussion zugleich vorangetrieben und insbesondere die nachkantische Systemphilosophie mit seiner radikalen Systemkritik im Interesse personaler Freiheit konfrontiert.

Beginnend mit der bahnbrechenden, die sogenannte Spinoza-Renaissance auslösenden Publikation der Spinozabriefe (1785/²1789) war Jacobi maßgeblich an den drei wichtigsten Streitsachen der klassischen deutschen Philosophie beteiligt: dem Spinozastreit (1785–1789), dem Atheismusstreit (1799) und dem Theismusstreit (1811/12). Mit seinen Romanen ‚Allwill‘ und ‚Woldemar‘ hat er nicht weniger als die ersten philosophischen Romane in deutscher Sprache vorgelegt. In seiner Zeit als Wirtschaftspolitiker (1772–1779) hat sich Jacobi zudem bedeutende Verdienste als Wirtschaftsreformer und -theoretiker erworben.“

Jabobi und die Suche nach Erkenntnis

Nicht abschrecken lassen darf man sich dadurch, dass die einzelnen Artikel längere Zeit brauchen, bis sie geladen haben. Aber man stößt dabei auf so wichtige Debatten wie die um Glaube, Vernunft oder Vorurteil. Nicht ganz grundlos hat Jacobi auch die Aufklärungsliteratur aus Frankreich und England rezipiert.

Unter dem Thema Vorurteil hat er sich – ganz ähnlich intensiv wie Kant – mit der Frage beschäftigt, wie wir überhaupt zu Urteilen kommen. Kant kritisierte ja bekanntlich aus gutem Grund den so viel zitierten „gesunden Menschenverstand“, der aber nun einmal zumeist aus lauter Vor-Urteilen besteht. Viele Aufklärer widmeten sich in dicken Schriften der Entlarvung von Vorurteilen.

Und sahen dabei oft den Balken im eigenen Auge nicht.

Denn jedes Urteilen ist an Bedingungen geknüpft. Auch die Bedingung, dass wir stets aus der Position unserer eigenen Subjektivität urteilen. Und dabei auch gern vergessen, dass Vor-Urteile auch unser Leben in der Gesellschaft konstituieren. Ein Punkt, den Jacobi ganz dringend anmahnte.

Wie komplex das Thema „Vorurteil“ ist, kann man in Stefan Schicks Beitrag nachlesen, der exemplarisch dafür steht, wie sich die Autor/-innen des Wörterbuchs an Jacobis Positionen annähern, indem sie ihn – zitatenreich – in die Diskussionen seiner Zeit einordnen.

Man bekommt so nebenher auch gleich noch ein Bild davon, dass die Aufklärung – auch die deutsche Aufklärung – kein monolithischer Block war, in dem am Ende nur noch eine Position galt. Gerade weil sich die besten Streiter intensiv Gedanken machten über die Bedingtheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit, steht am Ende kein absolutes Urteil, sondern eine Haltung, die bis heute gelten sollte – aber eben viel zu selten gilt: Das eigene Denken und Meinen immer wieder neu zu hinterfragen.

Über 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im In- und Ausland arbeiten am Wörterbuch mit. Das Kompendium ist unter https://jwo.saw-leipzig.de/ kostenlos verfügbar und wird stetig ergänzt.

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