Kirchenbauwerke gehören zu vielen Ortschaften. Sie sind bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke. Die Gotteshäuser haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Ihre Zukunft ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden.
Doch es gibt auch Ausnahmen – so etwa im Erzgebirge: Hier das Porträt der Kirche, die nach Kriegsbeschädigung mit Ausdauer, Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit mehr als 45 Jahre lang Schritt für Schritt bewahrt und erhalten werden konnte – und wieder in alter Schönheit erstrahlt.
Die St.-Wolfgangs-Kirche in Schneeberg zählt zu Sachsens größten Hallenkirchen der Spätgotik. Sie entstand zu Beginn des 16. Jahrhunderts auf Teilen eines kleineren Vorgängerbaus und gilt als früher Typus eines reformatorischen Kirchengebäudes. Wegen ihres dominanten Standorts auf der Kuppe des Schneeberges, der in vergangenen Jahrhunderten für den Erzabbau aus Gruben und Stollen durchörtert worden war, wird sie auch als Bergmannsdom bezeichnet.
Baugeschichte
Nachdem im Jahr 1478 eine kleine Feldsteinkirche auf dem Berg geweiht wurde, plante Kurfürst Friedrich der Weise wenige Jahre später einen monumentalen Neubau der St.-Wolfgangs-Kirche – das Gotteshaus sollte die St.-Annen-Kirche in Annaberg übertreffen.
Die Pläne schufen Hans Meltwitz und Fabian Lobwasser. Die Bürger, besonders die Besitzer der Bergwerke, finanzierten den aufwändigen Kirchenneubau, indem sie ab etwa 1480 von jedem fündigen Kux (= ein Bergwerksanteil) einen Groschen an die Kirchengemeinde abführten.
Der Neubau begann im Jahr 1516, dafür wurde die kleine Feldsteinkirche abgetragen. Während der Bauzeit wurde 1524 die Reformation in Sachsen eingeführt. Die neue Glaubensrichtung wirkte sich auch auf die entstehende Stadtkirche aus – sie wurde schlichter gestaltet. Im Jahr 1540 war Kirchweihe.
Außer den regelmäßigen Gottesdiensten, Kindstaufen, Hochzeiten und Totenmessen diente die auf den Namen des heiligen Wolfgang von Regensburg geweihte Kirche fortan auch für große Feiern wie dem Dankgottesdienst im Jahr 1609 anlässlich der für böhmische Einwanderer beschlossenen Religionsfreiheit oder dem Bittgottesdienst 1654 bei einer vorausgesagten totalen Sonnenfinsternis.
Während der Eroberungsfeldzüge des Dreißigjährigen Kriegs unter Wallenstein erfolgten durch die Truppen des Generals Heinrich von Holk ( †1633) auch Plünderungen am Inventar der St.- Wolfgangs-Kirche. Dabei wurden insbesondere die Bilder des 1539 aufgestellten Altars aus der Werkstatt der Künstlerfamilie Cranach entwendet und nach Böhmen verbracht. Der Rat der Stadt bemühte sich nach Ende der Besatzung um eine Rückführung der Gemälde, was 1649 gelang und wieder feierlich begangen wurde.
Innenausstattung
Im 17. und 18. Jahrhundert erhielt die Kirche eine reiche barocke Innenausstattung. In den 1670er Jahren wurde der Turm auf 72 Meter erhöht. Beim großen Stadtbrand von 1719 wurde der Sakralbau schwer beschädigt, und auch später brannte es häufig. In den folgenden Jahrzehnten wurde also das Gebäude immer wieder repariert und in Teilen erneuert.
Zweiter Weltkrieg und danach
Zum Schicksalstag wurde der 19. April 1945: Zwei US-amerikanische Tiefflugbomber beschossen in der Mittagszeit zunächst das Stadtgebiet und deren Bewohner mit Brandmunition. Dabei wurden auch der Dachstuhl der St.-Wolfgangs-Kirche und deren Turm getroffen.
Weil nach früheren Bränden alles Hölzerne in der Kirche mit Feuerschutzmittel gestrichen worden war, traten erst zwei Stunden nach dem Angriff erste Brandnester auf. Die Einwohner unternahmen verzweifelt Löschversuche – jedoch gab es kein Löschwasser: Der Wasserdruck reichte für die Löschtechnik nicht aus.
So wurden gemeinsam wenigstens wertvolle Gegenstände wie zahlreiche Bände der Kirchenbibliothek, die bereits abgenommenen Tafeln des Altars, der Taufstein und andere Ausstattungsstücke vor der Vernichtung bewahrt. Die Original-Jahn-Orgel mit ihren mehr als 3.000 Pfeifen, das Gestühl und die kleine Glocke wurden ein Raub der Flammen.
Als sich das Feuer erst einmal durch das Gebälk gefressen hatte, wurden auch die Sandsteinsäulen und Gewölbe in Mitleidenschaft gezogen, da sie aus Material mit eingelagerten Kohlenresten (Planitzer Sandstein) bestanden, die dabei ausbrannten. Nach vielen Stunden stürzten die meisten Gewölbe ein, nach sechs Wochen auch die Emporen.
Das Gotteshaus war eine Ruine mit einem meterhohen Schutthaufen innen und außen. Die in Schneeberg verbliebenen arbeitsfähigen Frauen und Männer, selbst einige ehemalige Kriegsgefangene, machten sich bereits im Sommer 1945 an die Enttrümmerung. So konnte in der Adventszeit 1946 in dem offenen Kirchenbau das erste Friedenskonzert stattfinden.
Die Kirchenväter, die Stadtverwaltung und viele Freiwillige schlossen sich zusammen zum „Freundeskreis St. Wolfgang“, packten mit an und spendeten für den Wiederaufbau. Sie alle sorgten dafür, dass ab 1952 eine schrittweise Rekonstruktion vorgenommen werden konnte. Wenn es möglich war, wurden historische Bauteile oder Baustoffe eingesetzt – wenn nicht, kamen neue und vor allem stabilere Materialien zum Einsatz.
Eine besondere Leistung der Denkmalpflege ist die historisch getreue Wiederherstellung der Pfeiler und der Gewölbe, die bei zahlreichen anderen kriegszerstörten Bauwerken in Deutschland unterblieb oder nur in vereinfachter oder veränderter Form erfolgte.
1996 fanden die Anstrengungen zur Sicherung und dem Erhalt des Sakralbaus mit der Altarweihe im Jahr 1996 ihr vorläufiges Ende – 51 Jahre nach der Zerstörung.
Alle weiteren Arbeiten zur Ausgestaltung, zur Sanierung der in den 1970er Jahren vorgenommenen Um- und Neubauten oder zur Erneuerung (zum Beispiel der Kirchenbeleuchtung) konnten unabhängig voneinander langfristig realisiert werden.
Das Gotteshaus dient wieder voll der Kirchgemeinde, seine Orgel wird außerdem gern für größere Konzerte genutzt.
Bauwerk
Die Kirche ist eine dreischiffige Hallenkirche mit einer Länge von 61 Metern und einer Breite von 28 Metern mit sechs Jochen in Bruchstein mit Gliederungen aus Sandstein. Im Innern ist eine gleichförmige und umlaufende Empore auf Segmentbögen erbaut.
Der polygonale Chorabschluss ist stärker abgeflacht als in der Gotik üblich. Der Altarbereich ist damit nicht vom Hauptschiff abgesetzt und stellt damit die Frühform der lutherischen Predigtkirche dar.
Die Kirche ist entsprechend der Lage auf dem Berg nicht streng in Ost-West-Richtung ausgerichtet, sondern leicht nach Norden gedreht, sodass die Altarapsis den nordöstlichen Abschluss des Gebäudes bildet. Auf dem Satteldach sitzt über dem Altarbereich ein Dachreiter. Auf der Nordwestseite ragt aus dem Baukörper ein seitlicher Anbau heraus.
Der Kirchturm ist auf der Südwestseite des Gebäudes asymmetrisch zur Bauachse der Kirche als gesonderter Baukörper angefügt. Er hat einen quadratischen Grundriss und ist aus Feld- und Ziegelsteinen aufgemauert. Der Turm wird durch eine barocke, schiefergedeckte Haube mit Laterne abgeschlossen.
In der kunsthistorischen Literatur wird die Wolfgangskirche in Schneeberg zur Gruppe spätgotischer Hallenkirchen gezählt – wie auch der Freiberger Dom, die Marienkirche in Pirna, die St. Annenkirche in Annaberg und weitere Bauten in Böhmen und Sachsen. Sie hat wie diese Bauwerke gekehlte Achteckpfeiler und formenreiche Rippengewölbe über teilweise nach innen gezogenen Strebepfeilern.
Zugleich weist sie mit der betonten Exaktheit in der Grundrissform und mit stärkerer Vereinheitlichung aller Raumteile über die verwandten Bauwerke hinaus.
Kirchturm
Im Südwesten des Kirchengebäudes steht der 72 Meter hohe Kirchturm. Er verfügt über eine Türmerwohnung, einen Glockenstuhl mit drei Bronzeglocken und einem umlaufenden Aussichtsgeschoss darüber. Die Türmerstube war eine komplette Wohnung für eine Familie, die für das regelmäßige Läuten der Glocken und die Kontrolle auf Stadtbrände zuständig war. Sie wurde bis 1945 bewohnt.
Die Glocken sind aus Bronze gegossen. Die große Glocke wurde 1721 von Michael Weinhold in Dresden gegossen, mit 5950 kg und einem Durchmesser von 1,98 m, nach anderer Angabe von 2121 mm, zählt sie heute zu den zehn schwersten Glocken Sachsens.
Im Zweiten Weltkrieg wurden die zwei größten Glocken ausgebaut und sollten im Rahmen der Metallspende des deutschen Volkes zu Kriegszwecken eingeschmolzen werden, wurden wegen ihres Alters aber zunächst zurückgestellt. Nach dem Krieg fand man sie unbeschädigt auf einem Hamburger Glockenfriedhof wieder und brachte sie auf den Turm der St.-Wolfgangs-Kirche zurück. Die kleinste, auch „Bergglöckl“ genannte, wurde bei dem Brand im April 1945 restlos vernichtet. Bei der Restaurierung des Gotteshauses ab Ende der 1990er Jahre wurde eine neu gegossene dritte Glocke installiert.
Jehmlich-Orgel
Die Planungen für den Bau einer neuen Orgel auf der Westempore begannen 1987. Am 4. Oktober 1998 wurde das neue Instrument als Opus 1128 der Firma Jehmlich Orgelbau Dresden eingeweiht.
Ein Großteil der Kosten von einer knappen Million Euro kam aus drei größeren Quellen zusammen: 40 Prozent von der Kirchengemeinde und einem eigens gegründeten Förderverein zum Wiederaufbau und der Pflege der Orgel, 37 Prozent von der Sächsischen Landeskirche und 23 Prozent aus Fördertöpfen des Freistaats Sachsen. Das Schleifladen-Instrument hat 56 Register auf drei Manualwerken und Pedal.
Seitenschiffe
Die Seitenschiffe der Kirche dienen seit der vollständigen Restaurierung des Bauwerks als Orte kleiner Ausstellungen. Eine Exposition zeigt in Bildern die jahrhundertealte Geschichte der Kirche, auch Fotos der Zerstörungen am Ende des Zweiten Weltkriegs.
Die Mühsal des Wiederaufbaus wird dort erlebbar. Im Nordostbereich befindet sich seit 2005 eine Ausstellung des Holzbildhauers Hans Brockhage, der aus dem Holz von aus Mooren geborgenen Eichenstämmen und Bronzeskulpturen schuf. Diese wurden anlässlich der 65. Wiederkehr der Zerstörung der St.- Wolfgangs-Kirche geschaffen und tragen den Titel „Die langen Schatten des Krieges“.
Im nordwestlichen Seitenschiff stehen in Lebensgröße geschnitzte Apostelfiguren, die allesamt als Bergbaupatrone gelten – der Heilige Wolfgang, der Prophet Daniel, die Heilige Anna, die Heilige Barbara, der Heilige Christophorus. Diese fünf Figuren gestaltete Holzbildhauer Bernd Sparmann.
Fest verwurzelt im Glauben
Zwar wurde das Gotteshaus wie zahlreiche Kirchengebäude kriegsbedingt stark beschädigt. Doch anders als bei 60 Kirchengebäuden mit demselben Schicksal, die – meist ebenfalls in zentraler Ortslage – in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR zwischen 1945 und 1988 auf staatlichen Druck gesprengt und damit ausgelöscht wurden, gelang ihr Wiederaufbau mit viel Ausdauer, Geduld und Beharrlichkeit.
Dies ist zweifellos in der festen Verankerung und in der traditionellen erzgebirgischen Verbundenheit mit dem evangelischen Glauben begründet – dagegen kam dort im Erzgebirge die DDR-Staatspartei SED, die sonst landesweit Sakralbauten schleifte, nicht an.
Nach 51 Jahren erstrahlt die St.-Wolfgangs-Kirche in Schneeberg seit der Altarweihe 1996 wieder in altehrwürdiger Pracht.
Koordinaten: 50° 35′ 38″ N, 12° 38′ 39″ O
Link: https://de.wikipedia.org/wiki/St.-Wolfgangs-Kirche_(Schneeberg)
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