Kirchenbauwerke gehören zu vielen Ortschaften. Sie sind bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke. Die Gotteshäuser haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Heute geht es um ein Gotteshaus in Leipzig, das Sachsens evangelische Landeskirche in den letzten DDR-Jahren aufgegeben hatte.

Die Nathanaelkirche ist die evangelisch-lutherische Kirche im Westen der Stadt Leipzig im Stadtteil Lindenau. Sie wurde zwischen 1881 und 1884 erbaut und steht unter Denkmalschutz. Mit ihrem 74,25 Meter hohen, markanten Kirchturm prägt sie maßgeblich das Stadtbild des Ortsteils Altlindenau.

Bauwerk und Geschichte

Die Nathanaelkirche im Stadtteil Altlindenau ist ein neugotischer roter Verblendziegelbau mit ursprünglich 1.100 Sitzplätzen. Der Sakralbau entstand nach Plänen der Architekten August Hartel und Constantin Lipsius. Die Grundsteinlegung war am 12. Dezember 1881, die Kirchweihe am 29. Juni 1884. Die Baukosten betrugen 224.495 Reichsmark. Am 9. Juli 1883 riss eine Windhose den fast fertigen Turm und das Baugerüst ein, fünf Zimmerleute und Maurer kamen ums Leben.

Als Kirche des Historismus in Leipzig hat sie die Besonderheit, dass die Innenausstattung mit Altar, Kanzel, Lesepult, Taufstein und Orgelprospekt weitgehend original erhalten geblieben ist. Das gilt auch für die farbigen Chorfenster von 1887, sie zeigen die vier Evangelisten sowie Petrus und Paulus. Die Akustik der Hallenkirche ist bemerkenswert.

Ende der 1970er-Jahre feierte die Kirchgemeinde aufgrund des schlechten Bauzustands der Kirche ihre Gottesdienste nur noch in der Winterkirche. 100 Jahre nach ihrer Einweihung wurde das Gotteshaus kirchlich-offiziell als Gottesdienstort aufgegeben. Es folgten weitere Jahre des Verfalls: Das Bauwerk wurde als Materiallager zweckentfremdet, es gab auch Überlegungen zu seinem Abriss.

Die Nathanaelkirche Leipzig-Lindenau. Foto: Ghostwriter123, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=109856946
Nathanaelkirche Leipzig-Lindenau. Foto: Ghostwriter123, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=109856946

1993 begann die Wiederbelebung. Seit 1994 wird das Kirchenschiff im Sommerhalbjahr wieder als Gottesdienstraum genutzt. Die Turmuhr wurde repariert, es begann die Restaurierung der Chorfenster und die Dachreparatur. 1996 und 1997 erhielt das Kirchendach eine Neueindeckung mit Kupferblech. 1999 und 2000 war die Zeit für die Erneuerung der Bleiglasfenster über dem Hauptportal.

2009 folgte die Kupfereindeckung des östlichen Sakristeidaches, auch erhielt die östliche Sakristei neue farbige Bleiglasfenster. 2011 stand die Kupfereindeckung des westlichen Sakristeidaches auf dem Plan, 2012 erhielt die Westsakristei neue farbige Bleiglasfenster.

2013 wurde – sicher auch als Anerkennung und Würdigung der langjährigen Sanierungs- und Restaurierungs-Arbeiten der Kirchengemeinde – von der Landeskirche der Aufgabebeschluss für die Nathanaelkirche aufgehoben. Unter den Emporen wurden neue farbige Bleiglasfenster eingebaut, und mit Unterstützung der Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland (KiBa) begann die Sanierung der großen farbigen Fenster.

Ausstattung

Altartisch, Kanzel, Taufstein und Orgel stammen aus der Erbauungszeit, das kreuzrippengewölbte Innere schmückt eine facettenreiche Ausmalung. Die historischen Bleiglasfenster mit Christus und den Evangelisten wurden im Jahr 1887 von Dresdens Maler Carl Bertling gefertigt.

Die Kirche ist gegliedert in das dreischiffige Langhaus mit einjochigem Chor sowie den Kirchturm. Unterhalb der Orgelempore befindet sich die Winterkirche. Langhaus und Chor weisen Kreuzrippengewölbe mit Scheitelrippen auf. Es gibt eine dreiseitig umlaufende Empore, ihre Brüstung wird von einer Bogenarchitektur getragen.

Der Innenraum wurde feingliedrig von Leipzigs Dekorationsmaler E. Schulz gestaltet. Die ursprüngliche Orgel stammte von Christoph Donati aus den Jahren 1690–1692, die 1732 von Zacharias Hildebrandt aus Dresden erschaffene Orgel ging 1878 verschollen.

Zu sehen sind Altar und Glasmosaikfenster. Foto: Ghostwriter123, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=109938169
Altar und Glasmosaikfenster. Foto: Ghostwriter123, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=109938169

Die Orgel für den Kirchenneubau schuf 1884 Richard Kreutzbach aus Borna. Sie hatte zunächst 34 Register auf zwei Manualen und Pedal. 1899 folgte die Erweiterung um ein drittes, schwellbares Manual im Turm auf pneumatischer Kegellade mit 9 Registern von Richard Kreutzbach. Der Tritt des Registerschwellers wurde zur Walze umgebaut und ein neues doppeltes Magazingebläse eingebaut. Im ersten Manual wurde eine Trompete 8′ ergänzt und die Oboe 8′ durch eine Klarinette 8′ ersetzt. Seitdem verfügt die Orgel über 43 Register auf drei Manualen und Pedal. Sie ist seit Jahren nicht spielbar, da reparaturbedürftig.

Geläut

Zur Einweihung des Kirchenneubaus am 29. Juni 1884 erklang erstmals das Glockengeläut mit den neuen Kirchenglocken. Sie waren aus der eingeschmolzenen Bronze der alten Bronzeglocken gegossen. 2005 erhielt das Geläut zwei neue Bronzeglocken. Im September 2019 wurde die dritte neue Bronzeglocke in den Glockenstuhl gehoben. Das Geläut besteht aus drei Glocken mit den Tönen fis’ -3 und a’ +1 (beide aus der Kunst- und Glockengießerei Lauchhammer, 2005) sowie d’ +1 (Glocken- und Kunstgießerei Rincker, 2013).

Vorgeschichte

Die Vorgängerkirche des heutigen Gotteshauses war mittelalterliche Lindenauer Dorfkirche mit dem Saal in Fachwerkbauweise. Da sie im 19. Jahrhundert baufällig sowie für den wachsenden Ort mit steigender Einwohnerzahl zu klein geworden war, entstand 1847 ein Baufonds, der Pläne für eine neue Kirche vorbereiten sollte. 1878 wurde die alte Dorfkirche abgerissen.

Die Dorfkirche Lindenau, um 1850. Abb. aus „Sachsens Kirchen-Galerie“, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11628384
Dorfkirche Lindenau, um 1850. Abb. aus „Sachsens Kirchen-Galerie“, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11628384

Schwester-Gotteshaus Philippuskirche

Die Kirchgemeinde der späteren Philippuskirche Leipzig entstand 1904 aus der Teilung der damaligen Nathanael-Kirchgemeinde Lindenau: Aufgrund des wirtschaftlichen Wachstums in Lindenau zogen viele Menschen dorthin. Die Kirchgemeinde wuchs so ebenfalls, die Nathanaelkirche mit 1.100 Plätzen wurde zu klein.

Koordinaten: 51° 20′ 20,6″ N, 12° 19′ 56,6″ O

Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Nathanaelkirche_(Leipzig)

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Es gibt 3 Kommentare

“Die Grundsteinlegung war am 12. Dezember 1881 … 1880 riss eine Windhose den fast fertigen Turm und das Baugerüst ein, fünf Zimmerleute und Maurer kamen ums Leben.”

Was ich noch ergänzen möchte: Dem Film “Zurück in die Zukunft” liegt übrigens genau dieses Ereignis zu Grunde =)

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