Kirchenbauwerke gehören zu vielen Ortschaften. Sie sind bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke. Die Gotteshäuser haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung.
Doch ihre Zukunft ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen auch über Mitteldeutschland hinaus – und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.
Die Petrikirche auf dem Petriplatz war die Stadtpfarrkirche von Kölln, dem historischen Stadtteil in Berlins heutigem Ortsteil Mitte. Sie gehörte zu den ersten fünf Kirchen der Doppelstadt Berlin-Kölln. Errichtet um das Jahr 1230 auf der höchsten natürlichen Erhebung auf Köllns Talsand-Insel der Spree mit 35,5 Metern über Normalnull, wurde sie mehrmals um- und neugebaut – und nach Kriegsbeschädigung im Jahr 1964 gesprengt.
Geschichte
Dokumente des Jahres 1285 erwähnen die Prämonstratenser-Gründung in Cölln/Kölln, die vom Domkapitel von Brandenburg an der Havel ausging. Es entstand die erste Kirche, sie wurde nach dem Apostel Petrus benannt, dem Patron der Fischer, Schiffer und Brückenbauer. Im Jahr 1237 wird Pfarrer Symeon zu Kölln (Symeon plebanus de Colonia) genannt – was das Bestehen der Petrikirche zu diesem Zeitpunkt bestätigt und gleichzeitig die erste urkundliche Erwähnung Köllns ist, das später nach Berlin eingemeindet wurde.
Archäologische Grabungen im Jahr 1967 auf dem Kirchengelände unter dem westlichen Gehweg der Gertraudenstraße belegen, dass die Petrikirche – wie Berlins Nikolaikirche – um 1200 bis spätestens 1230 entstand. Der Grundriss des ersten spätromanischen Baus hatte die Maße von 45 Meter mal 20 Meter. Im Laufe der Jahrhunderte gab es zwei Nachfolge-Bauwerke.
Viertes Bauwerk
Zur Pfarrei der Petrikirche gehörten Mitte des 19. Jahrhunderts etwa 20.000 evangelische Christen. Daher wurde im Jahr 1846 ein Neubau beschlossen, die Grundsteinlegung war am 3. August 1847. Das Kirchenpatronat hatte der Magistrat der Stadt Berlin inne. Aus einem Wettbewerb war Baumeister Johann Heinrich Strack als Sieger hervorgegangen. Er schuf einen neogotischen Bau, dessen 111 Meter hoher Turm auf querrechteckigem Grundriss lange Zeit das höchste Gebäude Berlins war. Motto des Bauplans: „Wo der Herr nicht das Haus bauet, so arbeiten umsonst, die daran bauen.“
Der Kirchturm prägte maßgeblich das Ortsbild, sein gemauerter Teil hatte eine Höhe von knapp 61 Metern. Darüber erhob sich ein Maßwerk-Spitzhelm aus zinkummanteltem Gusseisen. Ein ziegelsteinfarbiger Anstrich überdeckte die helle Zinkfarbe. Eine hölzerne Turmspitze war bei der Ausschreibung vom 8. Oktober 1844 aus Brandschutzgründen ausgeschlossen worden.
Gestaltung
Der relative kleinflächige Sakralbau hatte eine vergleichsweise große Höhe – um die „himmelsstürmende“ gotische Intention zu zeigen. Die Freigeschosse des 1852 vollendeten Petrikirchturms wiesen einige architektonische Parallelen zur Kubatur des Turmes des Rathauses in Brüssel auf.
Parallele Formen waren – von oben nach unten – eine Kreuzblume an der Spitze, ein maßwerkgeschmückter Spitzhelm mit Krabbenbesatz, ein Giebelkranz am Fuß des Spitzhelmes, darunter ein sich in Spitzbogenfenstern öffnendes Achteck (Oktogon) mit auskragender Brüstungsgalerie und Fialen an den Ecken, das in ein quadratisches Turmgeschoss übergeht.
Die Brüstungsgalerie der Petrikirche trugen auf jeder Seite des Achtecks drei Engel aus gebranntem Ton, insgesamt also 24 Engel. Den Übergang vom Turmquadrat zum Turmoktogon kaschierten Eckfialen mit Kreuzblumen. Das oberste strebepfeilerumstandene Geschoss auf quadratischem Grundriss öffnete sich in zwei Spitzbogenfenstern zur Eingangsfassade.
Unter den parallel geordneten Spitzbogenfenstern des Petrikirchenturms war die Turmuhr von Rösener. Ein darunterliegendes hohes zweibahniges Maßwerkfenster, flankiert von zwei kürzeren zweibahnigen Maßwerkfenstern, unterstrich die Vertikalität der Turmfassade.
Sämtliche Fenstermaßwerke der Kirche waren aus Sandstein gefertigt. Das Turmportal schloss mit der Blendmaßwerk-Galerie und war von zwei Strebepfeilern mit Fialen eingefasst. Die Portale der beiden Querschiffe in der Scharren- und Gertraudenstraße waren mit hohen durchbrochenen Maßwerk-Ziergiebeln geschmückt.
Bauwerk
Der Sakralbau hatte drei Haupteingänge und bot Platz für 3.000 Personen. Die vier Treppentürme führten zu den Emporen der Petrikirche, waren wie der Hauptturm mit spitzen Helmen mit Giebelkränzen bekrönt und jeweils 43 Meter hoch. Zur Gertraudenstraße befand sich auf der Kirchenempore die Magistratsloge.
Der Zentralbau der neogotischen Petrikirche war einschiffig, kreuzförmig und in Ziegelbauweise gefertigt. Der Chor endete in polygonalem 5/8-Schluss und war an den Ecken von Strebepfeilern umstanden. Das Kirchenschiff war innen 42 Meter lang und mehr als 14 Meter breit. Das Querschiff war innen 29 Meter lang, die Gewölbehöhe betrug 26 Meter.
Der Chorbereich öffnete sich in voller Breite zum Mittelschiff und war mit lettnerartiger Umlauftribüne eingezogen. Das Innere der Kirche war sterngewölbt. Schalllöcher im Gewölbe dienten der guten Akustik und verhinderten übermäßigen Hall. Kirchenbesucher hatten freien Blick zum Altar.
Die Ausmalung des auf Bündelpfeilern ruhenden Kirchengewölbes erfolgte im Jahr 1896. In den Kreuzarmen sorgten Emporen für zusätzliche Plätze, das Kirchenschiff war dreijochig. Weitgehend wies der Sakralbau Formen der Frühgotik auf, durchbrochene Ziergiebel und der Maßwerkhelm zeigten Elemente der Hochgotik, die Sterngewölbe orientierten sich an Wölbeformen der Spätgotik.
Die von 1846 bis 1853 andauernde Bauausführung verantwortete Architekt August Dieckhoff, die Einweihung war am 16. Oktober 1853 mit Friedrich Wilhelm IV. als Ehrengast.
Die reiche Ausstattung – Altarretabel mit dahinter paraventartig eingestellten neohochgotischen Ziergiebeln, Kanzel aus Nebraer Sandstein mit Pflanzenmotiven und hölzernem Schalldeckel am Übergang von Chorjoch und Querschiff sowie Orgel von C. A. Buchholz mit 72 Registern – stammte aus der Erbauungszeit.
Im Jahr 1894 erhielt St. Petri bunte Glasfenster im Chor und im Jahr 1901 einen Taufstein, aufgestellt in einiger Entfernung vor dem Altar. Der Gemeindefriedhof lag zwischen Landsberger und Frankfurter Tor und bestand seit 1838.
Zweiter Weltkrieg und Folgezeit
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche in den letzten Tagen der Schlacht um Berlin schwer beschädigt: Nachdem sie die Bombenangriffe unbeschadet überstanden hatte, geriet sie im April 1945 unter Beschuss, da sich dort SS-Einheiten verschanzt hatten.
An der Südseite und Nordseite wiesen die Flankentürme am Querschiff, das Mauerwerk des Turmes sowie des Langhauses erhebliche Beschädigungen auf. Die Fenstermaßwerke waren weitgehend zerstört, ebenso Dachstuhl und Bedachung. Das Gerüst des Turmes war erhalten. Im Inneren waren drei Gewölbekappen eingestürzt und sämtliche Holzteile verbrannt.
Die Kirche diente Generationen evangelischer Christen regelmäßig zur Andacht sowie zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten als Stätte festlicher Begegnung. Sie war vertrauter, heimatlicher Treffpunkt für Taufe und Konfirmation, für Trauung, Silberne und Goldene Hochzeit und für den Heimgang hunderter Bürger. Sie war Ort der Gemeinsamkeit für Andacht und Hoffnung, für Zuversicht und Freude, für Trauer und Leid.
Wie wohl jede andere Kirchgemeinde mit dem gleichen Schicksal wünschten sich die Christen dort das Wiedererstehen ihres Gotteshauses am selben Ort. Ab 1951 wurden Mauerschäden beseitigt, ein Dachstuhl zum Schutz des Kircheninneren geplant. Eine staatliche Schadensfeststellung sprach dem neogotischen Bau jeglichen kunsthistorischen Wert ab, da es sich nur um „akademische Gotik“ des 19. Jahrhunderts handele.
Jedoch, es blieb ein frommer Wunsch: Die Haupstadt der DDR hatte kein Interesse am Wiederaufbau der Kirche, die noch dazu ihren Plänen zur Neutrassierung und Begradigung der Gertraudenstraße in Richtung Mühlendamm im Wege stand. Nach mehrjährigen Verhandlungen mit staatlichen Stellen sah sich der Gemeindekirchenrat im Jahr 1960 gezwungen, dem Abriss zuzustimmen. Bis dahin war die Kirchturmruine für die Flugsicherheit nachts mit roten Signallampen beleuchtet.
Das Gotteshaus wurde 1964 gesprengt, die Trümmer der bis zu vier Meter dicken Ziegelsteinmauern geschreddert und nach West-Berlin zum Stadion- und Straßenbau verkauft. Nach dem Abriss wurde der Boden mit Dampframmen verfestigt sowie aufgefüllt – und der einstige Standort der Kirche zum Autoparkplatz.
Jüngere Vergangenheit
Bei Grabungen im Jahr 2007 wurden die Fundamente der verschiedenen Petrikirchen freigelegt und vermessen sowie der nahegelegene Begräbnisplatz, der bis 1717 genutzt wurde, genau untersucht. Es fanden sich 3.126 Gräber mit Gebeinen von 3.872 Personen. Etwa jedes zehnte Grab enthielt Gebeine von mehr als einer Person, die maximale Bestattungsdichte waren 12 Personen pro Grablege. Die tiefsten Gräber reichten bis nahe an das Grundwasser, die obersten lagen gerade einmal einen Meter unter dem Parkplatz.
House of One
2009 überlegte die Kirchgemeinde, wie das Grundstück der Petrikirche genutzt werden könnte. Pfarrer Gregor Hohberg schlug vor, „etwas mit mehreren Religionen gemeinsam zu machen.“ Damit keimte die Idee eines interreligiösen Gotteshauses. Der Senat von Berlin beschloss, einerseits auf der Fläche die Funde zu präsentieren und andererseits ein gemeinsames Bethaus für alle drei Religionen in Berlins Geschichte – Christentum, Judentum und Islam – zu errichten. Die Trägerstiftung wurde am 8. September 2016 gegründet.
Für jede dieser Religionen soll es einen eigenen Raum für Gebete geben – und einen gemeinsamen Zentralbereich als sogenanntes „Lehrhaus“. Der dafür gegründete Verein „Bet- und Lehrhaus Petriplatz Berlin e. V.“ startete einen Architekturwettbewerb. Die Entscheidung fiel für den Entwurf des Architekturbüros Kuehn Malvezzi. Am 27. Mai 2021 war die Grundsteinlegung.
Die Stiftung zahlte am 4. März 2019 einen symbolischen Euro für 99 Jahre Erbbaurecht am Baugrundstück. Die Bausumme wurde auf rund 44 Millionen Euro geschätzt. Das Geld kommt aus drei Quellen: Der Deutsche Bundestag beschloss zehn Millionen Euro im Bundeshaushalt ab 2019, Berlins Senat gab dieselbe Summe dazu. Der offene Betrag soll mit Spenden, Sponsoring und Crowdfunding eingenommen werden.
2020 gab der Bundestag weitere 10 Millionen Euro für das House of One frei, die Bausumme soll nunmehr 47,3 Millionen Euro betragen. Für die noch offenen Millionen Euro werden weiter viele Spenden gebraucht.
Koordinaten: 52° 30′ 48″ N, 13° 24′ 15″ O
Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Petrikirche_(Berlin-Mitte)
https://kirchensprengung.de/kirchensprengung-ostberlin
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