Eisner und Wagner? Eisner, der 1918 in Bayern die Novemberrevolution anführt, dann den König absetzt, den Freistaat Bayern ausruft und dessen erster Ministerpräsident wird – bis der 1867 Geborene am 21. Februar 1919 einem Attentat zum Opfer fällt? So jedenfalls dürfte er allgemein bekannt sein. Aber der Mann war eben nicht nur Politiker, er war auch Journalist, Schriftsteller.

Wer den Jahrgang 1913 der damals meistgelesenen sozialdemokratischen Satirezeitschrift „Der wahre Jacob“ im Original besitzt, kennt auch das sehr lange „Gedenkwort“ zum hundertsten Geburtstag Richard Wagners von Kurt Eisner. (Wobei man im Eisner-Text eine Satire vergeblich sucht.)

Dank der Universitätsbibliothek Heidelberg gibt es im Internet einen schnellen Zugriff auf alle erhalten gebliebenen Jahrgänge ab 1884 bis 1933. Der Aufsatz von Eisner ist nur hier in der Illustr. Unterhaltungsbeilage Nr. 699 v. 3. Mai 1913, S. 7902–7904 enthalten, ansonsten lässt sich kein Hinweis auf diese Literaturquelle finden. Auch in den 1919 erschienenen zwei Bänden der Gesammelten Schriften Kurt Eisners des Berliner Cassirer-Verlages ist der Text nicht enthalten.

Wagners revolutionäre Gesinnung

Warum diese Zurückhaltung? Ein Grund könnte folgende Formulierung auf Seite 7902 sein:
„Endlich der Schöpfer von Bayreuth, dem Wallfahrtsort der Millionäre aller Länder, dessen hohes Lied verklärter Entsagung, den ‚Parsifal’ zu hören, ein Vermögen erfordert, scheint niemandem näherzustehen als dem revolutionären und sozialistischen Proletariat unserer Zeit.

Wenn wir aus seinem Leben und seinen Werken die Zeugnisse seiner sozialistischen, republikanischen, revolutionären Gesinnung zusammenstellen würden, so könnte es scheinen, als ob überhaupt nur das Proletariat ein Recht hätte, den Genius zu feiern, und als ob Wagners Kunst allein beanspruchen könnte, so etwas wie das sozialistische Kunstideal zu erfüllen.“

Kurt Eisner war mit Leib und Seele (natürlich auf seine Art kenntnisreich und kritisch) ein Wagnerianer, hat sich mit Leben und Werk Wagners intensiv beschäftigt, davon zeugt jede Zeile dieser gut lesbaren drei Seiten.

Und, wie der eben zitierte Absatz zeigt, öffnet er auch den Sozialdemokraten, also dem Proletariat, den Weg zu Wagner – wenn aus pekuniären Gründen auch nur möglich über das Lesen von Rezensionen in der Zeitung, den Besuch von Musikveranstaltungen und das Anhören von Musik von der Schallplatte.

Eisner ordnet zunächst das Werk Wagners in die allgemeine Musiklandschaft und in die werktägliche Wirklichkeit ein, charakterisiert ihn als „musikalischen Agitator größten Stils“, erkennt ihn an als „Journalist, Schriftsteller, Regisseur“.

Eisner geht dann auf Wagners Teilnahme am Dresdner Maiaufstand von 1849 ein, rügt deren Umdeutung und fragt: „Glaubt man den Künstler zu ehren, wenn man Handlungen, die er im Mannesalter von 36 Jahren beging, für unreife Knabenstreiche erklärt?“

Wagner, der Eroberer

Der Autor erkennt: „Es ist wahr, daß Richard Wagner sich für die politischen Fragen nicht in erster Linie interessierte; aber darf man verschweigen, daß dies nur deshalb geschah, weil er über alle politischen Freiheitsbestrebungen die soziale, die sozialistische Umwälzung der ganzen Wirtschaftsordnung stellte? Wagner war in dieser Zeit, und blieb es noch Jahre hindurch, Revolutionär, Sozialist und Atheist im Sinne eines kirchlichen Christentums.“

Als Beleg führt Eisner die Schrift aus dem Jahre 1849: „Die Kunst und die Revolution“ an und analysiert diese ausführlich. Aber schließlich die Erkenntnis: „Wenn aber Wagner später die Revolution abschwor, so nur deshalb, weil auch die Revolution, wie alle Menschen und Dinge der Welt für ihn nur Mittel zum Zweck waren, und dieser höchste und alleinige Zweck war er selbst.

Das Leben Richard Wagners ist die Laufbahn eines Menschen, der mit einer unerhörten Rücksichtslosigkeit und Selbstverständlichkeit alle Kräfte und Mächte, die sich ihm darboten, aufgezehrt hat, um seine Persönlichkeit durchzusetzen … Das Leben Wagners ist das Dasein eines Eroberers, der sich die Welt unterjochte.“

Nach einer sehr ausführlichen zusammenfassenden Schilderung des Lebens und Wirkens Richard Wagners, wie man sie nur selten so kenntnisreich und gut formuliert in der Literatur findet, sei hier noch das letzte Kapitel angefügt:

„Die letzten Zeilen, die Wagner geschrieben, am 11. Februar 1883, philosophieren ‚über das Weibliche im Menschen’, und diese Arbeit sollte den Abschluß bilden seiner Gedanken über ‚Religion und Kunst’. Das Bruchstück endigt mit den Worten: ‚Liebe – Tragik’. – Das ‚Gesamtkunstwerk’ Wagners aber hat seine höchsten Absichten noch weiter gespannt. Nicht nur alle Künste sollten vereinigt sein, sondern mit und in ihnen auch die Zuhörer, das Publikum, das Volk, die ganze Erde.

Die ganze Menschheit war in diesem Plan nur noch eine Orchesterstimme im Gesamtkunstwerk, und über diese ganze Welt der Worte, Töne, Farben und kunstandächtigen Massen gebietet allgewaltig ein Mann: Richard Wagner, der Kapellmeister aller Kunstkultur. – In diesem Anspruch verbirgt sich vielleicht die unvergängliche Leistung Wagners. Er hat uns die Andacht der Kunst eindringlicher und erfolgreicher als irgendein anderer gelehrt, er hat uns die Kunst als die ernsteste Angelegenheit der Gesamtheit des Volkes gepredigt.

Und diese unendlich erhöhte Geltung des Kunstberufes in unserer Kultur mag einst, wenn Wagners Gestirn erbleicht, andere Schöpfungen in Wagners Geist, an den Feiertagen der Kunst, zu wahrhaftem Weltbesitz erheben.“

Auf zwei im Internet leicht zugängliche Quellen (zu finden im Zeitungsinformationssystem der Staatsbibliothek zu Berlin) sei noch hingewiesen: Ein episodischer Bericht über das Gedenken an Richard Wagners Geburt nach 100 Jahren aus Berlin, Bayreuth, Leipzig und Dresden steht in der „Vossischen Zeitung“ Nr. 254 v. 22. Mai 1913, S. 4. Und über „Richard Wagners Lebenswerk“ steht in der „Berliner Morgenpost“ Nr. 137 v. 22. Mai 1913, S. 2 ein vierspaltiger Aufsatz von J. C. Lusztig; auf der nächsten Seite kündet ein großformatiges Foto vom „gestern auf dem Prinzregentenplatz“ enthüllten Richard-Wagner-Denkmal in München.

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Termintipp: 210. Geburtstag Richard Wagners

Geburtstag hat Richard Wagner am 22. Mai. Zu seinem 210. Geburtstag lädt der Richard-Wagner-Verband Leipzig am Montag, dem 22. Mai zu einer Kaffeetafel ein. „Happy Birthday, Richard!“ heißt es ab 14 Uhr bei der öffentlichen Geburtstagstafel zum 210. Geburtstag von Richard Wagner mit Kaffee, Kuchen und musikalischer Umrahmung.

Eröffnet wird die Kaffeetafel an der Gedenktafel des ehemaligen Geburtshauses von Richard Wagner an den Höfen am Brühl (Brühl 3).

Es musizieren das Trompeter-Duo Augustin und Leopold Berndt. Des Weiteren wird das Verbands-Mitglied Ehrenfries Wagner die Gäste mit seinem Horn musikalisch erfreuen. Begleitet wird er von Richard Wagner (Schauspieler Andrew Yorck), der Episoden aus seinem Leben vom Besten geben wird.

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