Je bedeutender eine Kirche, desto klangvoller ist ihr Geläut. So hat etwa der Kölner Dom im Hauptgeläut acht Glocken – die größte ist die Petersglocke. Dieses Meisterwerk der Glockengießerkunst stammt aus Thüringen. Meister Heinrich Ulrich (1876–1924) goss die 24 Tonnen schwere Bronze-Glocke vor 100 Jahren. Apolda, eine Kleinstadt mitten in Thüringen bei Weimar und Jena. Dort wird am 5. Mai 1923 Glockengeschichte geschrieben – mit der Petersglocke für den Kölner Dom.
Sie soll die im Ersten Weltkrieg zerschlagene, stattliche Kaiserglocke ersetzen und den Schlagton C⁰ haben.
Vorgeschichte
Den Auftrag bekommt Heinrich Ulrich am 13. März 1922. Der Glockengießermeister aus Apolda hat sich nicht um diesen Job gerissen. Ist es doch ein halsbrecherisches unternehmerisches Wagnis, in galoppierender Inflationszeit eine so kostspielige und außergewöhnlich anspruchsvolle Glocke gießen zu wollen.
Das Risiko zu scheitern ist groß – doch Ulrich wagt es. Zunächst jedoch ist sein Gießofen ist zu klein für die riesige Menge an Kupfer und Zinn, die zu 24.000 Kilogramm flüssiger Bronze werden sollen; er baut mit seinen Leuten einen zusätzlichen. Die Schmelzhitze liefern 30 Festmeter Fichten-Feuerholz.
Der Meister hat mit seinen erfahrenen Mitarbeitern wochenlang alles sorgfältig vorbereitet. Am Abend des 5. Mai 1923 ist es so weit: Heinrich Ulrich stößt den Zapfen ein – und 9 Minuten und 32 Sekunden lang fließt der glutrote, rund 1.100 Grad Celsius heiße Bronzestrom aus beiden Öfen in die riesige Glockenform.
Nach tagelangem Abkühlen und Freilegen ergibt die erste Prüfung: Die Glocke – unterer Randdurchmesser 3,25 Meter, Höhe 3,35 Meter mit Krone – ist geglückt. Ulrich hat mit seiner akkuraten Glocken-Berechnung auf Grundlage der Gloriosa-Rippe alle vorgegebenen Klangeigenschaften erreicht.
Das Gutachten
Am 4. Juni 1923 machen sich Apolda Glockenfachleute aus Köln an die Arbeit – sie untersuchen stundenlang die Glocke auf das Genaueste. Und schreiben in ihrem Gutachten, dass „Haupt- und Hilfston C⁰ sich genau decken, die zugehörigen Oktaven c¹ und c² vollkommen rein gestimmt erscheinen, was für die sonore Kraft und den schönen Wohlklang der Glocke von wesentlicher Bedeutung ist.“
Es sei „ein mustergültiger Klangkörper“, der sich im Dom „mit allen Glocken zu einer vollkommenen Einheit vereinigen“ werde. Ihr Fazit: „Nach ihrem musikalischen Wert und als Gußerzeugnis ist die Peters-Glocke als ein Meisterwerk zu beurteilen, dem kein Kunstprodukt dieser Art an die Seite gestellt werden kann.“ Allerhöchstes Lob!
Transport nach Köln
Da das Ruhrgebiet von französischen Truppen besetzt ist, fürchten die Auftraggeber, die Glocke könne als Reparationsgut beschlagnahmt werden. So bleibt das ungewöhnliche Werk anderthalb Jahre lang in Apolda – und lockt auf dem Gießereigelände viele Schaulustige an.
Erst am 10. November 1924 ist es so weit: Drei Zugmaschinen ziehen die riesige Glocke vom Hof, in der Nacht zum Elften ist Zwischenstopp am „Thüringer Hof“ und bald der Bahnhof erreicht. Nach Verladung am Zwölften – die Reichsbahn hat einen speziellen Wagen gebaut – und Zugabfahrt um 15.30 Uhr erreicht sie am 14. November Köln.
Sie wird – üppig geschmückt, Glockenzier und Inschriften sind nahezu verdeckt – von tausenden Schaulustigen am Wegesrand zum Dom geleitet. Kardinal Karl Joseph Schulte weiht sie, mit dabei ist Oberbürgermeister Konrad Adenauer.
Doch bei der Zeremonie fehlt ihr „Vater“. Heinrich Ulrich ist am 12. Februar 1924 im 48. Lebensjahr plötzlich an Grippe verstorben. Auf dem Friedhof in Weimar hat er bis heute seine einzigartige Grabstätte: Eine große Bronzeglocke auf einem Sockel, mit Porträt und Inschrift „Der Meister der grossen Glocke im Dom zu Köln“.
Erstes Läuten
Die Petersglocke ist Kölns tönendes Wahrzeichen, liebevoll als „decker Pitter“ („dicker Peter“) bezeichnet. Das erste Läuten am Heiligabend 1924 misslingt. Erst am 28. Oktober 1925 um 12 Uhr, zehn Monate später, ertönt sie zum ersten Mal in der Domstadt.
Auch erweist sich der ursprüngliche 1.500-Kilogramm-Klöppel als viel zu schwer – der jetzige, vierte Klöppel hat 600 Kilogramm Gewicht. 1952 ein Riss in der Petersglocke, er wird 1956 in einer Spezialwerkstatt geschlossen. Am 6. Januar 2011 bricht beim Läuten der Klöppel und stürzt ab, Ursache Materialermüdung.
Glocken-Rekorde
Die Petersglocke hält bis November 2016 den Rekord als größte, an einem geraden Joch freischwingende Glocke der Welt. Ihr Rekord als tontiefste freischwingende Glocke hält nur bis 1924.
Auch ihr Masserekord wird überholt: 1998 mit der 30-Tonnen-Weltfriedensglocke aus Frankreich im Park des Millennium Monument in Newport, Kentucky (USA). Ihr Schlagton ist A, eine kleine Terz tiefer als die Petersglocke. Seit 2006 gibt es die in den Niederlanden gegossene 36-Tonnen-Glocke am Fuße des Berges Fuji in Japan mit Schlagton Gis.
Das Unternehmen
Und die Glockengießerei Gebrüder Ulrich in Apolda, die zwischen 1910 und 1939 rund 5.000 Bronzeglocken schuf? Nach Heinrich Ulrichs Tod schwindet in den 1930er Jahren der Geschäftserfolg, ihre Zeit im Dritten Reich ist unerforscht – zahlreiche Dokumente werden offenbar nach der Enteignung in der Sowjetischen Besatzungszone vernichtet. Das Ende kommt mit Löschung im Handelsregister am 21. Februar 1949.
Fazit: Geblieben ist die Petersglocke in Kölns „Hoher Domkirche Sankt Petrus“, wie das Gotteshaus offiziell heißt – als klangvollstes Zeugnis einzigartiger thüringischer Glockengießerkunst. Grund zum Stolz in Apolda, wegen der jahrhundertelangen, besonderen Handwerks-Tradition auch „Glockenstadt“ genannt.
Lesetipp: Margarete Schilling: „Der Glockengießermeister Heinrich Ulrich, Gießer der Petersglocke im Kölner Dom“, 80 S., Apolda 2023. Bestellbar nur bei: info@druckereikuehn-apolda.de
Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Petersglocke
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Ulrich_(Glockengie%C3%9Fer)
Keine Kommentare bisher