Kirchenbauwerke gehören zu vielen Ortschaften. Sie sind bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke. Die Gotteshäuser haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Doch ihre Zukunft ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen auch außerhalb von Mitteldeutschland – und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.
Die Versöhnungskirche war eine evangelische Kirche in der Bernauer Straße 4 in Berlins Stadtteil Mitte. Sie wurde 1892 errichtet und im Jahr 1985 auf Veranlassung der DDR-Regierung gesprengt.
Bauwerk
Die Versöhnungskirche entstand ab 1892 nach Plänen von Gotthilf Ludwig Möckel. Das Gotteshaus stiftete Kaiserin Auguste Viktoria, es wurde am 28. August 1894 geweiht. Das Kirchengebäude erstand aus rotem Backstein im neugotischen Stil. Das achteckige Kirchenschiff hatte ein stützpfeilerfreies Gewölbe – somit hatten auch bei voller Kirche die 1.000 Besucher des Gottesdienstes beste Sicht zum Altar.
Der 75 Meter hohe Kirchturm hatte eine quadratische Grundfläche und ein Zeltdach mit achteckiger Grundfläche. In seiner Glockenstube gab es ein dreistimmiges Geläut aus drei Gussstahl-Glocken, gegossen vom Bochumer Verein.
Geschichte
Am Ende der 1920er Jahre hatte die Versöhnungsgemeinde 20.000 Mitglieder und drei Pfarrer. Die im Zweiten Weltkrieg stark beschädigte Kirche wurde bis 1950 repariert.
Aufgrund der politischen Aufteilung Berlins der Alliierten in vier Sektoren stand das Gotteshaus ab 1945 genau an der Grenze zwischen dem Sowjetischen und dem Französischen Sektor Berlins. Die Mitgliederzahl der über die Sektorengrenze reichenden Gemeinde hatte sich von einst 20.000 auf etwa ein Drittel reduziert.
Mauerbau und Auswirkungen
Mit dem Mauerbau am 13. August 1961 verschärfte sich die Grenzsituation der Versöhnungsgemeinde drastisch: So wurde am 21. August das Hauptportal der Kirchenmauer – etwa zehn Meter vor dem Gebäude – drei Meter hoch zugemauert. Damit war es den Gemeindegliedern aus West-Berlin verwehrt, in ihr Gotteshaus zu gelangen. Das Gotteshaus und das Pfarr- und Gemeindehaus standen im Sowjetischen Sektor im Ostteil Berlins.
Zwei Monate später, ab dem 23. Oktober 1961, wurde auch den Kirchgängern auf DDR-Seite das Betreten der Kirche verwehrt: Das Gotteshaus stand nunmehr im sogenannten „Todesstreifen“ der DDR-Grenzsicherungsanlagen – und wurde daher staatlicherseits geschlossen. Gipfel der Skrupellosigkeit: Die DDR-Grenztruppen nutzten den Kirchturm der Versöhnungskirche als Wachturm mit MG-Geschützstand.
Doch die Kirchen-Zwangsschließung war den SED-Machthabern nicht genug – das Gotteshaus stand ihrem Grenzsicherungs-Allmachts-Anspruch im Weg. Und so wurde, eingefädelt und veranlasst von der DDR-Regierung, am 22. Januar 1985 das Kirchengebäude gesprengt; sechs Tage später, am 28. Januar, der Kirchturm. Der Sprengungsbefehl trug die Unterschrift des Staatssekretärs für Kirchenfragen der DDR, Klaus Gysi (= Vater von Gregor Gysi).
Zuvor hatte der Gemeindekirchenrat der Versöhnungsgemeinde im West-Berliner Wedding am 31. Mai 1983 zugestimmt, der vom Konsistorium West übermittelten „Bitte des Konsistoriums (Ost) auf Überlassung von Grundstück und Kirche ‚unter Zurückstellung von Bedenken‘ zu entsprechen“.
Daraufhin vollzogen das Konsistorium in Ost-Berlin und der Magistrat in Ost-Berlin am 6. Juli 1984 den notariellen Tausch der Grundfläche der Versöhnungskirche gegen ein Grundstück in der Großsiedlung Hohenschönhausen. Der Bauplatz in Hohenschönhausen – damals zum Ortsteil Malchow gehörend – war zur Errichtung eines Evangelischen Gemeindezentrums vorgesehen. 1988 wurde das „Heinrich-Grüber-Gemeindezentrum“ der Kirchengemeinde Hohenschönhausen-Nord – auch „Kirche am Berl“ genannt – vollendet. Damit schien die Angelegenheit Versöhnungskirche endgültig geklärt und erledigt.
Bei der offiziellen Verabschiedungszeremonie für das gesprengte Kirchengebäude im Jahr 1985 hatte Pfarrer Manfred Fischer gesagt: „Symbole haben eine stille Kraft, Unmögliches zu verwandeln in Möglichkeiten.“ Doch das, was vier Jahre später folgte, war für niemanden vorhersehbar: das Ende der Mauer im November 1989 und die Deutsche Einheit am 3. Oktober 1990.
Jüngere Vergangenheit und Gegenwart
Die Versöhnungsgemeinde kam wieder in den Besitz des Grundstücks ihrer gesprengten Kirche. Daraufhin ließ sie auf den Fundamenten der abgerissenen Versöhnungskirche nach den Plänen der Architekten Peter Sassenroth und Rudolf Reitermann die „Kapelle der Versöhnung“ errichten.
Am 9. November 2000 wurde die „Kapelle der Versöhnung“ eingeweiht. Sie ist Teil der „Gedenkstätte Berliner Mauer“ in der Bernauer Straße. Im Gemeindehaus, das 1965 gebaut wurde, ist das zugehörige Dokumentationszentrum untergebracht.
Die Christusfigur der Versöhnungskirche steht vor der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg. Die Turmuhr, vor der Sprengung der Kirche ausgebaut und eingelagert, wurde 2019 restauriert – sie ist im Gebäude des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung aufgestellt.
Ein Stück des historischen Altars fand sein neues Zuhause in der „Kapelle der Versöhnung“ – das originale Turmkreuz davor, und die Glocken der gesprengten Kirche in einem Gerüst nahe der Kapelle.
Jedes Jahr kommen rund 700.000 Besucher aus aller Welt zur „Kapelle der Versöhnung“ und zur „Gedenkstätte Berliner Mauer“. Seit dem 13. August 2005 gibt es dort täglich dienstags bis freitags um 12 Uhr eine 15-minütige Andacht, in der mit der individuellen Biografie an jeweils ein Opfer der Berliner Mauer erinnert wird.
In der Außenanlage erinnert der Umriss der Versöhnungskirche an das eindrucksvolle Gotteshaus.
Koordinaten: 52° 32′ 9″ N, 13° 23′ 31″ O
Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Vers%C3%B6hnungskirche_(Berlin-Mitte)
https://www.evangelisch.de/inhalte/112624/28-01-2015/die-kirche-hinter-der-mauer
https://gemeinde-versoehnung.de/kapelle/baugeschichte/
Video-Dokumentation (9:13 Minuten):
https://static5.www.evangelisch.de/get/?daid=00010001rAPaddfhkhjZIgvEoZ2MxUrrHDOh1Jjee-_iqrR8BoAh000000213108&dfid=v-h264_mp4_q1
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