In Leipzig gibt es zwei Gebäude, die rekordverdächtig sind, mit ihren deutlich mehr als 300 Metern Länge. Eines davon ist die Lange Lene in Probstheida mit ihren 333 Metern. Länger noch und auch deutlich älter ist ein Bauwerk in Möckern, in dem viele Jahrzehnte Befehlston üblich war. Die Kaserne Möckern – auch Möckernsche Kaserne genannt – ist zunächst einmal der Name für das knapp 17 Hektar große einstige Militärgebiet im Stadtteil Möckern im Norden Leipzigs.
Und es ist zugleich der Name für dessen bekanntestes Bauwerk: Der Kasernenbau an der Nordseite des Geländes wurde 1877 vollendet. Er ist bis heute mit 345 Metern das längste Gebäude der Stadt Leipzig.
Vorgeschichte
Mit der Einweihung der Kaserne Möckern ging die jahrhundertelange militärische Nutzung der Pleißenburg zu Ende, welche die Stadt Leipzig 1895 vom Königreich Sachsen erwarb. Der Wert der Pleißenburg wurde im Jahre 1893 auf 4,15 Millionen Mark geschätzt (entspricht heute etwa 30,2 Millionen EUR). Die Stadt ließ die Burg ab 1897 abreißen und auf dem Grundstück zwischen 1899 und 1905 ihr Neues Rathaus unter Leitung von Hugo Licht errichten.
Geschichte
Die Kaserne an der Halleschen Straße (ab 1928 Hallische Straße = heutige Georg-Schumann-Straße) lag zu ihrer Bauzeit außerhalb des Stadtgebiets von Leipzig. Dies war wegen damaliger Auseinandersetzungen eine bewusste Entscheidung des Sächsischen Kriegsministers Alfred von Fabrice gegen Leipzig als Kasernen-Standort.
Das Königlich-Sächsische Kriegsministerium hatte für die Kaserne einen sanft abfallenden Höhenrücken an der Straße nach Halle (Saale) zwischen Möckern und Gohlis ausgewählt. Dies erwies sich als weitreichende Entscheidung – kam es doch daraufhin zu weiteren Kasernen-Ansiedlungen gleich in der Nähe in Gohlis.
Nach Plänen der Militär-Baudirektion Sachsen errichteten von 1875 bis 1877 die Baumeister Otto und Joachim Streib sowie Bernhard Leuthier die Kaserne Möckern. Ihre Grundfläche beträgt rund 6.500 Quadratmeter, das Gebäude hat vier Stockwerke und ist unterkellert. Die Baukosten von 2.061.450,10 Mark bezahlte das Königlich-Sächsische Kriegsministerium.
Von 1875 (nach anderer Quelle: 27. Juli 1882) bis 1925 bildete das ausgemeindete Flurstück 214 mit der Kaserne den rechtlich selbständigen Gutsbezirk Kaserne Möckern. Das bedeutete, dass es weder der Gemeinde Möckern noch der Stadt Leipzig unterstand. Das blieb auch so nach der Eingemeindung Möckerns zu Leipzig am 1. Januar 1910: Die Stadt Leipzig und das sächsische Kriegsministerium verankerten diesen Status im Vertrag vom 29. Juni 1911.
Ab 24. März 1877 traf das 7. Königlich-Sächsische Infanterie-Regiment „Prinz Georg“ Nr. 106 (später „König Georg“) aus Chemnitz in Möckern ein. Es bestand aus einem Stab und drei Bataillonen zu je vier Kompanien und umfasste 88 Offiziere und höhere Militärbeamte, 254 Feldwebel und untere Beamte, 87 Musiker und 2.959 Unteroffiziere, Soldaten, Sanitäter, Radfahrer und andere Mannschaften. Bis 24. März 1914 war das Regiment in der Kaserne stationiert.
Die „Brezeljungs“
Die Uniform der sächsischen Infanterieregimenter war 1876 den preußischen angeglichen worden. Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal der 106er waren zwei in Spiegelschrift verschlungene „G“ (= Georg) auf den Schulterklappen, die das Regiment als Auszeichnung von Prinz Georg erhalten hatte. Wegen dieser beiden „G“ wurde es im Volksmund als „Brezelregiment“ und seine Angehörigen wurden als „Brezeljungs“ bezeichnet.
Chef des Regiments war Kronprinz Georg von Sachsen (1893–1943). Das Infanterieregiment 106 unterstand dem Königlich-Sächsischen XII. Armeekorps in Dresden. 1896 wurde aus den IV. Bataillonen der Infanterieregimenter 106 und 107 das I. Bataillon des 14. Infanterieregiments 179 – es wurde nach Wurzen verlegt.
Während des Ersten Weltkrieges diente die Kaserne Möckern zur Aufnahme von Ersatz- und Ausbildungstruppen und als Reservelazarett. Von 1920 bis 1935 waren dort zeitweise zwölf Sicherheitskompanien untergebracht, von 1952 bis 1956 die Kasernierte Volkspolizei.
Die außergewöhnliche Kaserne
Das Hauptgebäude besteht aus Mittelbau sowie zwei Seitenbauten und ist 345 Meter lang sowie 12 Meter tief; auf der Rückseite – nordwärts zur Bahnlinie – gibt es vier rechtwinklig angefügte, gleich hohe Seitenflügelgebäude, die jeweils 30 Meter lang und 15 Meter breit sind.
Die typische gründerzeitliche Gestaltung und Gliederung des Gebäudes mit seinen ausgewogenen Proportionen sowie den barocken und klassizistischen Anklängen ist von besonderem architektonischen Reiz. Seine Nutzfläche beträgt rund 18.000 Quadratmeter.
Das Gebäude war für die Aufnahme eines kompletten Regiments – also als Regimentskaserne – vorgesehen. Im Erdgeschoss gab es Wohnungen für Offiziere, Militärbeamte und verheiratete Unteroffiziere, Geschäftszimmer, Unterrichtsräume und Marketendereien.
In den drei Obergeschossen gab es im Mittelbau Wohnungen für Offiziere und das Offizierscasino sowie in den Seitenbauten die Wohnräume der Unteroffiziere sowie die Soldatenstuben mit jeweils 16 bis 19 Mann. Damit war diese Kaserne das Zuhause für 30 Offiziere und Beamte mit ihren Familien, 40 verheiratete Unteroffiziere mit ihren Familien sowie 1.650 Unteroffiziere und ihre Untergebenen – insgesamt also etwa 1.800 Menschen.
Im Kellergeschoss gab es für je ein Bataillon (= vier Kompanien) eine Küche und einen Speisesaal, Wirtschaftsräume, Regiments-Unteroffizierscasino, die Küche des Offizierscasinos, Bäder für Offiziere und Mannschaften, Putzräume, Werkstätten für Büchsenmacher, Schneider und Schuhmacher sowie die Heizung mit 22 Heizmaschinen. Auf dem Dachboden befanden sich die Kleiderkammern, in den Treppenhausanbauten Toiletten und Waschräume.
In Sachsen gab es zwei derartige Regimentskasernen: in Möckern und in Zwickau (1897 abgebrannt). Offenbar überwogen jedoch im Militäralltag die Nachteile eines so groß dimensionierten Gebäudes; von da an entstand jeweils ein Kasernengebäude pro Bataillon/Abteilung oder pro Kompanie/Batterie/Schwadron.
20. Jahrhundert
Ab 1924 gab es umfangreiche bauliche Veränderungen auf dem Kasernengelände: Zur Lagerung der Munition entstanden vier Häuschen auf dem Exerzierplatz. Eine Kraftwagenunterkunft (= Großgarage) mit Quartier für Kraftfahrer und das Überfallkommando wurden errichtet.
Auch wurden Gänge, Flure und Unterkunftsstuben der Kaserne renoviert und der Außenputz erneuert, Verheirateten-Wohnungen modernisiert, Schlafsäle zu Quartieren für Beamte und zu Verheirateten-Wohnungen umgebaut – jeweils mit zwei oder drei Zimmern, Küche, Speisekammer und Innen-WC. Das Beamtenheim im Hauptgebäude wurde erweitert und verbessert, Unterrichtsräume, neue Krankenstuben und ein Röntgenraum geschaffen. 1927 entstand ein Sportplatz. Die Südseite des Exerzierhauses wurde zur Turn- und Sporthalle umgebaut.
Beim Luftangriff am 28. Mai 1944 wurde die Kaserne von Bomben leicht beschädigt, am 19. April 1945 von US-amerikanischen Truppen der 2. Infanteriedivision eingenommen und danach Sammelstelle für Flüchtlinge. Ab 13. April 1946 war sie ein Rückkehrer-Lager für deutsche Soldaten (Quarantänelager) und ab 10. August 1948 Standort der Volkspolizeibereitschaft Sachsen.
Eine Übersicht vom August 1950 listet für die Kaserne an der nun in Georg-Schumann-Straße umbenannten Halleschen Straße ein Steingebäude (Hauptgebäude) auf – mit 4.072 Quadratmetern Fläche und einer Aufnahmekapazität von 773 Mann –, fünf weitere Dienstgebäude mit 1.132 Quadratmetern Fläche, eine Küche mit Speisesaal, 33 Unterrichtsräume, ein Magazingebäude sowie eine Turnhalle.
Das Land Sachsen übereignete das Gelände am 15. Oktober 1950 dem Ministerium des Innern der DDR, Hauptverwaltung Ausbildung. In der Kaserne siedelte sich die Führung der Territorialen Verwaltung Leipzig an.
Am 16. Juni 1952 wurden die VP-Bereitschaften von der Kasernierten Volkspolizei übernommen. Am 1. September 1953 wurden in der Kaserne das 1. MotAKommando der Bereitschaft Halle, was einem Infanterieregiment entsprach, und die Nachrichtenabteilung der TV Süd aufgestellt. Mit dem Stab und den beiden Truppenteilen waren in der Kaserne 488 Offiziere, 614 Unteroffiziere und 751 Soldaten untergebracht.
Am 28. Juni 1956 bildeten sich Leipzigs Truppenteile der NVA: In der Kaserne waren der Stab des Militärbezirkes III sowie das Mot-Schützenregiment 16 (MSR 16) und NB 3 untergebracht. Ab 30. November 1956 war das Standortmusikkorps Leipzig in der Kaserne zuhause.
Am 1. September 1957 wurde das MSR 16 zum Ausbildungsregiment 16 zur vier- bis sechswöchigen militärischen Grundausbildung für 3.611 Studenten und Fachschüler (ab 1. Dezember 1958 wieder Linienregiment).
Am 7. Oktober 1964 erhielt die Kaserne den Namen „Georg-Schumann-Kaserne“. Im Oktober 1972 wurde das MSR 16 nach Bad Frankenhausen verlegt.
Die Kaserne wurde von 1956 bis nach der Friedlichen Revolution in Leipzig von Einheiten der Nationalen Volksarmee genutzt. Die militärische Nutzung endete mit der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990; anschließend unterstand sie der Bundeswehr.
Zeit ab 1991
Am 29. April 1991 wurde das Gelände samt Kaserne der Treuhand übergeben. Die damalige Landesversicherungsanstalt Sachsen (jetzt „Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland“) erwarb das Gelände und machte die Kaserne nach umfassender Sanierung zu ihrem Hauptverwaltungssitz.
In enger Abstimmung mit dem Amt für Denkmalschutz wurden die Fassaden und die Schieferdeckung vollständig erneuert. Im exponierten Mittelbau des Hauptgebäudes wurden Vorstands- und Sitzungsbereiche sowie die Bibliothek untergebracht, für größere Versammlungen gibt es den großen Sitzungssaal in der vierten Etage.
Zu den aufwändigsten Arbeiten zählten der vollständige Ersatz der einstigen Holzbalkendecken durch Stahlbetondecken sowie die Sanierung des bis zu 80 Zentimeter starken Ziegelmauerwerks. Der Innenausbau und die Haustechnik wurden komplett erneuert. Die Arbeiten erfolgten in zwei Bauabschnitten.
Jüngere Vergangenheit und Gegenwart
Vor dem Hauptgebäude der Kaserne Möckern entstand in den 1990er Jahren das Sozialversicherungszentrum Leipzig. Dieses Zentrum – offizielle Bezeichnung SVZ Sozialversicherungszentrum Leipzig-Möckern, kurz: SVZ – ist Standort für
die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland mit ihrer Zentrale: in der ursprünglichen, komplett sanierten Kaserne Möckern von 1877,
die Agentur für Arbeit Leipzig,
das Berufsförderungswerk Leipzig,
sowie als Erweiterung auf der anderen Seite der Georg-Schumann-Straße
für das Jobcenter Leipzig und
die Jugendberufsagentur Leipzig.
Das Sozialversicherungszentrum Leipzig ist bundesweit wohl einzigartig sowohl mit seiner Anzahl an Sozialversicherungsträgern und Leistungsträgern als auch in seiner Größe. Die fünf Einrichtungen sind Leipzigs Behördenzentrum für Bürger aus Leipzig sowie aus ganz Sachsen und zugleich Leipzigs größtes Cluster öffentlicher Institutionen.
Das 168.374 Quadratmeter große Grundstück der Kaserne Möckern wurde von 1996 bis 1999 zum öffentlichen – und bis heute namenlosen – Park umgestaltet. An dessen Nordseite steht seit nunmehr 145 Jahren mit dezenter Zurückhaltung Leipzigs längstes Gebäude.
Anmerkung: Informationen zur Kaserne Möckern hat Dieter Kürschner aus Leipzig akribisch zusammengetragen. Zwischen April 1997 und Juli 1999 erschien seine neunteilige Serie über die Kaserne Möckern in „Viadukt“, der Bürgerzeitung für Möckern und Wahren. Der Militärhistoriker und Heimatforscher erlebte die Veröffentlichung seines Hauptwerks „Leipzig als Garnisonsstadt 1866–1945/49“ (2015; 726 Seiten) nicht mehr – er starb im März 2013.
Koordinaten: 51° 22′ 8″ N, 12° 21′ 14″ O
Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kaserne_M%C3%B6ckern
https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialversicherungszentrum_Leipzig
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