Kirchenbauwerke gehören in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen – und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.
Die Propsteikirche St. Trinitatis in der Emil-Fuchs-Straße war eine römisch-katholische Pfarrkirche in Leipzig. 1982 wurde sie geweiht – und 2018 abgerissen. Wie kam es, dass diese Kirche, um die Leipzigs Katholiken fast 30 Jahre gekämpft hatten und die einen stolzen Preis hatte, nach weniger als 36 Jahren abgerissen wurde?
Eine Propsteikirche gab es zweimal
In Leipzig hießen nacheinander zwei Kirchengebäude Propsteikirche: Die erste war die 1847 geweihte Trinitatiskirche gegenüber vom Neuen Rathaus, später Alte Trinitatiskirche genannt. Sie stand zentral in der Rudolphstraße an der Südwest-Ecke des Innenstadtrings. 1943 und 1944 wurde sie bei zwei Bombenangriffen stark beschädigt und 1954 gesprengt.
Im ersten Nachkriegsjahrzehnt gab es für Leipzigs Katholiken die Hoffnung, am alten Standort, wo der Grund und Boden Eigentum der Kirchgemeinde war, ihre neue Propsteikirche bauen zu dürfen – in größerer Ausführung, da viele aus den Ostgebieten vertriebene Katholiken zur Gemeinde hinzugekommen waren. Die Propsteigemeinde stellte den Bauantrag, der nach der Genehmigung seitens des Rates der Stadt widerrufen und schließlich 1958 endgültig abgelehnt wurde.
Eine Eingabe der Gemeinde vom Februar 1955 an Walter Ulbricht, die mit der Zusage eines Ersatzgrundstücks beantwortet wurde, führte nicht zum Erfolg, da die Stadt dagegen intervenierte. Weitere 15 Jahre (!) vergingen mit erfolglosen Verhandlungen über einen neuen Bauplatz. 1972/73 bezeichnete der Rat des Bezirkes Leipzig die Verhandlungen zum katholischen Kirchenneubau in der Stadt als nutzlos und endgültig beendet.
Offenbar waren die damaligen SED-Machthaber in Leipzigs Rathaus mit besonderer marxistisch-leninistischer Klarheit und klassenbewusster Geradlinigkeit fest entschlossen, dauerhaft jeden Quadratzentimeter Boden in Leipzig gegen jegliches katholisches Bauvorhaben zu verteidigen. Um jeden Preis! Stichwort Preis: Einige Jahre später sah das Thema anders aus – mit der Aussicht auf viele Millionen Westmark fielen plötzlich die starren ideologischen Scheuklappen. Doch der Reihe nach.
Hartnäckigkeit und die Aussicht auf Westgeld
Die Kirchgemeinde blieb hartnäckig: Nachdem sie die Nutzung des Grundstücks an der Rudolphstraße am 7. Juli 1975 erneut beantragt hatte, fanden Gespräche über einen Neubau zwischen der Leitung des Bistums Meißen und dem DDR-Außenhandelsministerium in Berlin (!) statt. Bestimmendes Thema: die mögliche Devisen-Finanzierung dieses Kirchenbauwerks – mit D-Mark von katholischer Seite aus Westdeutschland.
Bald darauf stellte der Leipziger Rat 1976 – was für eine Kehrtwende – auf Anweisung des Ministeriums in Berlin der Propsteigemeinde ein Grundstück in der Emil-Fuchs-Straße als Bauplatz zur Verfügung. Für den Baugrund gab es einen Grundstückstausch zwischen der Stadt und der katholischen Kirchgemeinde.
Es vergingen weitere drei Jahre bis zum Beginn der Bauarbeiten. Die neue Trinitatiskirche und das zugehörige Pfarrzentrum am Rosental wurden von der Bauakademie der DDR entworfen, leitender Architekt war Udo Schultz. Das DDR-Interesse zielte auf städtische Randlage des Gotteshauses, möglichst unkirchliches Erscheinungsbild– und dennoch schwindelerregend hohe, in D-Mark zu begleichende Bau- und Materialkosten: Finanziert und vorab bezahlt wurde die neue Trinitatiskirche – Preisforderung der DDR-Oberen: sieben Millionen D-Mark – vom Bonifatiuswerk in der Bundesrepublik.
Die stolze Summe stammte aus Zuwendungen der Deutschen Bischofskonferenz und aus Spenden westdeutscher Katholiken.
Wie eine klassische Kirche sah sie nicht aus
Extra hinzu kamen die Mittel für die Inneneinrichtung als zusätzliche Kosten für die Gemeinde. Am 21. November 1982 war es endlich so weit: Bischof Gerhard Schaffran weihte die katholische Trinitatiskirche II in Leipzig.
Entstanden war ein quadratischer, flachgedeckter Bau aus Stahl und Sichtbeton mit 18 Meter hohem, frei stehendem Glockenturm. Auf den ersten Blick erinnerte das Bauwerk jedoch an ein DDR-Kulturhaus – oder aber an eine Turnhalle.
Die Summe von sieben Millionen D-Mark für diese Kirche weicht extrem ab von den Einzelpreisen anderer für Westgeld errichteter Kirchenbauten jener Zeit (üblicherweise forderte die DDR eine Million D-Mark pro Kirchenbauwerk). Dem katholischen Gotteshaus war jedenfalls seine Kostspieligkeit nicht anzusehen.
Die Innenausstattung der Kirche nach theologisch-liturgischen Vorgaben schuf der Bildhauer und Metallkünstler Achim Kühn aus Berlin. Die hinter dem Altar angeordnete Wand aus angerostetem, gefaltetem Stahlblech sollte das „Zelt Gottes“ symbolisieren.
Die Orgel aus dem Jahr 1987 schuf der Volkseigene Betrieb (= VEB) Potsdamer Schuke-Orgelbau, ein Schleifladen-Instrument mit 36 Registern und 2.410 Pfeifen auf zwei Manualen und Pedal.
In den Glockenturm kamen vier Bronzeglocken, gegossen 1981 vom letzten Glockengießermeister in der DDR, Franz Peter Schilling, in Apolda und am Pfingstmontag 1982 geweiht.
Die Liebe zum Bauwerk hielt sich stets in Grenzen
Jedoch: Wasser von oben und von unten machte dem Bauwerk stets zu schaffen: 1983 drang nach einem Wolkenbruch erstmals Wasser in den Keller ein. Und 20 Jahre nach ihrer Eröffnung wies die nur wenige Meter neben dem Elstermühlgraben stehende Propsteikirche schwere Schäden auf. Es dämmerte die Erkenntnis, dass das damalige hydrologische Gutachten über den Baugrund fehlerhaft gewesen sein musste.
Das Fundament war wegen der Grundwasserströme unter der Kirche, die laut Gutachten gar nicht vorhanden sein konnten, und wegen Baumängeln geschädigt, es kam zu Setzungen und Rissen. Das Bohren von sieben Brunnen, um das Eindringen von Wasser zu stoppen, blieb ohne dauerhaften Erfolg. An vielen Stellen war das Dach undicht, es musste schon zehn Jahre nach der Einweihung sowie erneut 2005 nach einem Unwetter saniert werden. Diese Umstände und der herbe Charme des an den Baustil Brutalismus erinnernden Kirchenbaus hatten bei Leipzigs Katholiken die Sympathie für und die Identifikation mit ihm stets in überschaubaren Maßen gehalten …
Als selbst dem Bischof der Geduldsfaden riss
Als die Ärgernisse um den staatlich verpfuschten Kirchenbau in Leipzigs Emil-Fuchs-Straße partout kein Ende nahmen, kam es 2008 in Dresden zum Wendepunkt im wörtlichen Sinne: Sachsens oberstem Katholiken Joachim Reinelt riss der bischöfliche Geduldsfaden. Er bestimmte kraft seines Amtes, dass in Leipzig eine neue katholische Kirche gebaut werden solle.
So wurde am 3. Mai 2015 die Trinitatiskirche II mit der Messe zur Profanierung von Propst Gregor Giehle offiziell entweiht, also kirchlich „außer Dienst gestellt“. Im Juni 2015 erhielten das Kirchengebäude mit Innengestaltung sowie der Gesamtkomplex offiziellen Denkmalschutz.
2017 erfuhr dann Leipzigs überraschte Öffentlichkeit, dass die katholische Propsteigemeinde das Gotteshaus samt Grundstück an ein Immobilienunternehmen in Leipzig verkauft hatte. Im Juni 2017 erteilte die Stadt Leipzig dem neuen Eigentümer aufgrund „der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit der Erhaltung“ die Abrissgenehmigung – trotz Denkmalschutz. Zu den Auflagen gehörte, den Glockenturm zu erhalten – der dort nun funktions- und zusammenhangslos sein Dasein fristet.
Im Januar und Februar 2018 wurde die Trinitatiskirche II abgerissen. Bereits am 9. Mai 2015 wurde in Leipzigs Innenstadt direkt gegenüber dem Neuen Rathaus die neue Propsteikirche geweiht – Leipzigs katholische Trinitatiskirche III.
Nur der Glockenturm blieb als stummer Zeuge
Und in der Emil-Fuchs-Straße? Auf dem einstigen Kirchengelände entstehen mehrere moderne Wohnhäuser – mit gleichermaßen hochwertigen wie hochpreisigen Eigentums-Wohnungen. Der einstige Glockenturm erinnert stumm daran, dass dort einst zahlreiche Gebete gen Himmel stiegen.
21. November 1982 bis 3. Mai 2015, das ist ein Zeitraum von weniger als 32 Jahren und 6 Monaten. Es dürfte in ganz Mitteldeutschland keine zweite Kirche mit ähnlich kurzer Nutzungsdauer geben.
Zugleich dürfte es ebenfalls in ganz Mitteldeutschland keine zweite Kirche geben, deren Entstehungsgeschichte die ideologisch-klerikalen Grabenkämpfe jener DDR-Zeit so hart, klar und beispielhaft offenlegt wie jene zweite Trinitatiskirche in der Emil-Fuchs-Straße.
Koordinaten: 51° 20′ 47,9″ N, 12° 21′ 50,5″ O
Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Propsteikirche_St._Trinitatis_(1982)
https://www.propstei-leipzig.de/gebaeude
https://www.propstei-leipzig.de/geschichte
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