Kirchenbauwerke gehรถren in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfรคltige Bedeutung. Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen โ€“ und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.

Die Sophienkirche war der bedeutende evangelische Sakralbau nahe dem Zwinger in Dresden. Sie ging aus der vor 1265 in Bettlerorden-Architektur errichteten Kirche des Franziskanerklosters hervor. Das Gotteshaus war zum Zeitpunkt des Abbruchs Dresdens letzte in ihrer Grundsubstanz erhaltene gotische Kirche.

Evangelische Hofkirche im Kรถnigreich Sachsen

Die Franziskanerkirche wurde mit dem zugehรถrigen Kloster nach der Reformation entweiht und als Lagerhalle verwendet. 1602 wurde sie als Sophienkirche neu geweiht. Sie war โ€“ inzwischen รคuรŸerlich umgestaltet โ€“ bis 1918 die evangelische Hofkirche Dresdens und damit die Hauptkirche des lutherischen Kรถnigreichs Sachsen. Nach dem Ende der Monarchie war sie ab 1922 als Domkirche St. Sophien Sitz des sรคchsischen Landesbischofs.

Die Luftangriffe auf Dresden ab 13. Februar 1945 zerstรถrten groรŸe Teile der Innenstadt. Auch die Sophienkirche brannte aus, ihre Gewรถlbe stรผrzten am 28. Februar 1946 ein. Kurz zuvor war das bewegliche Kunstgut geborgen worden.

Sophienkirche um 1910. Foto gemeinfrei, Quelle: Robert Bruck: Die Sophienkirche in Dresden. Ihre Geschichte und ihre Kunstschรคtze. Keller, Dresden 1912, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=87887531
Sophienkirche um 1910. Foto gemeinfrei, Quelle: Robert Bruck: Die Sophienkirche in Dresden. Ihre Geschichte und ihre Kunstschรคtze. Keller, Dresden 1912, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=87887531

Die Kirche erlebte im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Umbauten โ€“ je nach Anforderungen und Bau-Stil der Epochen. 1400 entstand die Busmannkapelle als Anbau an den sรผdlichen Chor.

Die Bedeutung des Gotteshauses im Stadtleben wuchs, als der frรผhere Wilsdruffer Platz, 1865 in Postplatz umbenannt, Verkehrsknotenpunkt der Stadt wurde. Das 1911 erbaute Palasthotel Weber und das bis 1913 errichtete Gebรคude des Staatsschauspiels Dresden ergรคnzten das stรคdtebauliche Ensemble Sophienkircheโ€“Zwingerโ€“Schloss in westlicher Richtung.

Ausgebrannt am Kriegsende

Vor 1945 war die Sophienkirche baulich umschlossen: im Norden vom Taschenbergpalais und dem Dresdner Schloss, im Osten und Sรผden von barocken Wohnhรคusern und im Westen vom Zwinger sowie vom Palasthotel Weber und vom Schauspielhaus. Dieses stรคdtebauliche Gefรผge wurde bei der Bombardierung Dresdens zerstรถrt.

Wรคhrend Dresdens Bombennacht vom 13. zum 14. Februar 1945 brannte die Sophienkirche aus. Sie war damit eine von 27 von Bomben getroffenen Kirchen in Dresden. Die Sicherung der Sophienkirchruine war aufgrund der finanziellen und materiellen Notlage der kirchlichen Denkmalpflege 1945 nicht mรถglich. Nach Diebstรคhlen im Kirchenraum und in der Krypta vermauerten Arbeiter 1949 die Ruine.

In diesem Jahr wurde die Kirche noch in stรคdtebauliche Planungen einbezogen. Doch das รคnderte sich mit den stรคdtischen Aufbauplรคnen. Die evangelische Kirchenleitung beschloss am 2. August 1949, die Ruine nicht zu erhalten.

Foto von 1946. Quelle: Deutsche Fotothek, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7937382
Foto von 1946. Quelle: Deutsche Fotothek, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7937382

Am 11. August 1950 wurde der erhaltene Sรผdturmhelm der Sophienkirche gesprengt. Aufgrund ihrer kunstgeschichtlichen Bedeutung nahmen die Verantwortlichen die Ruine 1951 von der GroรŸberรคumung des Postplatzes aus.

Im Mรคrz 1952 wurde im Auftrag des Dezernats Bauwesen der Stadt eine Liste mit gefรคhrdeten Kulturdenkmalen erstellt, fรผr deren Wiederaufbau Kosten ermittelt wurden; unter den 39 Objekten befand sich auch die Sophienkirche. Die Verwaltung fรผr Kunstangelegenheiten der sรคchsischen Landesregierung legte fรผr diese Bauten fest, dass sie โ€žunbedingt zu erhaltenโ€œ seien, sofern sie โ€žnicht mit dem neuen Stadtplan kollidierenโ€œ. Am 26. Juni 1952 wurde die Sophienkirche mit der Verordnung zum Schutz nationaler Kulturdenkmale als Baudenkmal bestรคtigt.

Protestnoten verhinderten 1959 den Abriss

Schicksalhafte Bedeutung fรผr die Sophienkirche hatte der Beschluss des V. Parteitags der SED 1958, bis 1962 die sichtbarsten Kriegsspuren in den Stadtzentren zu beseitigen sowie den Aufbau der Stadtzentren bis 1965 โ€“ spรคter aufgeschoben bis 1970 โ€“ abzuschlieรŸen.

Am 15. Oktober 1958 stimmte die Stadtverordnetenversammlung dem Vorschlag zur Perspektive des Aufbaues der Stadt Dresden bis 1965 zu. Er beschloss den Erhalt der Frauenkirchruine, des Taschenbergpalais und des Schlosses โ€“ und sah den Abriss der Sophienkirche vor, da diese โ€žnicht ausschlaggebend fรผr den Charakter Dresdensโ€œ sei. Erstmals am 11. Juni 1959 โ€“ also acht Monate spรคter โ€“ informierte ein Artikel in der Sรคchsischen Zeitung Dresdens ร–ffentlichkeit รผber diesen Beschluss.

Den Abriss der Kirche โ€“ geplant nun mit Eilbeschluss im Juli 1959 โ€“ konnte das Landeskirchenamt durch offizielle Protestnoten an hochrangige SED-Funktionรคre in Berlin verhindern.

1961 beschlossen der Rat der Stadt und die SED-Stadtleitung, eine GroรŸgaststรคtte zu errichten; am Abriss der Kirche hielt man dabei fest. Der Druck auf die Verantwortlichen der Stadt wuchs, als Walter Ulbricht beim Besuch der Stadt 1961 die Sophienkirche persรถnlich aus einem Innenstadtmodell entfernte und โ€žseine Verwunderung darรผber zum Ausdruck โ€ฆ brachte, dass die Ruine noch nicht verschwunden sei.โ€œ

Abtragung unter heftigem Protest

Im April 1961 beschlossen die Verantwortlichen statt der Sprengung das Abtragen der Kirche. Ihr Abbruch begann im Juli 1962, es kam zu Protestaktionen beim Institut fรผr Denkmalpflege, beim Kupferstichkabinett und von Mitgliedern der TH Dresden, die vom Turm der Dresdner Katholischen Hofkirche Flugblรคtter mit dem Text โ€žRettet die Sophienkirche, ehe es zu spรคt ist!โ€œ warfen.

Im Oktober 1962 war der Abriss der Kirche weit fortgeschritten. Im Dezember 1962 folgten der Abriss der Tรผrme und der Abbruch der Seitenwรคnde, mit Ausnahme eines Teils der Nordwand, die am 1. Mai 1963 abgetragen wurde. AnschlieรŸend wurde die Flรคche begrรผnt und ein Parkplatz angelegt.

Ab 1967 stand an Stelle der Sophienkirche die GroรŸgaststรคtte โ€žAm Zwingerโ€œ. Beim Aushub fรผr die Fundamente wurden groรŸe Teile der sรผdlichen Grรผfte der Sophienkirche zerstรถrt โ€“ und laut Augenzeugen unvollstรคndig verweste Leichen zusammen mit Bauschutt abgefahren.

Die im Volksmund Fresswรผrfel genannte GroรŸgaststรคtte galt nach der Friedlichen Revolution als Schandfleck. Sie wurde zunรคchst 1998 teilabgerissen und verschwand 2007.

Gedenkkultur seit den 90er Jahren

Seit den 1990er Jahren wurde das Gedenken an die Sophienkirche auch wieder รถffentlich gepflegt. Die โ€žGesellschaft zur Fรถrderung einer Gedenkstรคtte fรผr die Sophienkirche Dresden e.V.โ€œ, gegrรผndet von Hilde Herrmann (1920โ€“2013), warb betrรคchtliche Betrรคge von mehr als 1.000 Spendern ein und entwarf Nutzungskonzepte.

Dresdens Stadtverordnetenversammlung beschloss 1994 die Errichtung einer Gedenkstรคtte fรผr die Sophienkirche. Beim Architektenwettbewerb setzte sich ein Entwurf des Architektenbรผros Gustavs & Lungwitz durch, der den Nachbau der Busmannkapelle am ursprรผnglichen Ort vorsieht. Ein Glaskubus sollte die Kapelle umschlieรŸen.

โ€žZur Verdeutlichung des Zusammenhanges zwischen Busmannkapelle und Sophienkirche werden die Strebepfeiler der Franziskanerkirche als stilisierte Stelen errichtetโ€œ, hieรŸ es im Entwurf des Architektenbรผros.

Auf der Nord-Hรคlfte des Grundstรผcks der Sophienkirche entstand das Bรผrogebรคude Haus am Zwinger, der Advanta-Riegel, bis Ende 1999. Seit 2000 zeichnen rote Granitpflastersteine auf dem Boden den Grundriss der Sophienkirche nach.

Die Bauarbeiten zur Gedenkstรคtte Busmannkapelle begannen 2009; die Gedenkstรคtte wurde am 9. Oktober 2020 unter dem Namen DenkRaum Sophienkirche erรถffnet. Seit 2019 ist die Gedenkstรคtte eine von fรผnf Nagelkreuzgemeinden in Dresden.

Koordinaten: 51ยฐ 3โ€ฒ 5,7โ€ณ N, 13ยฐ 44โ€ฒ 4,5โ€ณ O

Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sophienkirche_(Dresden)
https://de.wikipedia.org/wiki/Busmannkapelle
https://www.denkraum-sophienkirche.de/geschichte-gegenwart
http://archiv.neumarkt-dresden.de/busmannkapelle-sophienkirche.html
https://www.dresden.de/media/pdf/denkmal/verlorene-kirchen-2018_web.pdf

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